MissWexford schrieb:Gegenfrage: Was hätte es denn Herrn Metzelder genutzt, wenn die „Bild“ berichtet hätte:"Ein ehemaliger deutscher Ex-Fussballnationalspieler steht unter Verdacht auf Besitz und Verbreitung von KiPo, sein Haus wird derzeit in Düsseldorf/Stadtteil Derendorf durchsucht..."
Eine anonymisierte Berichterstattung hätte zu weiten Teilen verhindert, dass sich seine diversen Arbeitgeber zeitlich und medial gegenseitig darin überbieten, am schnellsten zu sein, um öffentlich ein Zeichen zu setzen. Wird der Fokus auf eine eindeutig identifizierbare Person gelegt, sind z.B. Arbeitgeber genötigt, sich öffentlich zu dieser Person zu verhalten - möchten sie nicht als anrüchig gelten. Wird diese Person medial anonymisiert, ist es Arbeitgebern noch eher möglich, sich lediglich zum Sachverhalt zu positionieren und zwar auf Nachfrage. Das würde für die mediale Berichterstattung recht große Unterschiede mit sich bringen, v.a. in Sachen Emotionalisierung einer Person (vs. eines Sachverhalts) sowie in Sachen Fokusverschiebung und Aufblähung eines Sachverhalts, von dessen Hintergrund man real jedoch noch kaum etwas weiß.
Der von dir eingefügte Beispielsatz löst aller Voraussicht nach lediglich bei Fußballfans, regionalen Einwohnern und gelangweilten Bürgern den Drang zum Googeln aus. Denn Identifikationsfläche bietet hier nur die Funktion, der Status und der Ort. Wird nicht anonymisiert, wird der Fokus auf die Person/ den Menschen gelenkt, und zwar ihn v.a. als Privatperson. Das ist journalistisch extrem wichtig, da dadurch nicht nur eine breit angelegte Identifikationsfläche geschaffen wird (was gleichzeitig auch breiten Absatzmarkt bedeutet), sondern auch gleichzeitig eine Emotionalisierung geschaffen wird. Menschen lassen sich von Menschen bewegen und v.a. von Emotionen. Nicht von Sachlichkeit. Und im Übrigen sollte man wissen, dass sich emotional belegte Informationen im Gehirn deutlich nachhaltiger abspeichern, als reine Sachinformationen, die mit dem eigenen Leben/ dem eigenen Menschsein nichts zu tun haben. Daher das berühmte "es-bleibt-immer-etwas-hängen".
Keine Anonymisierung bedeutet:
Dieser Mensch mit seinem Privatleben rückt in den Vordergrund. Nicht umsonst wurde sofort seine Partnerin ins Spiel gebracht, die Dauer seiner Beziehung, eine Freundin in Hamburg, seine Ausbildungsstätte und damit auch Menschen, die jemand kennt und von denen bekannt ist, dass sie auch dort sind und die man mal fragen kann usw. Die Unterlassungsklage gegen die Bild ist insofern richtig und wichtig, als dass durch die Nennung von Klarnamen und eindeutigen Identifizierungsmerkmalen das Tor geöffnet wird, um Homestories zu bringen, à la "sein Nachbar fand ihn schon immer seltsam" etc. Emotionalisierung dient der Aufblähung und der Fokuslenkung - weg vom Sachverhalt hin zum Erzeugen von Betroffenheit und Skandalisierung. Je mehr personifizierte Artikel erscheinen, desto mehr verschwindet der Eindruck des Verdachts hin zu einem "der ist schuldig".
Man vergisst schnell, dass eine Namensnennung nach sich zieht, dass auch andere Menschen "Beschuldigung" bzw. kolaterale Schädigung erfahren, die über Persönlichkeitsrechte verfügen und mutmaßlich rein gar nichts mit dem Verdacht zu tun haben: z.B. Eltern, Geschwister, deren Partner, deren Kinder, sein eigenes Kind, Teamkameraden, Kollegen und Vereinsmitglieder. Nur, weil darüber bislang kaum etwas in den Medien zu lesen war, bedeutet das nicht, dass sie nicht pausenlos angerufen, gefragt, schräg angeguckt werden oder unter dem Druck stehen, selbst Stellung beziehen zu müssen, indem sie des öffentlichen Drucks wegen Dinge tun müssen, die sie vielleicht gar nicht möchten: z.B. aus dem Verein austreten, erstmal wegfahren, um den Blicken aus dem Weg zu gehen, Lästereien, Ausgrenzung oder aber Co-Beschuldigung, wenn man sich positioniert, wie z.B. Klinsmann das tat etc.
Und all das, obwohl der Sachverhalt noch gar nicht geklärt ist.
Stellt sich raus, dass eine Anklage fallengelassen wird, dann macht anonymisierte Berichterstattung sogar den Unterschied, ob in seiner Wiki-Biographie zeitlebens stehen wird "wurde mal verdächtigt" oder ob solch ein Passus gar nicht erst auftaucht.