digi1 schrieb:Du glaubst nicht, unter was für einen Druck du gesetzt wirst. Sie müssen dir zwar beweisen, dass du es warst, aber du siehst die Dilemma auf dich zurollen, ohne einen Ausweg zu sehen. Wenn du weist, dass du kei e Gegenargumente hast und die Überzeugung der dich verhörenden Beamten siehst.... Ich wünsche es keinem. Darum habe ich null Verständnis für Vorverurteilungen.
Das kann ich Dir durchaus nachempfinden. Aber Du hattest ja bei dem relativ geringfügigen Ermittlungstatbestand im Verhältnis zum Vorwurf eines Kapitalverbrechens immerhin noch eine viel bessere Ausgangsposition und schon das hat Dich verständlicherweise sehr beunruhigt. Ich habe auch schon mal den Satz gehört: Es ist schwierig, ein guter Beschuldigter zu sein...
@LarsVegas Beitrag von LarsVegas (Seite 160) hat den Link zur Vernehmungsmethodik nach Reid zur Erlangung von Geständnissen schon eingestellt. Aber ich denke, die berechtigten Bedenken im Strafverteidiger Wiki gegen diese Methodik sollten im Forum nochmal erinnert werden.
Disclaimer: Ich war selbst bei Vernehmungen durch die Berliner Mordkommission natürlich nicht dabei und kann daher auch nicht wissen, welcher Vernehmungstaktik sie ggf. folgen. Wie noch zu zeigen sein wird, gab es jedenfalls Schulungen in der Vergangenheit nach einem modifizierten Reid - Prinzip in Bayern, die alle bundesrepublikanischen Gesetze einhält und nur darauf gestützt ist. (siehe unten).
Das erfährt man auch aus der im Strafverteidiger Wiki zitierten Quelle.
Quelle
https://www.strafverteidiger.wiki/reid-methode/ (Archiv-Version vom 08.08.2020) (Sie wurde zuletzt überarbeitet am 20.01.2018)
Wie die Verhältnisse in Berlin sind weiß ich nicht, aber ich kann davon ausgehen, dass man sich auch hier selbstverständlich insbesondere an § 136 a StPO und das Prinzip des fairen Verfahrens hält, einmal aus Berufsethos und zum anderen schon allein um nicht unverwertbare Ergebnisse zu produzieren.
1. Zunächst zur Einstimmung deshalb nochmal :
§ 136a
Verbotene Vernehmungsmethoden; Beweisverwertungsverbote
(1) 1Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht beeinträchtigt werden durch Mißhandlung, durch Ermüdung, durch körperlichen Eingriff, durch Verabreichung von Mitteln, durch Quälerei, durch Täuschung oder durch Hypnose. 2Zwang darf nur angewandt werden, soweit das Strafverfahrensrecht dies zuläßt. 3Die Drohung mit einer nach seinen Vorschriften unzulässigen Maßnahme und das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils sind verboten.
(2) Maßnahmen, die das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen, sind nicht gestattet.
(3) 1Das Verbot der Absätze 1 und 2 gilt ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten. 2Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt.
Quelle:
https://dejure.org/gesetze/StPO/136a.html2. Nach der Darstellung des Strafverteidiger Wiki besteht die sog Reid - Methodik (benannt nach seinem Entwickler) bei Vernehmungen kurz gesagt darin (ich kenne selbst kein Schulungsmaterial) :
Die Methode
Die Intention der Reid-Methode
Primäres Ziel ist es, Geständnisse zu produzieren. Dies wird gefördert durch
Minimierung der negativen Konsequenzen eines Geständnisses, und
Maximierung der mit dem Leugnen verbundenen Angst des Beschuldigten.3
es geht den Vernehmen also darum
den Widerstand des Beschuldigten zu brechen, und
den Wunsch zum Ablegen eines Geständnisses zu stärken.4
Quelle:
https://www.strafverteidiger.wiki/reid-methode/ (Archiv-Version vom 08.08.2020)Das muß jetzt hier erst mal genügen. Wer detaillierter über den Ablauf informiert sein möchte, sollte sich eine Viertelstunde Zeit nehmen und die kurze Darstellung im Strafverteidiger Wiki (aaO) studieren, die ich jetzt zur Vermeidung weiterer Wiederholungen auslasse. (Kein langer Text und schon gar nicht ermüdend wenn man nur liest und man kann hinterher sich im Rechtsstaat bundesrepublikanischer Ausprägung um so geborgener fühlen.) Genaueres bei Bedarf erfährt man dann, wenn man die Anfrage im Bundestag und bayerischen Landtag liest (Verlinkungen sind im Strafverteidiger Wiki).
3. Man muß nämlich wissen, dass zwar in der Vergangenheit Beamte auf der Basis der - vermutlich bald auf hiesige rechtlichen Verhältnisse - modifizierten Reid-Methodik geschult wurden. In welchen Bundesländern und ob bei der Bundespolizei weiß ich nicht.
Eine Anfrage im Bayrischen Landtag hat aber 2024 auszugsweise jedenfalls folgendes ergeben:
5. Wie viele der Beamtinnen und Beamten, die in der REID-Vernehmungstechnik ausgebildet wurden, befinden sich noch im Dienst?
In den Jahren 2001 und 2002 fanden jeweils drei Seminare statt. Insgesamt wurden im Jahr 2001 56, im Jahr 2002 60 Teilnehmer geschult. Von den insgesamt 116 Teilnehmern befinden sich noch 101 im aktiven Dienst.
a) Wie wurden die Beamtinnen und Beamten über die kritischen Erkenntnisse zur REID-Vernehmungstechnik informiert? Die Lehrinhalte der beim BPFI Ainring veranstalteten REIDSeminare waren auf deutsches Recht abgestimmt und entsprachen den damaligen Erkenntnissen der Sozialwissenschaften und der Psychologie. In den Seminaren erfolgte jeweils die Vermittlung der rechtlichen Grundlagen.
Quelle:
https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP17/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/17_0002778.pdfHieraus ergibt sich klar, dass in Bayern die Schulungen schon damals mittels einer auf bundesrepublikanisches Recht und insbesondere auf § 136 a StPO zugeschnittenen Lehrinhalte erfolgte. Das dürfte sich auch in den anderen Bundesländern im Prinzip nicht anders verhalten.
Zusammenfassung: Ziel der Reid - Methodik in ihrer klassischen Ausprägung ist also der besondere Weg die Erzielung von Geständnissen. Sie entspricht auch nach meiner Auffassung
nicht der in der Bundesrepublik geltenden Rechtslage, die in § 136 a StPO kodifiziert ist. Sie erhöht nicht nur m. E. insbesondere erheblich die Gefahr falscher Geständnisse und ist vor allem im Bereich des Täuschungsverbots fehleranfällig.
Ob die Anpassung an das bundesrepublikanische Rechtssystem tatsächlich gelungen ist, wie die Modifikation aussieht und überhaupt praktikabel ist, so wie die Antwort auf eine Anfrage im bayerischen Landtag postuliert, wird sicher von den Strafverteidigern mit Argusaugen beobachtet.
Zu den Verhältnissen in anderen Bundesländern verhält sich das Strafverteidiger Wiki nicht.
Die Anfrage im Bundestag ist ebenfalls im StrafverteidigerWiki aaO. verlinkt.
Es dürfte aber auch bei den Ermittlungsbehörden im ureigensten Interesse liegen -bei aller Vernehmungstaktik- die strengen rechtlichen Regeln auch im Sinne eines fairen Verfahrens hierzulande zu beachten, da ansonsten die Unverwertbarkeit nach §136a Abs.3 StPO droht.
[Hervorhebungen von mir]