In diesem Bericht ist ein Brief abgebildet, den der Inhaftierte Richard Allen an das Gericht geschrieben hat, um einen Pflichtverteidiger zu seiner Verteidigung beigeordnet zu bekommen:
https://eu.jconline.com/story/news/crime/2022/11/09/richard-allen-delphi-indiana-says-wife-cannot-work-asks-for-public-defender/69634831007/ Ich finde den Brief allerdings geradezu unterwürfig geschrieben. Sicher, die Amis neigen meiner Erfahrung oft durchsaus zu einer etwas pathetischen und dramatischen Sprache, aber Formulierungen wie:
- "I throw myself at the mercy of the Court" (die er gleich zweimal verwendet) = ich liefere mich der Gnade des Gerichts aus
- "I'm begging to be provide[d] with legal assistance" = ich bettele darum, mir einen Rechtsbeistand zu gewähren
- "Please provide me whatever assistance you may." = bitte gewähren sie irgendeine Art von Rechtsbeistand nach Ihrem Ermessen
- "Thank your for your time in this most urgent matter." = Danke für Ihre Zeit in dieser sehr dringenden Angelegenheit.
(Besonders bei dem letzen Satz konnte ich echt Pickel kriegen. Der Mann hat immerhin fast 6 Jahre lang hunderte von Ermittlern, die Staatanwaltschaft und den zuständigen Richter beschäftigt, und wird sie auch weiterhin beschäftigen. Er hat zwei jungen Mädchen die Lebenszeit gestohlen, die noch vor ihnen lag und deren Angehörigen, Freunden und Verwandten und sicher vielen Einwohner dieser kleinen Stadt die Zeit, die seit der Tat vergangen ist, zur Hölle gemacht. Und jetzt bedankt er sich ganz unterwürfig für die Zeit, die es das Gericht kostet, diesen Schrieb zu lesen und ihm einen Pflichtverteidiger beizuordnen.... Natürlich immer angenommen, es handelt sich tatsächlich um den Täter und nicht jemanden, der zu Unrecht inhaftiert wurde.)
Ein Pflichtverteidiger steht ihm von rechts wegen zu und er ist über diese Rechte auch informiert worden. Er sagt selber, dass er diesen Pflichtverteidiger in der ersten Anhörung abgelehnt hat, sich jetzt aber aus finanziellen Gründen umentschieden hat, es kann also durchaus sein, dass er befürchtet, sein Recht auf einen Pflichtverteidiger damit offiziell verwirkt zu haben und es jetzt im Ermessen des Gerichts liegt, ob er überhaupt noch einen bekommt oder nicht. Und dann schlägt er halt diesen in meinen Augen extrem unterwürfigen und bettelnden Tonfall an. Aber die Recht auf Verteidigung ist in den USA ein in der Verfassung verbrieftes Recht, und auf ihre Verfassung sind die Amerikaner extrem Stolz. Ich kann mir also nicht vorstellen, dass er sich dessen nicht bewusst ist.
Für mich wirkt das sehr berechnend, wie jemand, der sich eben extrem darauf einstellt, welches Bild er bei seinem Gegenüber gerne erzeugen will. Natürlich kann ich mich irren, wie gesagt, die Amis neigen etwas zum Drama und auf einen deutschen Leser kann das schon etwas befremdlich wirken. Aber für mich sagt es viel über die Persönlichkeit des Schreibers aus.
Und dann dieses ellenlange Gefasel über seinen finanzielle Situation. Und wie sehr er und seine Frau von den finanziellen Folgen der Verhaftung getroffen sind. Tatsächlich dürften die beiden finanziell ruiniert sein. Es ist vorerst anzunehmen, dass die Ehefrau nichts von seiner Tat geahnt zu haben scheint, insofern ist sie da unverschuldeter Weise mit rein gezogen worden. Aber die Erklärung, die er da über die finanzielle Situation der Familie abgibt, klingt für mich doch sehr technisch und passiv:
- "we have both been forced to immediately abandon our employment"
- "she has had top abandon our house for her own safety"
- What little reserve there is will fail to even maintain the original residence
Alles nicht seine Schuld! Sondern er und seine Frau wurden durch äußere Umstände gezwungen, auf diese zu reagieren. Das wird in meinen Augen alles als Reaktion auf unglückliche Umstände, und nicht als Konsequenz aus seinem Verhalten/aus seiner Tat beschrieben.
Und da gebe ich
@Helen559 recht, das ließt sich für mich schon sehr nach einem sehr egozentrischen Weltbild dieser Person.
Natürlich ließt man das als Außenstehender immer durch die Brille, dass es sich bei dem Schreiber tatsächlich um den verantwortlichen Täter handelt und eben nicht um einen versehentlich inhaftierten Unschuldigen. Und die Ermittler und der Staatsanwalt haben mehrmals sehr deutlich gesagt, dass der Inhaftierte bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten hat. Das ist nach deutschem Rechtsverständnis nicht anders.
Aber ehrlich gesagt würde ich von einem zu Unrecht inhaftierten einen anderen Ton in so einem Brief erwarten.