Dream-lia schrieb:Ich habe eine Frage. Das Video soll ja eigentlich 43 Sek lang sein, es wurde ja aber nur ein kurzer Teil veröffentlicht.
Meint ihr die Angehörigen kennen das gesamte Video bzw. dürfen das sehen obwohl es für die Öffentlichkeit zurückgehalten wird? Wie ist das auch mit anderen Informationen die Täterwissen beinhalten, dürfen das die Angehörigen erfahren, gibt's da Ausnahmen für Personenkreis?
Ich kann dazu nicht so viel zu den USA sagen, eher zum deutschen Rechtssystem. Aber viele der hinter den Regelungen stehenden Überlegungen sind übertragbar.
Zum einen ist zu bedenken, was
@Rick_Blaine bereits geschrieben hat. Die Polizei hat bestimmte Informationen, die außer den Ermittlern nur der Täter kennen kann. Es kommt leider viel häufiger vor, dass Menschen einen Tat gestehen, z.B. weil sie sich wichtig machen wollen oder von anderen unter Druck gesetzt werden. Wenn die dann einen Tatablauf schildern, der mit den den Ermittlern vorliegenden Daten nicht in Deckung zu bringen ist, ist das ein starkes Indiz dafür, dass sie eben nicht der Täter waren.
Selbst wenn die Angehörigen Informationen unter der Verpflichtung der Verschwiegenheit von der Polizei bekommen würde, wäre doch nie 100% sicher davon auszugehen, dass sie nicht mit weiteren Personen darüber sprechen würden. Es muss nicht mal böser Wille oder Tratschsucht dahinter stecken, gerade wenn es um belastende Infos geht, kann es sein, dass sich sich dass einfach von der Seele reden wollen und müssen. Der Vertraute erzählt es dann dem nächsten und schon ist die Verbreitung der Information nicht mehr kontrollierbar.
Hinzu kommt auch, dass die Polizei natürlich eine Art Schweigepflicht hat. Es sind 70.000 Hinweise eingegangen, erst jetzt wurde ein Tatverdächtiger festgenommen. Unter den 70.000 Hinweisen waren also mit Sicherheit eine sehr große Anzahl an Falschverdächtigungen. Auch diese müssen ja gar nicht mal aus Gehässigkeit oder mit Absicht gemacht worden sein, um jemand anderem Probleme zu machen. Die Ermittler haben immer wieder darum gebeten, auch kleinste Auffälligkeiten zu melden und Hinweise nicht aus falscher Rücksichtnahme zurückzuhalten. Die Polizei bekommt lieber 1000 Hinweise, von denen 999 falsch sind, als dass der Täter weiter unentdeckt leben kann, weil jeder denkt, "der xy ist doch vor 3 Wochen so nett zu mir gewesen, denn kann ich doch nicht bei der Polizei melden". Die Überprüfung der Hinweise obliegt der Polizei, die die Hinweise erhärten oder die Personen als Tatverdächtigen ausschließen.
Wenn jetzt eine durch einen Hinweis benannte Person von der Polizei befragt wird, und z.B. durch ein Alibi belegen kann, dass sie nicht als Täter in Frage kommt, dann darf diese Person natürlich auch keine Nachteile haben. Und wenn diese Person als Alibi z.B. ein Treffen mit ihrer Geliebten oder einen Besuch bei einer Prostituierten, vielleicht noch während der Arbeitszeit angibt, dann geht da nun mal niemanden etwas an. Eben auch die Angehörigen der Opfer nicht, denn es kann sich z.B. um deren Verwandte, Nachbarn, Freunde oder, gerade in einem kleinen Ort wie Delphi, um Bekannte oder meinetwegen "lokale Prominenz" (Bürgermeister, Lehrer, Pfarrer etc.) handeln.
Insofern erhalten auch die Angehörigen keinen Einblick in die Ermittlungsakten. Das ist für diese gerade in ungeklärten Fällen oft nur schwer zu ertragen, weil sie manchmal eben selber einen Verdacht haben, den die Polizei nicht bestätigen konnte und dann schnell der Polizei Ermittlungsfehler und Vertuschungsabsichten unterstellen, oft sogar öffentlich über die Presse, wenn sie Akteneinsicht fordern, aber diese natürlich nicht bekommen.
Douglas Carter hat immer wieder betont, wie eng seine Verbindung zu den Familien der Opfer ist und auch die Opferfamilien haben das mehrmals öffentlich gesagt. Ich denke das die Familien regelmäßig über den Stand und Fortgang der Ermittlungen informiert wurden, allerdings nur sehr grob und keinesfalls im Detail und auch nicht informell. Natürlich werden sie über so wichtige Schritte, wie z.B. eine Verhaftung informiert, da man einfach auch davon ausgehen muss, dass sie aufgrund der hohen Aufmerksamkeit dieses Falles kurz nach dem Bekanntwerden von Reportern bestürmt werden. Aber sicher haben sie keine Info erhalten, ob und wen die Polizei auf dem Radar hat, wo und wann welche Durchsuchungen durchgeführt werden und was dabei gefunden wurde. Sie haben die Informationen als mit einem kurzen Zeitvorsprung im Vergleich zur Öffentlichkeit, aber eben nicht unbedingt mehr Informationen als die Öffentlichkeit. Insofern bin ich sicher, dass die Familie das Video von Libbys Handy weder in voller Lange gesehen hat noch dessen genauen Inhalt kennt.
In den USA wird sehr großer Wert auf Transparenz im Justizsystem gelegt, deutlich mehr als in Deutschland. Z.B. sind die Daten der in einen Gefängnis eingewiesenen Personen öffentlich abrufbar, selbst wenn es sich "nur" um einen Untersuchungshaft handelt. In vielen Staaten können Gerichtsverfahren von Journalisten aufgezeichnet werden, Angeklagte können mit vollem Namen benannt und unverpixelt gezeigt werden. Nach Abschluss des Gerichtsverfahrens werden alle Akten öffentlich gemacht. Dieser Grundsatz der Transparenz gilt dabei nicht nur für das Justizsystem, sondern auch für Wahlen und Verwaltungsakte. Es geht dabei um das Recht der Bürger auf Mitbestimmung und Kontrolle der öffentlichen Hand (sog. Sunshine Laws), um Korruption und Missbrauch zu verhindern.
Allerdings unterscheiden sich die Gesetze zur Offenlegung in den einzelnen Bundesstaaten erheblich im Ausmaß der Offenlegungspflicht. Und in der Regel können eben Richter aus begründetem Anlass die Offenlegung bestimmter oder aller Informationen zumindest für eine bestimmte Zeit verbieten und unterbinden (z.B. durch eine sog. "gag order" oder einen "publication ban").
ich gehe deshalb davon aus, dass viele der Informationen zu den Ermittlungen und auch zum Prozess öffentlich werden, sobald der Prozess angefangen hat, spätestens wenn es zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist. Um dies Informationen dann auch weiterhin unter Verschluss halten zu können, braucht es in den USA schon sehr triftige Gründe.