Andante schrieb:Diesen Eindruck habe ich manchmal auch. Es ist ja nun mal nicht widerlegt, dass das bei Mazurek gefundene Tonbandgerät zweifelsfrei nicht das Gerät ist, das für die Erpresseranrufe benutzt worden ist. Es ist nur nicht zweifelsfrei belegt (und dass hat die Gutachterin im Prozess so apodiktisch auch nicht behauptet), dass es nur jenes ganz bestimmte Gerät und kein anderes des gleichen Typs gewesen sein kann.
Mit anderen Worten: Das bei Mazurek gefundene Gerät ist laut Gutachten "wahrscheinlich" benutzt worden, muss es aber nicht zwingend, weil sich das mit letzter Gewissheit nicht feststellen lässt. Damit kommt es natürlich auf die weiteren Indizien an und wie man die würdigt.
Rick_Blaine schrieb:
Das ist m.E. eben nicht so. M.E. gibt das Gutachten keineswegs eine so starke Bindung her, und umgekehrt sind die anderen Indizien viel stärker als unterstellt.
Diese anderen Indizien werden leider in der Debatte dadurch vernachlässigt, dass sich alles immer nur um das ach so wichtige Tonbandgutachten dreht, obwohl dieses bei der Beweiswürdigung durch das Gericht ersichtlich gar keine so wichtige Rolle gespielt hat. Aber das kann man nur wissen, wenn man eben das Urteil nachlesen hat können.
Andante schrieb:Andante schrieb:
Damit kommt es natürlich auf die weiteren Indizien an und wie man die würdigt.
PS: Wobei man im Zusammenhang mit dem Tonbandgerät berücksichtigen muss, dass Mazurek über dessen Herkunft offenbar gelogen hat. An den von ihm behaupteten erst kürzlich erfolgten Erwerb des Geräts auf dem Flohmarkt in Beverungen konnte sich jedenfalls keiner der zahlreich dazu vom Gericht befragten Zeugen erinnern. Dass die alle an Demenz litten oder Mazurek eins auswischen wollten: Das kann man unterstellen, muss es aber nicht. Das Gericht tat es vermutlich nicht.
Ich greife diese korrekten Gedanken hier noch einmal auf, weil ich das Gefühl habe, dass wir hier im Thread oft zwei Dinge verwechseln, die aber separat zu betrachten sind:
Einerseits gibt es das Tonbandgerät und andererseits das technische Gutachten, das sich allein mit der Frage befasst hat, ob das sichergestellte Tonbandgerät die B3 Melodiesequenz, die in den Erpresseranrufen vorkam, ursächlich für diese ist.
Dann wird oft gesagt: wegen dem
Tonbandgutachten wurde Mazurek verurteilt.
Wie schon geschrieben ist die Grundfrage freilich, ob dieses sichergestellte Tonbandgerät nun das ist, welches für die Erpresseranrufe verwendet wurde oder nicht. Kann man das klar und eindeutig bejahen, dann ist die Tatsache, dass es beim Tatverdächtigen gefunden wurde, schon ein sehr starkes Indiz seiner Schuld.
Beispiel: In Landshut wird am Freitag, den 13. Mai beim Juwelier und Goldschmied Graffelhuber eingebrochen und der weltweit einzigartige Donaumoos-Diamant entwendet, der einen einzigartigen Schliff und einzigartige physikalische und chemische Eigenheiten aufweist. Ein absolutes Unikat. Diese Eigenheiten sind extensiv in der Fachwelt dokumentiert und liegen der königlich bayerischen Gendarmerie vor.
Etwa einen Monat nach dem Einbruch bei Graffelhuber wird der nicht unbekannte Landshuter Bürger Alois Wachtelmooser verhaftet, da er dem polizeibekannten Hehler Josef Wurschteldinger einen Diamanten zum Kauf angeboten hat.
Eine gutachterliche Untersuchung ergab, dass der angebotene Diamant der Donaumoos-Diamant war. Das königliche Landgericht stellt einen dringenden Tatverdacht fest, dass Wachtelmooser den Einbruch und Diebstahl verübt hat.
Das ist vermutlich gut nachvollziehbar.
Jetzt ändern wir den Fall ein wenig: Der Diamant ist nun nicht mehr einzigartig, sondern zwar wertvoll, aber doch nur einer von geschätzt 5000 ähnlichen Diamanten, die in Bayern zu finden sind. Alles weitere bleibt gleich, ein solcher Diamant wird in Landshut entwendet, der Wachtelmooser bietet dem Wurschteldinger einen solchen Diamanten an.
Eine Gutachterin bescheinigt, dass der sichergestellte Diamant im Prinzip einer der geschätzt 5000 Diamanten im Königreich ist. Ob es aber der in Landshut gestohlene ist, kann die Gutachterin nicht mit wissenschaftlich begründeter Sicherheit sagen.
Der Staatsanwalt jedoch meint, dass Wachtelmooser keinesfalls legal in den Besitz dieses Diamanten gekommen sein kann. Ausserdem stellt er fest, dass Wachtelmooser kein Alibi für den Tatzeitpunkt besitzt, in grossen Geldnöten ist, bereits vorbestraft ist und auch sonst ihm zuzutrauen ist, beim Juwelier einzubrechen. Deswegen wird Anklage erhoben.
Obwohl nicht dazu verpflichtet, lässt sich Wachtelmooser bei der Gendarmerie zu dieser Sache ein und behauptet, den Diamanten erst eine Woche vor seiner Festnahme auf einem Flohmarkt im benachbarten österreichischen Braunau erstanden zu haben. Zwei Zigeuner (nicht abwertend gemeint) hätten ihm den Diamanten für 300 Taler verkauft. Er schildert ausführlich die Verkäufer, deren Stand, macht sehr konkrete Angaben zur Uhrzeit und einigem anderen.
Vor Gericht wiederholt er diese Angaben, benennt aber keine Zeugen, die diese stützen.
Der Staatsanwalt fährt nun 10 Zeugen auf, die folgendes aussagen: 1. Sie haben selbst einen Stand auf dem Flohmarkt gehabt und können sich an keine Zigeuner erinnern, die dort etwas verkauft hätten, geschweige denn einen Stand dort gehabt haben. 2. Die Ehefrau unseres Angeklagten gibt an, zu der Zeit, zu welcher er den Diamanten gekauft haben will, mit dem Angeklagten im Goldenen Ochsen in Deggendorf einen Schweinsbraten verzehrt zu haben. Zum Flohmarkt nach Braunau sei man erst 3 Stunden später gefahren. 3. Der kuk Zollinspektor Hrdlicka gibt glaubwürdig an, dass die österreichische Zollwache drei Beamte in Zivil auf dem Flohmarkt eingesetzt hat, um den Verkauf geschmuggelter Ware zu unterbinden. Keinem der Beamten sei ein Diamant aufgefallen. Auch haben sie keinen Verkäufer zur fraglichen Zeit gesehen, auf welchen die Beschreibung passt, die der Angeklagte abgegeben hat. Auch den Angeklagten haben sie dort nicht gesehen.
So, nun halten wir an und sagen, wie früher im deutschen Fernsehen: "Wie würden Sie entscheiden?"
Egal wie die Entscheidung ausfällt, ist, so meine ich, ist nun nachzuvollziehbar, dass das Gutachten zum Diamanten allein gar nicht die Grundlage der Entscheidung sein wird. Die nicht belegbaren und teilweise widerlegten Aussagen des Wachtelmooser dagegen hinterlassen einen weitaus stärkeren Eindruck auf der Richterbank.
Niemand braucht vor dem bayerischen Gericht seine Unschuld beweisen. Aber wenn er es versucht und dabei nur Widersprüche usw. herauskommen, darf man nicht ganz verwundert sein, wenn das Gericht beginnt, Zweifel an der Unschuld zu haben. Und wenn dann noch eine ganze Menge mehr Indizien auf die Tatbegehung weisen, dann wird man auch von einem Schuldspruch nicht überrascht sein. Und das ganz ohne das Gutachten in den Mittelpunkt stellen zu müssen.