Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre
03.11.2019 um 05:00So, ich melde mich nun mal zu Wort. Mir ist klar, dass nicht alle Teilnehmer hier Kenntnis des gesamten Urteils haben, mir ist auch klar, dass ich keine Kenntnis der verschiedenen Verhandlungen, die hier stattfanden, durch eigenes Erleben habe. Ich habe auch überhaupt keine Ahnung von Technik oder gar den Themen der Tonband-Diskussion hier.
Ich kann also nur rein subjektive Eindrücke wiedergeben, die ich als fachkundiger Mensch (Jurist und Strafverteidiger) hier gewonnen habe, und zwar in erster Linie durch das Lesen des gesamten Urteils des Strafverfahrens gegen M.
Zuerst muss ich sagen, ich habe selten ein so umfangreiches Urteil gelesen, es umfasst mehr als 300 Seiten. Ich habe den Eindruck, das Gericht hat sich sehr bemüht, die Wahrheit in diesem Fall zu ergründen. Ich muss auch feststellen, dass ich noch nie einem Fall begegnet bin, in dem so viele Zeugen vor der Hauptverhandlung verstorben sind, so dass in vielen Fällen nur der Urkundsbeweis einer mehr oder weniger protokollierten früheren Vernehmung oder gar nur die Aussage ehemaliger Vernehmungsbeamter verwendet werden konnte.
Als Strafverteidiger bekomme ich da automatisch Bauchschmerzen, da der Unmittelbarkeitsgrundsatz, also der Grundsatz, dass Zeugen in der Hauptverhandlung vom Gericht zu vernehmen sind, mir sehr wichtig ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diesen Grundsatz ausgebaut dahingehend, wie er auch z.B. in der schweizerischen oder der amerikanischen Bundesverfassung integriert ist, dass ein Angeklagter das Recht haben sollte, ihn belastende Zeugen zu konfrontieren.
In allen mir bekannten Rechtsordnungen gibt es aber Ausnahmen von diesem Grundsatz, z.B. wenn ein Zeuge zuvor verstorben ist und frühere Aussagen von ihm oder ihr vorliegen. Insofern ist formalrechtlich hier alles in Ordnung, aber es stellt dieses Gericht hier vor einige Herausforderungen. Die Richter hier mussten die Glaubwürdigkeit, die Persönlichkeit und andere Umstände der Zeugen und deren Aussagen beurteilen, ohne die Zeugen persönlich in Augenschein nehmen zu können. Das ist ein Problem.
Das heisst nicht automatisch, dass es hier Fehler gemacht hat!
Mir persönlich erscheint, und hier komme ich jetzt zu einem Punkt, der in der Diskussion in diesem Thread eventuell anders erscheint, mir persönlich scheint das Gericht M. nicht in erster Linie wegen dem Tonband und dem dazu gehörenden Gutachten verurteilt zu haben. Es spricht zwar davon, dass dieses Thema ein wesentlichen Einfluss hatte, aber weder der Umfang der Erörterung im Urteil noch die Schlussfolgerungen des Gerichts scheinen mir dahingehend zu sein, dass ich das Gefühl hätte, ohne dieses wäre M. nicht verurteilt worden.
Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl das Tonband war gar nicht so relevant, wie es hier durch die sehr detaillierte Diskussion erschien. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass wenn dieses Tonband nie gefunden worden wäre, ich dennoch den Schlussfolgerungen des Gerichts folgen kann, dass M. der Täter gewesen ist.
Die Folgerungen des Gerichts hinsichtlich Motiv, Gelegenheit und Tatausführung des M. sind für mich auch ohne das Tonband nachvollziehbar.
Dabei berufe ich mich und beruft das Gericht sich freilich sehr stark auf die Person und die Aussagen des Pfaffinger. Er hat sicherlich eine Schlüsselfunktion in all dem.
Aber auch hier gilt: nicht nur er.
Das Gericht geht davon aus, dass an der Tat mindestens zwei Personen beteiligt gewesen sind. Eine davon war M., eine davon P. Eventuell sogar eine dritte Person - hier ist ein Punkt, den ich gerne weiter ausgeführt gesehen hätte, das Gericht nimmt diesen Faden aber leider nicht weiter auf, obwohl es ihn begonnen hat.
Nun schauen wir mal: Zum Motiv. Ein Motiv ist übrigens im Strafrecht keine zwingende Voraussetzung für eine Verurteilung. Es sind Fälle vorstellbar und kommen vor, in welchen das Motiv des Täters im Dunklen bleibt, aber seine Tatbeteiligung anderweitig völlig klar ist.
Hier hat das Gericht angenommen, dass M. konstant erhebliche Geldschulden hatte und auch in der Vergangenheit immer wieder einmal eine Straftat zur Behebung der Geldsorgen in Erwägung gezogen hat. Das wird durch Zeugenaussagen gestützt.
Eine Gelegenheit für M. die Tat zu begehen ergab sich für das Gericht aus verschiedensten Elementen schlüssig, die ebenfalls recht akribisch durch Zeugenaussagen und verschiedene Gutachten erhoben wurden. M. war der Tatort vermutlich bekannt, er hat vor allem kein plausibles Alibi und er hat Kenntnisse, die dem Täter bei der Tat sicherlich hilfreich waren. Dazu verfügte er über Möglichkeiten, die Tat vorzubereiten (Zugang zu Werkstätten etc.)
Das Gericht hat akribisch versucht, die vielfältigen Personenkonstellationen hier zu verstehen und zu bewerten, also die Beziehungen zwischen M. und verschiedenen Zeugen.
In all dem habe ich keine formalrechtlichen Fehler gesehen (ich bin aber nicht der BGH!) und kann die Schlussfolgerungen im Urteil durchaus nachvollziehen.
Das Gericht hat sich auch mit mindestens einer anderen Person, die als Täter in Frage zu kommen schien, ausführlich beschäftigt und festgestellt, dass dieser Person keine schlüssige Tatbeteiligung oder Tatausführung nachzuweisen ist. Dem konnte ich folgen.
Meiner Meinung nach hat das Nachtatverhalten des M. und vor allem seine eigenen Aussagen schlüssig zur Verurteilung geführt. Die Polizei hat mit einigem Aufwand hier ermittelt und z.B. auch Telefongespräche des Verdächtigen abgehört. Der Inhalt eines davon ist m.E. ein sehr starkes Indiz für die Täterschaft.
Noch einmal zum Tonband. Ich habe keine Ahnung von der Technik und die hier sehr detaillierte Diskussion geht weit über meinen Horizont. Ich stimme der Diskussion hier zu, dass ich das Gutachten der Gutachterin für sehr problematisch halte und denke, das Gericht hätte es durchaus ignorieren sollen. Aber, zumindest aus dem Urteil sehe ich, dass das Gericht es keineswegs für den Kernpunkt seiner Beurteilung des gesamten Falles angesehen hat.
Und daher komme ich zu meiner ganz persönlichen Einschätzung: selbst wenn man das Gutachten erfolgreich anfechten und aus der Beweiswürdigung ganz herausnehmen würde, bleibt mir der Eindruck, dass M. dennoch zu Recht verurteilt ist, bzw. dass eine solche Anfechtung nicht zu einem anderen Urteilsspruch führen würde. Oder in anderen Worten gesagt: selbst wenn man überzeugend darlegen kann, dass das untersuchte Tonbandgerät nicht das des M. gewesen ist oder nicht das gewesen ist, mit welchem man die Telefonanrufe bei der Familie H. technisch vorbereitet hat, ändert das m.E. nichts an den anderen Indizien, die auf eine Schuld des M. hinweisen.
Soviel von mir. Verzeiht mir, dass ich hier eine Beurteilung abgebe, die auf der Kenntnis des Urteils beruft, die nicht alle hier haben. Und ich will auch noch einmal klarstellen, dass dies lediglich mein persönlicher Eindruck ist, ich bin weder Richter noch sonst wie Beteiligter an diesem Verfahren und mein Eindruck kann natürlich ganz falsch sein.
Ich kann also nur rein subjektive Eindrücke wiedergeben, die ich als fachkundiger Mensch (Jurist und Strafverteidiger) hier gewonnen habe, und zwar in erster Linie durch das Lesen des gesamten Urteils des Strafverfahrens gegen M.
Zuerst muss ich sagen, ich habe selten ein so umfangreiches Urteil gelesen, es umfasst mehr als 300 Seiten. Ich habe den Eindruck, das Gericht hat sich sehr bemüht, die Wahrheit in diesem Fall zu ergründen. Ich muss auch feststellen, dass ich noch nie einem Fall begegnet bin, in dem so viele Zeugen vor der Hauptverhandlung verstorben sind, so dass in vielen Fällen nur der Urkundsbeweis einer mehr oder weniger protokollierten früheren Vernehmung oder gar nur die Aussage ehemaliger Vernehmungsbeamter verwendet werden konnte.
Als Strafverteidiger bekomme ich da automatisch Bauchschmerzen, da der Unmittelbarkeitsgrundsatz, also der Grundsatz, dass Zeugen in der Hauptverhandlung vom Gericht zu vernehmen sind, mir sehr wichtig ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diesen Grundsatz ausgebaut dahingehend, wie er auch z.B. in der schweizerischen oder der amerikanischen Bundesverfassung integriert ist, dass ein Angeklagter das Recht haben sollte, ihn belastende Zeugen zu konfrontieren.
In allen mir bekannten Rechtsordnungen gibt es aber Ausnahmen von diesem Grundsatz, z.B. wenn ein Zeuge zuvor verstorben ist und frühere Aussagen von ihm oder ihr vorliegen. Insofern ist formalrechtlich hier alles in Ordnung, aber es stellt dieses Gericht hier vor einige Herausforderungen. Die Richter hier mussten die Glaubwürdigkeit, die Persönlichkeit und andere Umstände der Zeugen und deren Aussagen beurteilen, ohne die Zeugen persönlich in Augenschein nehmen zu können. Das ist ein Problem.
Das heisst nicht automatisch, dass es hier Fehler gemacht hat!
Mir persönlich erscheint, und hier komme ich jetzt zu einem Punkt, der in der Diskussion in diesem Thread eventuell anders erscheint, mir persönlich scheint das Gericht M. nicht in erster Linie wegen dem Tonband und dem dazu gehörenden Gutachten verurteilt zu haben. Es spricht zwar davon, dass dieses Thema ein wesentlichen Einfluss hatte, aber weder der Umfang der Erörterung im Urteil noch die Schlussfolgerungen des Gerichts scheinen mir dahingehend zu sein, dass ich das Gefühl hätte, ohne dieses wäre M. nicht verurteilt worden.
Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl das Tonband war gar nicht so relevant, wie es hier durch die sehr detaillierte Diskussion erschien. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass wenn dieses Tonband nie gefunden worden wäre, ich dennoch den Schlussfolgerungen des Gerichts folgen kann, dass M. der Täter gewesen ist.
Die Folgerungen des Gerichts hinsichtlich Motiv, Gelegenheit und Tatausführung des M. sind für mich auch ohne das Tonband nachvollziehbar.
Dabei berufe ich mich und beruft das Gericht sich freilich sehr stark auf die Person und die Aussagen des Pfaffinger. Er hat sicherlich eine Schlüsselfunktion in all dem.
Aber auch hier gilt: nicht nur er.
Das Gericht geht davon aus, dass an der Tat mindestens zwei Personen beteiligt gewesen sind. Eine davon war M., eine davon P. Eventuell sogar eine dritte Person - hier ist ein Punkt, den ich gerne weiter ausgeführt gesehen hätte, das Gericht nimmt diesen Faden aber leider nicht weiter auf, obwohl es ihn begonnen hat.
Nun schauen wir mal: Zum Motiv. Ein Motiv ist übrigens im Strafrecht keine zwingende Voraussetzung für eine Verurteilung. Es sind Fälle vorstellbar und kommen vor, in welchen das Motiv des Täters im Dunklen bleibt, aber seine Tatbeteiligung anderweitig völlig klar ist.
Hier hat das Gericht angenommen, dass M. konstant erhebliche Geldschulden hatte und auch in der Vergangenheit immer wieder einmal eine Straftat zur Behebung der Geldsorgen in Erwägung gezogen hat. Das wird durch Zeugenaussagen gestützt.
Eine Gelegenheit für M. die Tat zu begehen ergab sich für das Gericht aus verschiedensten Elementen schlüssig, die ebenfalls recht akribisch durch Zeugenaussagen und verschiedene Gutachten erhoben wurden. M. war der Tatort vermutlich bekannt, er hat vor allem kein plausibles Alibi und er hat Kenntnisse, die dem Täter bei der Tat sicherlich hilfreich waren. Dazu verfügte er über Möglichkeiten, die Tat vorzubereiten (Zugang zu Werkstätten etc.)
Das Gericht hat akribisch versucht, die vielfältigen Personenkonstellationen hier zu verstehen und zu bewerten, also die Beziehungen zwischen M. und verschiedenen Zeugen.
In all dem habe ich keine formalrechtlichen Fehler gesehen (ich bin aber nicht der BGH!) und kann die Schlussfolgerungen im Urteil durchaus nachvollziehen.
Das Gericht hat sich auch mit mindestens einer anderen Person, die als Täter in Frage zu kommen schien, ausführlich beschäftigt und festgestellt, dass dieser Person keine schlüssige Tatbeteiligung oder Tatausführung nachzuweisen ist. Dem konnte ich folgen.
Meiner Meinung nach hat das Nachtatverhalten des M. und vor allem seine eigenen Aussagen schlüssig zur Verurteilung geführt. Die Polizei hat mit einigem Aufwand hier ermittelt und z.B. auch Telefongespräche des Verdächtigen abgehört. Der Inhalt eines davon ist m.E. ein sehr starkes Indiz für die Täterschaft.
Noch einmal zum Tonband. Ich habe keine Ahnung von der Technik und die hier sehr detaillierte Diskussion geht weit über meinen Horizont. Ich stimme der Diskussion hier zu, dass ich das Gutachten der Gutachterin für sehr problematisch halte und denke, das Gericht hätte es durchaus ignorieren sollen. Aber, zumindest aus dem Urteil sehe ich, dass das Gericht es keineswegs für den Kernpunkt seiner Beurteilung des gesamten Falles angesehen hat.
Und daher komme ich zu meiner ganz persönlichen Einschätzung: selbst wenn man das Gutachten erfolgreich anfechten und aus der Beweiswürdigung ganz herausnehmen würde, bleibt mir der Eindruck, dass M. dennoch zu Recht verurteilt ist, bzw. dass eine solche Anfechtung nicht zu einem anderen Urteilsspruch führen würde. Oder in anderen Worten gesagt: selbst wenn man überzeugend darlegen kann, dass das untersuchte Tonbandgerät nicht das des M. gewesen ist oder nicht das gewesen ist, mit welchem man die Telefonanrufe bei der Familie H. technisch vorbereitet hat, ändert das m.E. nichts an den anderen Indizien, die auf eine Schuld des M. hinweisen.
Soviel von mir. Verzeiht mir, dass ich hier eine Beurteilung abgebe, die auf der Kenntnis des Urteils beruft, die nicht alle hier haben. Und ich will auch noch einmal klarstellen, dass dies lediglich mein persönlicher Eindruck ist, ich bin weder Richter noch sonst wie Beteiligter an diesem Verfahren und mein Eindruck kann natürlich ganz falsch sein.