Inga Gehricke - Fünfjährige in Stendal vermisst

Blaubeeren schrieb:Aber es war vielleicht auch alles ganz anders. Es sind ja nur Überlegungen.

Ja klar. Und wir alle sind weder Kriminalisten noch haben wir Einblick in Akten (samt der Spur V.29 und den Seiten zu Martin H.) und den Vernehmungsprotokollen. Und so können die Überlegungen hier ja nur laienhaft sein.

Es bringt dabei mE bei so vielen beteiligten Personen wenig, zu fragen „Wer von allen in Frage kommenden Personen kann es gewesen sein?“, sofern nicht gleich alles auf eine spezielle Person hindeutet.

Der richtigere Weg wäre mE der über das Ausschlussverfahren. Man fragt also als erstes „Wer von allen in Frage kommenden Personen kann es definitiv nicht gewesen sein?“. Und dann schaut man, wer übrigbleibt und befasst sich mit diese Personen näher.

Die Ermittler sind dabei natürlich gezwungen, darauf zu achten, dass sie für eine Anklage ihren Verdacht auch durch beweisbare Fakten untermauern müssen. Anders als teilweise hier im Thread reicht es bei ihnen nicht, sich auf wilde Spekulationen zu beschränken.

Gute Überlegungen, @heritage !
Das würde ich gern nochmal für einen Fahrzeugstandort auf dem Hofgelände durchspielen. Später...

Gerade in dem Alter von 5 Jahren sind Kinder doch recht phantasievoll, wir wissen nicht, was sich Inga ev. gedacht haben könnte und irgendwohin gegangen ist, wo sie zuerst niemand vermutet hat. Z.B. hätte sie vielleicht noch Blumen pflücken wollen als Überraschung, oder hat ein Tier gesehen, oder wollte bei der Tierfütterung mithelfen (Stallfütterung), ... Das könnte man jetzt unendlich weiterführen, weil wir nicht wissen, was in ihrem Kopf vorging. Vielleicht etwas, wo sie dachte, da freuen sich dann alle, oder die Mutter, wenn ich das oder das noch schnell hole. Vor allem können kleine Kinder auch schnell vom eigentlichen Vorhaben abkommen, wenn ihnen kurzfristig was anderes spannendes dazwischen kommt.

Wahrscheinlich war Inga auch nicht lange alleine unterwegs. Ihre Mutter hat sie kurz davor noch in Begleitung gesehen. Wer diese Begleitung war, wurde nicht gesagt. Dass die Kinder nicht immer alles gemeinsam machen ist doch auch normal, vor allem, wenn Inga das jüngste Kind war. Da wollen die "Großen" dann auch mal was alleine machen, oder hatten im Gegensatz zu Inga keine Lust zum Wasserflaschen holen.

Und dass es vor allem dann, wenn sich die Erwachsenen in mehrere Gruppen aufteilen, und ein Kind zum Hin und Her Laufen anfängt auch schnell unübersichtlich wird, wo das Kind grad ist, bzw. man sich auf den jeweils anderen verlässt, dass er/sie das Kind beaufsichtigt, kennen wahrscheinlich auch die meisten. Ich kenne es halt so, dass wir uns dann immer kurz zugerufen haben, damit derjenige auch wirklich wusste, dass er ab jetzt mit Beaufsichtigung dran war. Aber gerade mit 5 Jahren lässt man den Kindern da vielleicht auch schon mehr Freiraum, vor allem, wenn es augenscheinlich keine Bedrohung gibt und eh genug Erwachsene rumrennen, die irgendwie zumindest ein Auge drauf haben.

Und das mit den Zeugen ist auch echt schwierig. Da die Bewohner des Wilhelmshofes vermutlich zum Teil gar nicht verhört werden können aufgrund ihrer Beeinträchtigung oder es nicht einzuschätzen ist, inwieweit das Gesagte dann auch zutreffend wahrgenommen wurde.

Der Wilhelmshof mit seiner Abgelegenheit ist eigentlich schon ein überschaubares soziales Gefüge, das gute Voraussetzungen für systematische Ermittlungen geboten hat und nach dem Ereignis auch intern sicher durch viele Gespräche lange Zeit daran "gearbeitet" hat.

Und so kam es wohl auch zu dem einen Verdachtsfall, der bekannt wurde. Inwieweit der sich entkräften ließ und ob es noch andere gab, ist uns nicht bekannt. Die Gastgeberfamilie, die auf dem Hof lebte, weiß darüber sicher mehr und wird mit Familie Gehricke wohl lange Zeit in intensivem Kontakt gestanden und Gespräche geführt haben.

Auch der Eindruck, dass an jenem Tag ein größerer Trubel und Gewusel herrschte, trügt mMn ein bißchen. Verglichen mit einer Stadt fällt an so einem Ort doch immer die große Ruhe auf, die dort herrscht. Für Menschen, die dort leben muss das doch alles recht überschaubar gewesen sein - und auch dem Täter gute Bedingungen für Beobachtungen und eine Gelegenheit geboten haben.

Es ist schon unheimlich bedauerlich, wenn so ein schreckliches Verbrechen dann zu den Akten gelegt wird. Ich verstehe die Eltern schon sehr.

Helen559 schrieb:Und so kam es wohl auch zu dem einen Verdachtsfall, der bekannt wurde

Laut Protokoll der Innenausschusssitzung hat der Vertreter des Innenministeriums den Abgeordneten erklärt, dass es insgesamt zwei Verdachtsfälle gab.

Mit Wirkung vom 5. Mai 2015 wurde im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Stendal die Ermittlungsgruppe „Wald“ im Fachkommissariat2 der Zentralen Kriminalitätsbekämpfung der Polizeidirektion Sachsen‐Anhalt Nord mit Sitz in Stendal eingerichtet. Zunächst wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Entziehung Minderjähriger gemäß § 235 des Strafgesetzbuches gegen unbekannt geführt. Dieses Ermittlungsverfahren war unter anderem die Grundlage für strafprozessuale Maßnahmen wie die Einholung eines richterlichen Beschlusses zur Erlangung von Funkzellendaten.

Am 7. Dezember 2016 wurde das Ermittlungsverfahren aufgrund eines Hinweises durch die Staatsanwaltschaft als sonstiger Mord einklassifiziert. Die Ermittlungen richteten sich nunmehr gegen zwei Tatverdächtige.

Quelle: bereits mehrfach verlinktes Protokoll, dort Seite 30.

@Andante
Ja, das wissen wir doch... Und auch, um wen es sich bei dem zweiten handelt ; )...Spur V29.

@Helen559

Nein, gegen Spur V.29, die sowieso erst 2019 erstmals durch die Polizeiakademie Nienburg aufkam, wurde nie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Brückner war zu keinem Zeitpunkt Beschuldigter, dafür reichte der Verdacht gegen ihn nicht aus. Es gab gerade mal den Parkplatzrempler. Und in Neuwegersleben, das damals bekanntlich in anderer Sache von der Polizei Magdeburg durchsucht wurde und wo Ermittler der Gruppe „Wald“ dabei waren, wurde in Sachen Inga nichts gefunden. Die Funkzellenauswertung hat auch nichts ergeben. Ergo nicht genug für ein Ermittlungsverfahren gegen Brückner. Es gab gerade mal eine Spurenakte.
Das wurde hier aber wirklich schon oft diskutiert, Links dazu gab es auch.

Martin H. war übrigens auch nie formell Beschuldigter. Bevor gegen jemanden so ein Ermittlungsverfahren eröffnet und der Betreffende entsprecht belehrt wird, müssen ja erst mal genug Verdachtspunkte dasein, UM überhaupt gegen ihn ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen.

Nicht jede Spur, die mittels Spurenakte verfolgt wird, führt gleich zu einem Ermittlungsverfahren gegen die betreffende Person. Da hätten die Ermittler ja viel zu tun…

Das ist alles richtig, trotzdem ist er dieser zweite "Verdächtige" im weitesten Sinne. So ist einfach nur der Sprachgebrauch in den Medien und bei den Anwälten. Mehr Spuren gab es ja nicht.

Helen559 schrieb:So ist einfach nur der Sprachgebrauch in den Medien und bei den Anwälte

Mag sein, aber entscheidend ist doch, wen die Behörden als Verdächtige im strafprozessualen Sinn führen.

Helen559 schrieb:Mehr Spuren gab es ja nicht.

Doch, es muss eben zwei Personen gegeben haben, gegen die Ermittlungsverfahren geführt wurden. Martin H. gehört nicht dazu, Brückner auch nicht. Wer die Personen waren wissen wir nicht. Und da die Ermittlungsverfahren gegen sie (die beiden Unbekannten) längst eingestellt wurden, werden die Behörden uns ganz sicher nicht nachträglich auf die Nase binden, wer das war.

Zum Glück für die Betroffenen, kann man nur sagen, wenn man sich das Medienrauschen vorstellt, das sofort einsetzen würde. Die Anwälte scheinen da aus ihnen wichtig erscheinenden Gründen auch nicht mitteilsamer werden zu wollen.

Die beiden waren ja kurzzeitig verdächtig und es wurde ja polizeilich ermittelt.Das was Du beschreibst, war ja das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen. Und die haben eben nicht mehr ergeben. Darum "frühere Verdächtige". Das waren die beiden. Hätte es noch mehr gegeben, hätten wir sicher davon erfahren.

Und das mit dem Parkplatzrempler, Brief und Grundstück sehe ich persönlich auch gänzlich anders. Ihr stellt das alles viel zu verkürzt dar.

Helen559 schrieb:Die beiden waren ja kurzzeitig verdächtig und es wurde ja polizeilich ermittelt.Das was Du beschreibst, war ja das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen. Und die haben eben nicht mehr ergeben. Darum "frühere Verdächtige". Das waren die beiden.

Aber diese Logik könnte man dann auch auf Silvio S oder Klaus J anwenden.
Beide wurden unter die Lupe genommen und bei dem einen wurde letztendlich als Ermittlungsergebnis ein Alibi bekanntgegeben zur relevanten Zeit.

Das sind jedenfalls die beiden Verdächtigen, von denen jemals die Rede war und von denen die Anwälte sprechen.

Helen559 schrieb:Ihr stellt das alles viel zu verkürzt dar.

Was heißt denn „verkürzt“? Wenn die Briefspur nichts hergegeben hat, das Grundstück nicht, die Funkzellenauswertung nicht, der Parkplatzrempler nicht, es keinen Zeugen gibt, der Brückner am fraglichen Tag am Verschwindeort gesehen hat, war es das halt. Da gibt es dann nicht viel zu verkürzen.

Natürlich wäre es den Ermittlern sehr recht, wenn sie Angehörigen und Öffentlichkeit und Politik endlich einen veritablen Tatverdächtigen präsentieren könnten anstatt sich jahrelang andauernden dauernd Vorwürfen ausgesetzt zu sehen, dass sie es nicht bringen und zu dumm zum Milchholen sind. Aber woher so einen Tatverdächtigen nehmen, wenn keine Beweise da sind?

Dass in diesem Staat jemand unter so einem Druck leichtfertig ohne Beweise beschuldigt und angeklagt wird, können wir doch alle nicht wollen. Ich erinnere mich, dass im Fall Peggy Knobloch genau das der Kritikpunkt war: dass der damalige bayerische Innenminister Beckstein nach dem Verschwinden des Kindes schnell einen Verdächtigen wollte und dass Ulvi K. damals quasi ein Bauernopfer war.

Blaubeeren schrieb:Aber diese Logik könnte man dann auch auf Silvio S oder Klaus J anwenden.
Beide wurden unter die Lupe genommen und bei dem einen wurde letztendlich als Ermittlungsergebnis ein Alibi bekanntgegeben zur relevanten Zeit.

Genau, die beiden waren Spuren und bekamen Spurenakten. Nachdem sich keine ausreichenden Verdachtsmomente, also ausreichend für förmliche Ermittlungsverfahren, gefunden hatte, wurden diese Spurenakten geschlossen.

Ich wette, da gibt es noch viel mehr solcher Spurenakten. Bei über 2200 verfolgten Spuren und Hinweisen (bis hin zu Wahrsagern) ist das zu erwarten. Nur erfährt die Öffentlichkeit hiervon im Regelfall nichts, jedenfalls nicht durch Ermittler, allenfalls durch plaudernde Anwälte. Ob der von so einer Spur Betroffene immer selber davon erfährt, möchte ich bezweifeln.

In dem Interview mit Ingas Mama sagt diese so sinngemäß (der genaue Wortlaut ist mir nicht mehr im Kopf), dass seit Ingas Verschwinden da immer ein Misstrauen bei ihr ist gegenüber anderen Menschen. Für mich hört sich das so an, dass da auch ein Misstrauen sein könnte gegenüber den am Grillfest beteiligten (befreundeten) Familien. Man kann nicht in die Köpfe von anderen Menschen hinein schauen und letzten Endes ganz sicher sein, dass nicht auch Freunde ein z. B. Verbrechen begangen haben. Insgesamt glaube ich, dass das Verschwinden von Inga schon eine krasse Zerreißprobe ist für Freundschaften und Familie.

@Konifere
Ich denke, die Mutter wird es im Bauchgefühl haben, wer in Frage kommt. Das darf sie aber nicht öffentlich sagen. Sie hat es aber sicher mit der Polizei besprochen. Nur ohne Beweise nutzt das nichts. Sie hat doch von dieser einen Person gesprochen, die damals auch da war, als Inga das erste Mal verschwand. Ich tippe mal darauf, dass damals mit dieser Person schon etwas merkwürdig war. Da Inga aber wieder auftauchte, hat sie den Gedanken zerschlagen. Vielleicht hat diese Person damals schon versucht, Inga wegzulocken und diesmal ist es ihm gelungen. So ähnlich scheinen mir die Gedankengänge der Mutter zu sein, ich hoffe ich interpretiere da nicht zuviel hinein.

Ob sie nun recht hat oder nicht: Ich glaube nicht an einen Täter von außen, das wäre nicht so glatt abgelaufen. Ich bin mir sicher, es war jemand vom Hof. Wenn man diejenigen abzieht, die kein Auto zur Verfügung hatten, dann ist der Kreis gar nicht mal so groß.

Hier das Protokoll der weiteren Innenausschusssitzung vom 13.04.2023, in der es zu Inga weiter ging:

Dateianhang: inn020p8i.pdf (644 KB)