Doppelmord Babenhausen
19.11.2014 um 10:05
Na ja, anders sieht es mit dem Hauptindiz aus.
Für die Feststellung der Täterschaft wird ja gerne nach diesem Muster vorgegangen:
1) Motiv
2) Gelegenheit zur Tat
3) Indizien
AD hatte ein Motiv. Die unerträgliche Belästigung seitens der Nachbarn kann einen durchaus zu extremen Taten bringen. Ich selbst habe einmal neben ähnlich destruktiven Nachbarn gelebt und mir manchmal vorgestellt, man müsste einfach die Schrotflinte nehmen.... Hab' ich natürlich nicht getan, aber ich habe auch nicht so viele Jahre dort leben müssen. Das Gericht stellt recht schlüssig dar, dass AD keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat, dieses Riesenproblem zu lösen. Die Einwände seiner Frau, der Lärm sei doch gar nicht so schlimm gewesen, sind durch genug Zeugenaussagen widerlegt: AD hat es als so schlimm empfunden.
Umgekehrt ist kein Motiv irgendeines anderen Täters glaubhaft ermittelt worden. Die Tolls waren definitiv grauslige Nachbarn, aber hatten anscheinend keine anderen Feinde etc.
2) Gelegenheit gab es. AD wohnte nebenan. Er war in der Tatnacht allein zu Hause. Er kannte die Gepflogenheiten der Opfer, er kannte den Tatort, er wusste vor allem um die Zeitabläufe im Haushalt Toll. Ein ortsfremder Täter hätte entweder grosses Glück gehabt, oder die Tolls zuvor zumindest ein wenig ausforschen und beobachten müssen. Darauf schliesst aber nichts. Es wurden nie merkwürdige Fremde gesehen, es gab keinerlei Hinweise auf so etwas.
3) Indizien:
A. Der Schalldämpfer
Das Gericht hat sehr schlüssig dargelegt, dass ein Bauschaum-Schalldämpfer bei der Tat verwendet wurde. Die Spuren, hier die Partikel, die auf allen Opfern und in deren Umgebung gefunden wurden, zeigen dies recht eindeutig. Es gibt keine plausible Erklärung für diese Spuren jenseits der Annahme, dass es sich um einen solchen Schalldämpfer gehandelt hat.
Dabei bewerte ich die Tatsache gar nicht, dass die anderen Zeugen nur 2 Schüsse gehört haben, usw., also dass tatsächlich eine Dämpfung des Schalls stattgefunden hat. Mir sind hier die gefunden Bauschaum-Partikel aussagekräftig genug.
Die Tests, die ergeben haben, dass es sich bei den Partikeln um Bauschaum handeln dürfte, erscheinen mir auch glaubwürdig und schlüssig.
Die Tatsache, dass die Spuren auf allen Opfern gefunden wurden, weist darauf hin, dass bei der Tat die Sache funktioniert hat. Daran ändert auch nichts, dass bei nachgestellten Versuchen, das nicht immer geklappt hat, also die PET-Flasche sich löste. Auch ein Täter hat einmal Glück.
Ist nun erwiesen, dass ein solcher Schalldämpfer verwendet wurde, geht es zum nächsten Schritt:
B. In der Firma des AD wurde nachweislich eine Bauanleitung zu genau so einem Schalldämpfer relativ zeitnah zur Tat erforscht und ausgedruckt.
An den peniblen Schritten der Ermittlung gibt es keinen Grund zum Zweifel: die Internet-Adresse des anfordernden Computers wurde auf dem server in der Schweiz gefunden, ebenso sein browser Profil. Dieses ergab einen "match" mit dem Computer des AD. Andere Computer in der Firma wichen im Browser Profil ab. Es wurde ein plausibler Zeitrahmen erstellt, der zeigt, dass AD zur Ausdruckzeit in der Firma war.
Es bleiben mehrere Szenarien, die man nach der vernünftigen Wahrscheinlichkeit beurteilen muss:
-AD hat selbst die internet recherche durchgeführt und selbst den Bauplan ausgedruckt. Hierfür spricht, dass es die logischste Erklärung ist: es war sein Computer, sein Profil, sein Benutzerkonto
-AD hat das zwar getan, aber ganz unabhängig davon hat ein anderer Täter ein zufällig bei der Tat im Nachbarhaus genau so einen Schalldämpfer verwandt. Diese Theorie ist schon deswegen unplausibel, weil AD ja abstreitet, den Ausdruck etc. vorgenommen zu haben. Aber selbst wenn, dann wäre dies doch ein extrem seltener Zufall. AD müsste sich dann auch fragen lassen, warum er ausgerechnet zeitnah zur Tat denn so eine recherche betrieben hat.
-Ein Mitarbeiter ADs Firma hat, ohne ADs Wissen, über ADs Benutzerkonto diese recherche geführt und den Ausdruck vorgenommen. Hier muss wieder gefragt werden: wozu denn? War der Mitarbeiter der Täter? Welches Motiv sollte er gehabt haben? Es wurde überhaupt nicht festgestellt, dass irgendein anderer Mitarbeiter der Firma die Tolls überhaupt kannte? Das ist also extrem unwahrscheinlich. Und wenn er "nur so" diese recherche betrieben hat, ohne der Täter zu sein? Dann sind wir wieder bei dem unglaublichen Zufall, dass ein Mitarbeiter und ein Täter unabhängig voneinander mit diesen Schalldämpfern zu tun haben.
-Ein Mitarbeiter von AD hat das alles so geplant um die Tat dem AD in die Schuhe schieben zu können. Das ist schon eine arg schwere Beschuldigung. Es wurden keinerlei Konflikte zwischen AD und einem Mitarbeiter festgestellt, genauso wenig Konflikte zwischen den Tolls und einem Mitarbeiter. Es gibt also für diese Theorie überhaupt keinen Anhaltspunkt.
Wie man es auch dreht und wendet: die einzige Theorie, die halbwegs Sinn macht, ist, dass AD derjenige ist, der diese recherche durchgeführt hat, und sein Motiv war, ein geeignetes Tatmittel zu finden.
Fügt man jetzt A und B zusammen, dann liegt der Schluss sehr nahe, dass AD der Täter war.
Damit haben wir Motiv, Gelegenheit und Indizien, die dafür sprechen. Wir haben keinerlei Motiv oder Anhaltspunkte, die für einen anderen Täter sprechen. Wir haben auch keinerlei Indiz, das eine Täterschaft ADs zweifelsfrei ausschliesst. Zwar erscheinen mir einige Dinge nicht exakt gelöst. z.B. die Schmauchspuren-Analyse, einige Fragen komplett ungelöst, z.B. die Herkunft der Waffe, aber all diese Dinge zerstören nicht die Schlüssigkeit der oben skizzierten Theorie oder weisen auf einen anderen Täter.
Mit all dem kann ich gut nachvollziehen, dass das Gericht dieses Urteil gefällt hat. Ich denke, der Schalldämpfer hat AD sprichwörtlich das Genick gebrochen.