Deus_Ex_Machin schrieb:Da ist das gute Stück, die letzte Patrone:
https://strate.net/wp-content/uploads/2020/06/Verfassungsbeschwerde-2020-06-29.pdf
Nun denn, gehen wir also in die letzte Runde. Ich bin ja nur ein einfacher Feld- Wald- und Wiesenstrafverteidiger, aber ich erlaube mir ein paar Kommentare.
Zuerst sollte man wissen, dass im Durchschnitt nur etwa 2% der etwa 6000 jährlichen Verfassungsbeschwerden (ca. 1500 davon betreffen Urteile von Strafgerichten) erfolgreich sind. Es ist also wieder, ähnlich wie beim Antrag auf Wiederaufnahme, eine extrem hohe Hürde zu überwinden.
Die Verfassungsbeschwerde muss zunächst durch das "Annahmeverfahren" kommen. Hier prüft eine Kammer nur, ob die Verfassungsbeschwerde zulässig ist. Dabei kommt z.B. die "Heck'sche Formel zur Anwendung. Wichtig ist, zu verstehen, welche Rolle das BVerfG hier hat:
Doch ergibt sich schon aus einer systematischen Auslegung der Art. 92 ff. GG, dass das Bundesverfassungsgericht nicht die Aufgabe haben soll, höchstrichterliche Fachgerichtsentscheidungen nochmals vollständig auf ihre einfachrechtliche Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Das Bundesverfassungsgericht ist keine „Superrevisionsinstanz“. Das deutsche Prozessrecht folgt dem sogenannten Trennungsmodell. Das Bundesverfassungsgericht überprüft Gerichtsentscheidungen deshalb nur auf Verletzungen „spezifischen Verfassungsrechts“. In einer viel zitierten Entscheidung zu einem patentrechtlichen Streit aus dem Jahr 1964 hat das Bundesverfassungsgericht dazu selbst formuliert: „Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen… Spezifisches Verfassungsrecht“, so das Bundesverfassungsgericht weiter, „ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muß gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen.“
BVerfGE 18, 85 (92 f.)
Zusammenfassend kann man sagen:
Im Verfassungsbeschwerdeverfahren relevant sind danach nur solche fachgerichtlichen Fehler, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen und die auch materiell für den konkreten Fall von Gewicht sind.
Schon in einer Entscheidung aus dem Jahr 1960 hat das Bundesverfassungsgericht dazu ausgeführt, dass ein Gericht dann gegen Grundrechte verstößt, „wenn das Gericht durch verfahrensrechtliche Maßnahmen verfassungsmäßige Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt oder bei seiner Entscheidung willkürlich“ handelt „oder bei der Auslegung der Gesetze gegen Grundrechtssätze“ verstößt „oder grundrechtswidrige Gesetze“ anwendet „und die Entscheidung darauf“ beruht (BVerfGE 11, 343 (349)).
Im vorliegenden Fall geht es wohl um die schwierigste Sache, nämlich die falsche Beweiswürdigung. Dazu heisst es:
Eine Urteilsverfassungsbeschwerde ist ... auch dann begründet, wenn nicht auszuschließen ist, dass ein Gericht seiner Entscheidung offenkundig fehlerhafte Tatsachenfeststellungen zugrunde gelegt oder auch mehrdeutige Äußerungen des Beschwerdeführers ohne Rückfrage zu dessen Nachteil ausgelegt hat. Überschreitet ein Fachgericht den ihm in diesem Zusammenhang prozessrechtlich eröffneten Beurteilungsspielraum, handelt es ebenfalls jenseits seiner Kompetenz.
Alle Zitate aus einem Vortrag von Prof. Hanno Kube vor dem BVerfG: Die Urteilsverfassungsbeschwerde im deutschen Recht, zu finden hier:
https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjXuImL2KjqAhVzHzQIHUkpAm04ChAWMAJ6BAgDEAE&url=https%3A%2F%2Fwww.judicial.gov.tw%2Fconstitutionalcourt%2FFYDownload.asp%3Ffileguid%3D000358-8A7QT&usg=AOvVaw3Ky7hrxzPV_v4MWoP7R6GTStrates Ausführungen zum Beschluss des Landgerichts Kassel mag man teilweise zustimmen, schwieriger aber wird es, den Beschluss des OLG Frankfurt anzugreifen. Strate wiederholt immer wieder mantraartig, dass die Gerichte seine Beweisführung nicht verstanden oder nicht berücksichtigt haben und er kommt immer wieder auf sein eigenes Fazit zu sprechen: "bei der Tat
kann kein Bauschaum-Selbstbauschalldämpfer nach der Internet-Anleitung verwendet worden sein, und daher sind die anderen Indizien gegen Darsow irrelevant (Ausdruck dieser Bauanleitung) und daher hätte er in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen werden müssen.
Meiner Ansicht nach ein gewagter, um nicht zu sagen, unhaltbarer Schluss. Das OLG hat meiner Meinung nach diesen Sachverhalt berücksichtigt und sieht die Dinge anders als Strate. Nun muss er die Richter des BVerfG davon überzeugen, dass dadurch Darsows Grundrechte verletzt wurden. Das wird schwierig. Die Kammer prüft in der Praxis im Annahmeverfahren vor allem die Aussicht auf Erfolg der Beschwerde.
Ich halte einen Erfolg hier für sehr zweifelhaft. Man wird sehen.