Das Urteil stützt sich bei seiner Beweiswürdigung in vielen Details mehr auf die richterlicher Überzeugung denn auf die Beweismittel. Mir hat das nie gefallen. Denn das Gericht nimmt einen konkreten Tatablauf an, der sich so zugetragen haben kann, aber eben nicht muss. Damit ist jede andere Variante implizit ausgeschlossen. "Denknotwendig". § 261 StPO, die freie richterliche Beweiswürdigung, lässt das zu. Aber es wäre nicht notwendig, um Darsow zu verurteilen. Die Überzeugung, dass er die Tat begangen hat, die reicht aus. Da sind hier die wesentliche Punkte: Motiv, Gelegenheit, Anleitung für Schalldämpfer mit Bauschaum, Bauschaum am Tatort.
Bei den freirichterlichen Details, beim Bauschaum, da hat der Wiederaufnahmeantrag angesetzt. Von Anfang an in (bewusster?) Verkennung der Voraussetzungen einer Wiederaufnahme, wie sie sich aus § 359 Nr. 5 StPO und der höchstrichterlichen Rechtsprechung dazu ergeben.
Da wirft Dr. iur. h.c. Strate dem OLG "Scheinlogik" vor. Das ist ziemlich heißer Dampf. Denn das OLG stellt treffend fest:
"Es ist vielmehr lediglich vorgetragen, dass der Sachverständige Cachée bei Durchführung seiner Beschusstests, die im Aufbau den Schusstests des Sachverständigen Pfoser ähneln, zu anderen Ergebnisse gelangte.“ (Beschluss, S. 13)
https://strate.net/wp-content/uploads/2020/06/Erklärung-der-Verteidigung.pdfJa, so ist das. Diese anderen gutachterlichen Ergebnisse sind waffentechnisch auch nicht verwunderlich. Denn beide Gutachter können nicht wissen, welcher konkrete Schalldämpfer tatsächlich am Tatort verwendet wurde und wie die Schussfolge tatsächlich war. Sie arbeiten mit Prämissen (Tatwaffe, PVC, Bauschaum), aber auch einer ganzen Reihe flexibler Annahmen (Befestigung, Verwendung der Waffe, Schussfolge). 10 weitere Gutachten würden deshalb vermutlich 10 andere Ergebnisse erbringen.
Die elementare Frage wäre eigentlich: Kann die Diskrepanz jeweils so groß sein, dass dadurch der Beweis erbracht würde, dass es Darsow nicht gewesen sein kann? Weil es dann keinen Zusammenhang zwischen der Bauanleitung (Bausschaum) und den Tatortspuren (Baumschaum) gibt? Nein. Dieser Zusammenhang geht doch auch schon deshalb nicht verloren, weil die 10 denkbaren Gutachten immer von den Prämissen ausgehen, die auf der Bauanleitung und den Tatortspuren beruhen.
Das OLG stellt allgemein fest:
Nur dann, wenn das Gegenteil der festgestellten Tatsache durch bisher nicht berücksichtigte neue Tatsachen substantiiert vorgetragen würde, wären diese (Zusatz-)Tatsachen – und zwar alleine diese – die den Schluss auf das Gegenteil der getroffenen Feststellungen tragen sollen, neu (...).
https://strate.net/wp-content/uploads/2020/06/Erklärung-der-Verteidigung.pdfStrate hätte mit keinem Waffengutachten das Gegenteil feststellen können. Dazu hätte er ein Gutachten gebraucht, das z.B. sagt: Es wurde gar kein Schalldämpfer verwendet. Genau das kann er aber nicht. Das ist keine Scheinlogik. Davon spricht auch nicht das OLG Frankfurt von 1978, das sagt:
Stellt das Gericht eine Tatsache fest, so verneint es damit zwar denknotwendig stets ihr Gegenteil. Das besagt jedoch nicht, dass ihm diese Tatsache auch als Tatsache, d.h. als ein real vorhandener oder real fehlender Umstand, nicht nur als Denkmöglichkeit bekannt wäre.
https://strate.net/wp-content/uploads/2020/06/Erklärung-der-Verteidigung.pdfIch erkenne gar keinen Widerspruch zur Entscheidung des OLG im Darsow-Fall. Tatsachen können natürlich im Wiederaufnahmeverfahren neu bewiesen werden, wenn sie durch die richterliche Beweiswürdigung als Möglichkeit ausgeschlossen worden wären. Das ist doch selbstverständlich. Vorausgesetzt, sie sind neu.
Dann ist aber die nächste Frage, ob die neue Tatsache zu einem Freispruch oder einer Strafmilderung führen würde. Oder ob er unbeachtlich ist. Hier hat sich aus dem Gutachten des Cachèe nie ergeben, dass es Darsow gar nicht gewesen sein kann.
Im Ergebnis möchte Strate das Wiederaufnahmerecht neu schreiben. Das würde dazu führen, dass beliebig viele Verfahren neu aufgerollt werden könnten. Es muss nur der Nachweis einer möglichen (wesentlich oder unwesentlichen) Abweichung des vom Gericht angenommenen Ablaufs erbracht werden. Das würde aber im Hauptverfahren noch nicht mal zur Durchsetzung eines Beweisantrags (Einholung eines weiteren Gutachtens) ausreichen.
Oder es ist - Dampf...