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Doppelmord Babenhausen

26.333 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, 2009, Nachbar ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Doppelmord Babenhausen

Doppelmord Babenhausen

12.12.2018 um 18:10
Zitat von LichtenbergLichtenberg schrieb:Was genau(!) kann denn so nicht gewesen sein und warum nicht?
Dieser Frage schließe ich mich mit einem gewissen Nachdruck an.

@Andante
Was du nicht vergessen darfst beim "AufmeinerZunftrumhacken":

Wenn du von der FAZ, der SZ, der BILD sprichst, bin ich völlig bei dir. Zahlreiche, nein, gar die meisten Gerichtsfälle werden aber zunächst mal von den einfachen Lokalredakteuren aufgearbeitet. Der Mordprozess um Jörg W. aus Hille ist ganz in meiner Nähe. Und weder die Zeitung für die ich tätig bin, noch die umliegenden, können sich für so einen Zweck einen Volljuristen halten, den sie alle Jubeljahre mal herauskramen, wenn mal wieder was passiert. Das ist utopisch.
Klar, wenn man nicht in den Strukturen drinsteckt, ist es immer schnell gesagt: "Da müssen doch echte Experten sitzen!"
Aber echte Experten haben eine lange Ausbildung genossen, sind dementsprechend teuer und haben höhere Ansprüche als eine Lokalzeitung. Und eine Lokalzeitung wird sich nicht das Ungemach antun, für teuer Geld jedes Mal einen Experten für jedes Thema heranzuziehen.
Hier in unserer Stadt wird gerade ein Fall verhandelt, bei dem ein Mann sich und seine Freundin anzünden wollte. Da geht es redaktionsintern nicht um die Frage, wer das entsprechende Know-how hat, sondern es geht vor allem um die Frage des Krankenstandes, der Überstunden und anderer, dringender Termine die wahrgenommen werden wollen.
Wenn du an einem Tag eine Ortsrats- und Ausschusssitzung hast, noch eine Eröffnung von irgendwas da oder hier, der Bürgermeister macht Käse an einer anderen Stelle und dann noch ein Gerichtsprozess, da muss eine Zeitung betriebswirtschaftlich handeln, sonst gäbe es sie nicht mehr lange. Wenn dann noch zwei Verkehrsunfälle und ein Rohrbruch dazu kommen, sind alle Bienen aus dem Stock schon ausgeflogen. Da kannste dann halt - wird bei uns nicht _so_ gehandhabt, aber das Prinzip passt - notfalls der Praktikant da rein gesetzt. Denn - eine Gerichtsverhandlung zu verfolgen bedarf eben keinem journalistischem Könnens. Sondern man sitzt da, hört zu und schreibt auf. Im Grunde kann das halt jeder Dulli, während du den Expertenredakteur mit 30 Jahren Berufserfahrung halt lieber in die Ratssitzung setzt - denn das ist wirklich harter Tobak, wenn man sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen für Straßenausbaubeitragssatzungen auseinandersetzen muss, ohne Nachfragen stellen zu können.

Insofern - ja du hast schon recht, dass es wünschenswert wäre, alles würde immer nur von Experten geschrieben. Aber das ist halt Utopie.


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12.12.2018 um 19:53
Schön, auch mal von dieser Seite einen Einblick zu bekommen.

Ich muss denoch fragen: Warum lese ich immer wieder von "Sicherheitsverwahrung", "niederen Beweggründen" und von "Berufung", wenn Revision eingelegt wurde?

Tatsächlich muss man bei den ersten beiden Beispielen nur ein(!) Mal in das StGB schauen und stellt fest: Es heißt Sicherungsverwahrung und niedrige Beweggründe. Wenn ein Journalist bei einer solche einfach zu erledigenden Recherche versagt, was soll man ihm dann abnehmen? Eine ansonsten ordentliche Berichterstattung?

Ich war beruflich an zwei Strafverahren beteiligt. Ich kannte die Ermittlungsakten und war bei der öffentlichen Verhandlung anwesend. Meine Erfahrung: Die Berichterstattung über diese beiden Verfahren war so falsch, dass das Gegenteil nicht richtig war. Und es wurde nicht nur falsch dargestellt. Auch das Ausmaß dessen, was passiert ist, wurde derart übertrieben dargestellt, dass sich der geneigte Leser (zu Recht) fragen musste, was da wohl abgegangen sei und wie das überhaupt passieren konnte. Allein: Es stimmte einfach nicht, wenn von einem "internationalen Verbrechering" gesprochen wurde.

Das Problem ist: Als Jurist wird man immer wieder mit solchen falschen Berichterstattungen konfrontiert und teilweise abgestempelt. "Kuscheljustiz", "Rechtsverdreher", "Haaspalter" ist noch freundlich. Ich erlebe aber auch aggressives Verhalten von Leuten, die ich kaum kenne, die aber von der BILD (und anderen) derart aufgepuscht sind, dass sie den Richter, den Staatsanwalt und den Verteidiger gleich mit auf eine imaginäre globale Anklagebank setzen wollen.

Und das größte Problem ist: Der Leser meint nach dem Lesen eine knappen Artikels nunmehr alles über den entscheidenden Sachverhalt zu wissen. Und dann muss man erklären, dass es vollkommen egal ist, ob der Angeklagte ansonsten ein toller/ übel gelaunter Nachbar gewesen ist, der regelmäßig seine Kinder umarmt/ heftigst verprügelt hat, wenn er mit 1,8 Promille und deutlich überhöhter Geschwindigkeit einen Fahrradfaher überfahren und tötlich verletzt hat.


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12.12.2018 um 20:08
@Lichtenberg

Alles richtig. Nur ein kleiner Schönheitsfehler: "Sicherheitsverwahrung" wird in der juristischen Literatur tatsächlich ebenfalls verwendet.


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12.12.2018 um 20:13
Es komt extrem selten vor, dass in der juristischen Literatur von "Sicherheitsverwahrung" geschrieben wird (der Begriff ist m.M. auch falsch, weil nicht die Sicherheit verwahrt wird, sondern die Allgemeinheit vor jemanden gesichert wird).

Ich halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass auch nur ein Journalist die Fachaufsätze kennt, in denen von Sicherheitsverwahrung geschrieben wird.

Und selbst wenn: Das Gesetz(!) ist der Ausgangspunkt, nicht die sekundäre Literatur.


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12.12.2018 um 20:13
Zitat von christian01christian01 schrieb:Andererseits kann es ja exakt wie es im Urteil geschildert ist tatsächlich nicht gewesen sein.
Nur weil ein Gutachter der Verteidigung zu dem Schluss gekommen ist, dass es so nicht gewesen sein kann, kann es so nicht gewesen sein?

Und was heißt überhaupt exakt?

Wer in einer Urteilsbegründung einen exakt geschilderten Tatablauf erwartet, scheint was missverstanden zu haben - gerade in einem Indizienprozess.


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12.12.2018 um 22:01
@Cassandra71
Guter Beitrag. Es war nie exakt so, wie im Urteil geschrieben bei Indizienprozessen. Wie sollte es auch?
Vielleicht erzählt und Herr D. ja irgendwann, wie es exakt war.


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12.12.2018 um 22:29
Zitat von Cassandra71Cassandra71 schrieb:Wer in einer Urteilsbegründung einen exakt geschilderten Tatablauf erwartet, scheint was missverstanden zu haben - gerade in einem Indizienprozess.
Ja, schon, aber warum machen die das dann in ihren Urteilen? Gerade bei diesem Urteil kann man doch beim Lesen das Gefühl bekommen: die Richter waren nicht nur dabei, sondern sogar im Angeklagten drinnen. So genau wissen die Bescheid, was im Angeklagten vorgegangen ist.

Und: wie "unexakt" darf es denn dann werden?


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12.12.2018 um 22:46
Zitat von LichtenbergLichtenberg schrieb:der Begriff ist m.M. auch falsch, weil nicht die Sicherheit verwahrt wird, sondern die Allgemeinheit vor jemanden gesichert wird).
Sicherungsverwahrung ist dann rein begrifflich aber genauso blöd. Die Sicherung wird ja auch nicht verwahrt und ein Fugen-s ist da genauso drin. Verwahrung zwecks Sicherheit der Allgemeinheit meint das gleiche wie Verwahrung zur Sicherung der Allgemeinheit.
Zitat von DermaxlDermaxl schrieb:Es war nie exakt so, wie im Urteil geschrieben bei Indizienprozessen
Möglich ist das ja durchaus, aber der Anspruch, dass Schein und Sein 100% deckungsgleich sind, besteht gar nicht und das Wissen darüber beschränkt sich sowieso auf den Täter, der darüber aus bestimmtem Grund schweigt.
Zitat von abberlineFabberlineF schrieb:Und: wie "unexakt" darf es denn dann werden?
Das Gericht gibt die Wahrheit wieder, von der es nach dem Prozess überzeugt ist. Ohne Nennung von möglichen Abweichungsgraden. Wenn Abweichungen tatsächlich im Nachhinein festzustellen sind, kommt es für eine Wiederaufnahme u. a. darauf an, ob diese entscheidungsrelevant sind. Und testbedingte Abweichungen in der Verteilung der Bauschaumrückstände kippen in diesem Fall nicht das Urteil, daher kann man sagen, dass es unerheblich ist, ob es exakt so war wie im Urteil beschrieben.


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12.12.2018 um 22:57
Zitat von Seps13Seps13 schrieb:Und testbedingte Abweichungen in der Verteilung der Bauschaumrückstände kippen in diesem Fall nicht das Urteil, daher kann man sagen, dass es unerheblich ist, ob es exakt so war wie im Urteil beschrieben.
Hm. Man wird sehen. Ist im Wiederaufnahme nicht von der Perspektive des ursprünglich erkennenden Gerichts auszugehen? Dh., die Frage: Hätte das zuerst erkennende Gericht womöglich/wahrscheinlich anders entschieden, wenn ihm die neuen(!) Fakten bekannt gewesen wären?


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12.12.2018 um 23:12
Zitat von LichtenbergLichtenberg schrieb:Tatsächlich muss man bei den ersten beiden Beispielen nur ein(!) Mal in das StGB schauen und stellt fest: Es heißt Sicherungsverwahrung und niedrige Beweggründe.
Tatsächlich musst du dich fragen, warum man so etwas nachschlagen sollte, wenn man glaubt, man nutzt das richtige Vokabular.
Ich persönlich bin an noch keinem Gerichtsverfahren zwecks Berichterstattung beteiligt gewesen. Ich würde das aber vorher auch nicht nachschlagen wie die "richtige" Bezeichnung lautet, denn damit der Leser weiß was gemeint ist, ist es unerheblich, ob Sicherheits- oder Sicherungsverwahrung oder niedere oder niedrige Beweggründe.
Da entstehen auch keine Justizskandale drauß - das ist also tatsächlich Haarspalterey.
Zitat von LichtenbergLichtenberg schrieb:Wenn ein Journalist bei einer solche einfach zu erledigenden Recherche versagt, was soll man ihm dann abnehmen? Eine ansonsten ordentliche Berichterstattung?
Du missverstehst den Begriff "Recherche". Recherche hat nix damit zu tun, jedes Wort auf seine korrekte Bedeutung oder Gebrauch zu prüfen, sondern nichts faktisch falsches zu verbreiten und Informationen über einen Sachverhalt zu bekommen. Was du meinst, ist ein Lektorat. Und sowas können sich Lokalzeitungen genauso wenig leisten wie einen Juristen.

Was deine persönlichen Erfahrungen angeht: Gibt solche und solche. Solche Zeitungen, solche Journalisten. Ich hab weder je bei einer "Solchen" gearbeitet, noch einen "Solchen" getroffen.
Wohl bekannt ist hier in der Gegend das Käseblättchen "Die Harke", die wohl in ähnliche Kerben schlägt wie von dir dargestellt.
Da dann aber einen Bogen über die Allgemeinheit der Journalisten zu schlagen ist genauso kurzsichtig wie
Zitat von LichtenbergLichtenberg schrieb:dass sie den Richter, den Staatsanwalt und den Verteidiger gleich mit auf eine imaginäre globale Anklagebank setzen wollen
Merkste selbst ne?

Und unter uns: die Mehrzahl der Leser und die Mehrzahl der Bevölkerung sind halt dumm. Die haben weder Bock noch Zeit sich mit juristischen Feinheiten auseinander zu setzen - da geht es eher um emotionale Empfindsamkeiten.
Beispiel aus unserem Blatt: da sollte gegen eine Frau ermittelt werden, die sich gegen einen übergriffigen Schlingel mit Pfefferspray erwehrte und ohne Meldung bei der Polizei abdampfte. Für dich und mich ist völlig klar, das da ermittelt werden muss, damit das Verfahren eingestellt wird.
Dem "Pöbel" ist das auch nach zweimaliger Erklärung seitens Polizei und unserer Redaktion egal gewesen - der Shitstorm blieb.
Am Ende ist die Frau nie bei der Polizei aufgetaucht und die Anzeige wegen sexueller Belästigung musste fallen gelassen werden.

Insofern - nicht immer auf den Boten schießen.


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13.12.2018 um 00:00
Zitat von EinElchEinElch schrieb:Und unter uns: die Mehrzahl der Leser und die Mehrzahl der Bevölkerung sind halt dumm. Die haben weder Bock noch Zeit sich mit juristischen Feinheiten auseinander zu setzen - da geht es eher um emotionale Empfindsamkeiten.
Wie recht du hast! Aber kann es Aufgabe der Medien sein, die Dummheit noch zu unterstützen und in dieselbe Kerbe zu hauen?


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Doppelmord Babenhausen

13.12.2018 um 00:20
@Andante
Wer sagt denn, dass "die Medien" das überhaupt tun?
Ich war ja mal genauso ein idealisierter, junger Mensch voller Hoffnungen und Träumen, dass die Leute, wenn man ihnen die Wahrheit erzählt, alle ganz vernünftig und klug wären und das die ominösen "Medien" an allem Schuld sind.
Jetzt arbeite ich bei einer Lokalzeitung und habe mit anderen Lokalzeitungen zu tun - und der ganz erhebliche Anteil davon, macht seinen Job ordentlich, gut und wohl überlegt. Es fallen ja auch keinem die 250 richtigen Meldungen und korrekten Prozesswiedergaben pro Zeitung am Tag auf. Aber wenn du dann da einen Bockhorst hast, der Unsinn verzapft, dann sind es wieder "die Medien".
Das läuft aber nicht. Genauso wenig wie man alle Urteile mit allen Richtern, Anwälten und Staatsbütteln über einen Kamm scheren kannst, kannst du das bei den Medien genauso wenig.
Klar gibt es den Bodensatz des journalistischen Kellergewölbes wie eben die BILD. Aber ist jetzt die BILD, Focus, Welt und Bunte wirklich "die Medien"?
Klar bekommen diese Zeitungen die größere Auflage als unser 10k Abonenntenblatt. Aber so ein 10k Abonenntenblatt gibt es pro Landkreis mindestens 2, zumindest hier und im Umkreis. Das heißt der Großteil "der Medien", den siehst du gar nicht als Konsument. Du kriegst eben nur die Spiegelmeldungen auf den Tisch.
Große Verlagshäuser und Zeitungen schreiben - auch bei Gerichtsfällen - gerne mal in der Lokalpresse ab, wenn der Fall sich zu einem größeren Thema entwickelt - so auch im Mordfall aus Hille. Über den Fall wurde auch in der SZ (glaube ich zumindest) berichtet, da war sicher kein SZ-Redakteur hier vor Ort, der hat eben abgeschrieben - auch von uns. Das ist im Grunde in Ordnung, aber durch dieses Stille-Post-Prinzip kommt halt in den größeren Blättern dann auch gerne mal der ein oder andere Fakt falsch heraus.

Davon ab - was heißt schon in die selbe Kerbe hauen. Wenn ich als Gerichtsberichterstatter nicht nachschlage, wie von @Lichtenberg suggeriert, ob es nun Sicherheits- oder Sicherungsverwahrung heißt, schlage ich in keine Kerbe.
Wie oft darf man sich, vor allem im Internet, mit dieser Scheiße auseinandersetzen, die "Medien" verdummen die Menschen. Die Menschen sind für sich selbst verantwortlich, wir haben nur die Verantwortung Informationen zu übermitteln. Was die damit machen, ist deren Sache. Wir sind dafür verantwortlich, nicht falsch zu berichten. Und daran halten sich die allermeisten, weil sie andernfalls nämlich verklagt werden würden.
Die, die sich so eine Klage leisten können, sind die großen Verlagshäuser, und die gehen eher ein solches Risiko ein, als beispielsweise das Mindener Tageblatt, die Schaumburger Nachrichten oder die Dewezet, die bei einer Klage ihren Laden vermutlich dicht machen könnten. Was die Mitarbeiter auch genau wissen.

Worauf ich hinaus will - "die Medien" gibt es nicht. Es gibt Verlagshäuser, Zeitungen und Redakteure, die ihren Job weniger ernst nehmen als andere. Aber die sind eben nicht "die Medien", denn "die Medien", dazu gehören auch die Zehntausende kleine Lokalredaktionen, die tausenden Hörfunksender und und und.
Diese Gleichmacherei ist doch genau das, was anderorts immer uns unterstellt wird.


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13.12.2018 um 00:32
Addendum:
Ich kann - als freier Mitarbeiter - jedenfalls nur sagen, dass ich auf gewisse Feinheiten achten würde. Wenn dann aber tatsächlich jemand - um es auf Deutsch zu sagen - angeschissen kommt, und mir nach einem ganzen Prozesstag, an dessen Ende(!) der Artikel vor Redaktionsschluss(!) fertig sein muss(!), erzählt, es müsse "niedrige" und nicht "niedere" heißen, dann - auch hier auf gut Deutsch - kann der mich auch am Arsch lecken. Ömmaken Inge und Oppa Heinz interessiert das nicht die Bohne, die wollen wissen, warum, wer, wann, wie und bestenfalls wo und was.
Das hat auch nichts mit Verdummung zu tun, sondern mit der Tatsache, dass der Großteil der im Leben stehenden Menschen sich nicht bis ins Detail mit allen Fragen auseinander setzen will - was auch nicht in jedem Fall unsere Aufgabe ist. Unsere Aufgabe als Journalisten im Gerichtsaal ist wiederzugeben, was dort gesagt wird, was dort passiert. Wir müssen den Lesern dafür nicht die StPO vorbeten.
Ich kann nur von mir sagen, dass ich mich natürlich um eine korrekte Wiedergabe des Geschehens bemühen würde - wie das auch jeder meiner Kollegen tut.
Aber versucht mal einer von euch sich nach einen 7 Stunden Prozess noch hinzusetzen und unter Zeitdruck einen lesbaren Artikel mit allen relevanten Informationen zusammen zu zimmern, und dabei noch jede juristische Feinheit zu beachten, die jemanden sauer aufstoßen könnte.
Vor allem, wenn man eben kein Jurist ist.

Journalisten sind keine über-den-Dingen-schwebende gottähnliche Wesen, die alles wissen und zu hundert Prozent faktengetreu wiedergeben, sondern Menschen wie du und ich, die in dem einem Thema eben bewandert sind, im anderen weniger. Und natürlich setzt man bei uns ein höheres Maß an, als beispielsweise an Gabelstaplerfahrer Bernd, bei dem es egal ist, ob die Palette 2 Zentimeter weiter vorne steht. Aber wenn dann mal ein Fehler unterläuft, ist es gleich die national gesteuerte Verdummungskampagne "der Medien".
Da kommt man sich als 10 Stunden schuftender Freiberufler, der das nur tut, damit die, die es interessiert, wissen, was um sie herum passiert, manchmal wirklich verarscht vor. Was glaubt ihr denn, was wir in der Redaktion machen?
"Ach komm, das merken die eh nicht" ist ein Satz, der in einer durchschnittlichen Redaktion nicht fällt. Und wir sitzen da auch nicht und kungeln aus, wie wir den nächsten Skandal fabrizieren.

Dem ein oder anderen kann ich nur mal ein Praktikum bei seiner Lokalzeitung empfehlen.

SpoilerIch weiß, es ist Off-Topic und ich lass das nun auch mit den Textwänden, da aber gerade die Berichterstattung im Falle Babenhausen ja auch eine Rolle spielt, ist es ja zumindest ansatzweise Themenbezogen und ich bitte die Moderation das mal so stehen zu lassen (auch damit ichs selbst irgendwann mal wiederfinde und CopyPasten kann, lel)


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13.12.2018 um 00:52
Entschuldige, mir liegt es fern, alle Journalisten über einen Kamm zu scheren. Und ein wenig weiß ich auch aus dem Freundeskreis, unter welchen Zwängen gerade Lokaljournalisten, freie wie feste, stehen. Aber ich kenne eben auch Richter, die hinterher über ihren Prozess einen Bericht in der Zeitung lesen, und die sich wünschen, dass der berichtende Journalist vor Absetzen des Artikels doch mal die eine oder andere Rückfrage gehalten hätte, bevor etwas Missverständliches in der Zeitung steht.

Manchmal reicht es eben nicht, aus einem Gerichtssaal zu berichten, wer was zu wem gesagt hat. Manchmal muss man eben auch wissen (und schreiben), warum etwas im Saal so oder so passiert ist.

Sicher, wer als Lokaljournalist über Sachen aus dem Amtsgericht berichtet, braucht das nicht so. Da reicht die nette Schilderung des Nachbarstreits, der zum Schluss so eskalierte, dass der eine Nachbar dem anderen das Gartenhäuschen demolierte und zusätzlich noch die Karnickel abschlachtete und dergleichen. Damit sind Omma Inge und Oppa Günter voll zufrieden, klar.

Worum es mir und anderen hier geht, sind die überregionalen Berichterstattungen über spektakuläre Prozesse und die von Betroffenen initiierten Kampagnen („Justizskandal“), über die gleichfalls gerne berichtet wird. Da wünsche ich mir manchmal doch etwas mehr Sach- und Fachverstand der schreibenden Zunft. Sicher ist das auch eine finanzielle Frage, wieviel sich sog. Qualitätsmedien jemanden mit Sach- und Fachverstand kosten lassen wollen.


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13.12.2018 um 03:55
Zitat von christian01christian01 schrieb:Ich denke eklatante Fehlurteile gab es ja schon, von daher fände ich schon etwas mehr Demut in der Herangehensweise angesagt.
Das mag sein, aber warum man sich dann ausgerechnet einen Fall herauspickt, der alles andere als "eklatante" Fehler aufzuweisen scheint, um einen Justizskandal daraus zu machen, ist dann doch ein wenig rätselhaft. Eklatant bedeutet laut Duden "ins Auge springend, sensationell." An diesem Fall ist gar nichts sensationell oder offensichtlich falsch.
Zitat von LichtenbergLichtenberg schrieb:Es komt extrem selten vor, dass in der juristischen Literatur von "Sicherheitsverwahrung" geschrieben wird (der Begriff ist m.M. auch falsch, weil nicht die Sicherheit verwahrt wird, sondern die Allgemeinheit vor jemanden gesichert wird).
Zitat von Seps13Seps13 schrieb:Sicherungsverwahrung ist dann rein begrifflich aber genauso blöd. Die Sicherung wird ja auch nicht verwahrt und ein Fugen-s ist da genauso drin. Verwahrung zwecks Sicherheit der Allgemeinheit meint das gleiche wie Verwahrung zur Sicherung der Allgemeinheit.
Ja, die Sicherheit verwahren wir ab und zu. Und dann vergessen wir am Ende, wo wir sie verwahrt haben und finden sie nicht mehr.

Zur Ehrenrettung aller Lokalreporter etc. muss ich gestehen: Mea Culpa! Ich bin Jurist und sogar Strafverteidiger und sogar mir passiert es mitunter, dass ich "Sicherheitsverwahrung" schreibe.


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13.12.2018 um 09:40
@EinElch

Es ist verständlich,, dass seitens der die Interessen der Konsumenten (Leser, Hörer, Zuschauer) berücksichtigt werden müssen, daneben sind Belange der Berichtenden (Zeitdruck, Personalmangel insbesondere in den Lokalredaktionen) zu beachten. Aber auch die, über die berichtet wird wird, dürfen nicht allzu kurz kommen, also sie, die im Strafprozess agieren und über die hinterher womöglich etwas Missverständliches in der Zeitung steht.

Wie einer meiner Vorredner richtig schrieb, haben Richter und Staatsanwälte, anders als Angehörige von Verurteilten, Verteidiger etc. nicht die Möglichkeit, in Talkshows, per Leserbrief oder Interviews zu den von ihnen behandelten Fällen und der Berichterstattung darüber Stellung zu nehmen.

Das ist insbes. wenn es um sog. Justizskandale geht, für die beteiligten Richter und Staatsanwälte sehr misslich, wenn ihnen vorgeworfen wird, einseitig ermittelt oder ein Fehlurteil fabriziert zu haben, ohne Gelegenheit zu haben, dazu öffentlich Stellung zu nehmen. Es herrscht da nun mal keine „Waffengleichheit“ in Bezug auf die Möglichkeiten der Meinungslenkung.

Die einzige Möglichkeit, hier eine Objektivierung zu erreichen, ist eine faire und sachliche mediale Berichterstattung durch Journalisten, die eben nicht auf Kampagnenkarren hüpfen, sondern sich um wirkliche Klärung bemühen, was an dem Justizskandal dran ist, wie Richter und Staatsanwälte richtig hätten handeln müssen und dass und warum sie im betreffenden Fall falsch gehandelt haben.


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13.12.2018 um 10:19
Zitat von AndanteAndante schrieb:Es herrscht da nun mal keine „Waffengleichheit“ in Bezug auf die Möglichkeiten der Meinungslenkung.
Ist es Richtern überhaupt gestattet, während eines laufenden Verfahrens Stellung zu beziehen?
Ist der Weg der abgedruckten Richtigstellung für Staatsanwälte versperrt? Veröffentlichen Gerichte keine Pressemitteilungen und Statements, die ihren Weg ins Blatt finden?
Die Mechanismen für dir Waffengleichheit sind da; umgekehrt würde jeder, der es argwöhnisch sieht, wenn man dem Justizapparat im Nachgang den Hof macht, sagen man würde staatliche Propaganda zur Untermauerung eines - in den Augen mancher - falschen Urteils verbreiten.
Die meisten Richter sagen deswegen sehr bewusst nichts. Gerichte sind unabhängig. Sie müssen sich nicht rechtfertigen, schon gar nicht vor der Öffentlichkeit. Den meisten Richtern wird das auch bewusst sein - übertragen wir das doch mal auf den Fall Babenhausen:

Hätten Richter und Staatsanwälte in gleicher Form Einfluss auf die Berichterstattung genommen, hätte doch die Gegenseite EXAKT das gleiche vorwerfen können - nämlich Beeinflussung und Meinungsmache in den Medien. Die können dadurch nichts gewinnen! In der Zeitung wird eine Tat die nur durch Indizien aufgerollt wird, sicher nicht gelöst werden. Genauso wenig wie hier bei Allmystery.
Dazu hat das Gericht ja eine vollumfängliche Urteilsbegründung abgeliefert, die in diesem Fall ja sogar nachgelesen werden kann.

Und dann gehört es auch zum Berufsbild eines Richters, eines Staatsanwalts, dass man mit Gegenwind, auch aus den Medien, zu rechnen hat.

Ich bin ganz bei dir, dass gefärbte und Meinungsbildende Artikel bei Gerichtsprozessen fehl am Platz sind.
Ich kann aber beim besten Willen keine großen Verfehlungen seitens der Journaille erkennen.
Grundsätzlich ist unsere Aufgabe, auch der Gegenseite die Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Manche wollen das aber nicht, dann sind wir dazu auch nicht verpflichtet - frei nach dem Motto: Wer nicht will, der hat schon und keine Antwort ist auch eine Antwort.
Und wenn andernorts ein Richter unzufrieden mit der Berichterstattung ist? Dann ist er angehalten in der entsprechenden Redaktion anzurufen und ein Gespräch anzubieten oder eine Gegendarstellung abdrucken zu lassen.
Machen die meisten aber nicht, weil Urteile und Richter eben nicht auf das Wohlwollen der Öffentlichkeit angewiesen sind und den allermeisten dieses Wohlwollen ziemlich am Allerwertesten vorbei geht.

Mit anderen Worten: das riesige Problem gibt es da nun wirklich nicht. Ich halte es auch für zweifelhaft, dass ein Strafgefangener aufgrund einer medialen Kampagne frei kommt - sonst müsste Darsow ja längst auf einer Segelyacht nach Kap Verden schippern, Martini in der Rechten, P38 in der Linken und seine Frau um die Hüften geschlungen.

Schwarze Schafe gibt es unter Journalisten genauso wie unter Polizisten, genauso wie unter Steuerberatern, Fleischereifachverkäufern, Anwälten, Lehrern und so weiter.
Da dann ein nationales Problem zu sehen, dass die Grundfesten unserer Justiz und das allgemeine Vertrauen erschüttert, liegt nicht zu unerheblichen Teilen an der eigenen Filterblase und Peer Group. Bevor ich auf Allmystery rumlungerte, bin nicht ansatzweise so vielen vermeintlichen Fehlurteilen über den Weg gelaufen. Und die Leute, die von so einem Fehlurteil ausgehen, sind meist nicht rein durch Zeitungsartikel und Reportagen auf den Trichter gekommen.

Ich fühle mich ja auch keineswegs angegriffen, ich selbst würde mir sowas ja nicht leisten. Aber ich sehe da auch keine allgemeinen, strukturellen Schwächen im Journalismus als solchen, die solche Fälle provozieren würden.


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13.12.2018 um 10:31
Zitat von AndanteAndante schrieb:Worum es mir und anderen hier geht, sind die überregionalen Berichterstattungen über spektakuläre Prozesse und die von Betroffenen initiierten Kampagnen („Justizskandal“), über die gleichfalls gerne berichtet wird.
Jau, das versteh ich wohl. Aber da sind wir bei "überregional" - und damit wieder bei großen Verlagshäusern. Und ja, von denen würde ich mir manchmal auch bessere Berichterstattung wünschen, denn die haben eigentlich genug liquide Mittel um sowas zu erreichen.

Aber auch da greift dann eben oben erwähnte "Stille Post". Wie gesagt, Dreifachmörder Jörg W. aus Hille wurde auch überregional berichtet, da läuft auch meines Wissens zur Zeit die Verhandlung. Da wird viel abgeschrieben, leicht im Duktus geändert und republiziert.
Keine angenehme Methode, vor allem für den unterbezahlten Lokalredakteur, der in der Sitzung sitzen musste.
Aber auch da ist es halt utopisch zu glauben, jede Zeitung schickt erstmal seinen eigenen Sachverständigen in den Gerichtssaal.


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13.12.2018 um 10:35
Zitat von EinElchEinElch schrieb:Bevor ich auf Allmystery rumlungerte, bin nicht ansatzweise so vielen vermeintlichen Fehlurteilen über den Weg gelaufen. Und die Leute, die von so einem Fehlurteil ausgehen, sind meist nicht rein durch Zeitungsartikel und Reportagen auf den Trichter gekommen.
Dem kann ich im Prinzip zustimmen. Allerdings gibt es auf unserer Seite des Antlantiks ein neues Phänomen: die Netflix Serie "Making of a Murderer" hat eine bislang wohl einmalig grosse Zahl an Zusehern erreicht, verglichen mit den üblichen profanen Presseartikeln und Fernsehkurzmeldungen, die man bisher so gewohnt war in umstrittenen Fällen. Und hier wird ja nicht mehr "berichtet," sondern im Stil einer Unterhaltungssendung wird eine "Dokumentation" geboten, deren Objektivität sehr fraglich ist. Das ist in dem Ausmass neu und die Justiz hat keine Ahnung, wie sie darauf reagieren soll.


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13.12.2018 um 10:44
@Rick_Blaine

Geezuz, diese Amerikaner. Das werde ich mir mal näher beaugapfeln.


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