EinElch schrieb:Was wäre denn deine Einschätzung zum WA-Antrag und seinen Erfolgsaussichten? Und ist es wohl wirklich Strates Strategie, einfach nur an die nächsthöhere Instanz nach dem - augenscheinlich - schwachen Antrag herantreten zu können?
Auch hier wieder gilt: ich habe nur die Informationen, die allgemein zugänglich sind. Daher ist meine Einschätzung nicht ausschlaggebend und ich will definitiv nicht dem Kollegen Dr. Strate irgendwie zu Nahe treten. Ein WAV ist ein irrsinnig grosses Unterfangen, ich habe in meiner Karriere bisher zwei solche Verfahren beantragt, einmal mit Erfolg, einmal ohne. Daher kenne ich mich ein wenig aus. Jedes, aber auch jedes Detail eines Falles muss geprüft werden und ohne Experten, Gutachter etc. kommt man normalerweise keinen Meter weit. Und dann muss man immer wieder diese hinterfragen, denn natürlich ist jeder Gutachter fest überzeugt, der absolute Experte zu sein. Mit der Folge, dass es dann zu einem Duell der Gutachter auf beiden Seiten wird, wo wir Juristen oft nur mit den Ohren klappern können, da wir wirklich nicht in der Lage sind, dem einen oder anderen Professor hier substantiell zu widersprechen, wenn er zutiefst in seine Materie einsteigt, zu welcher er jahrzehntelang forscht und lehrt.
Dennoch muss ich am Beginn der ganzen Sache eine Einschätzung abgeben, schon um den Mandanten eventuell vor vergebens entrichteten Gutachter-Honoraren zu bewahren.
RA Strate, der ja durchaus sehr viel Erfahrung auf dem Gebiet hat, wird das garantiert getan haben. Interessant ist, das Ergebnis festzustellen: er hat im Prinzip ein einziges Teil der Indizienkette angegriffen, und nicht das substantiellste. Das heisst für mich schon, dass er kein anderes angreifbares Teil gefunden hat. Die Vorstellung, man behalte noch eine andere "grosse Überraschung" im Hintergrund, für die dann folgende neue Hauptverhandlung, ist realitätsfern. Die Hürde für ein WAV ist so hoch, da muss ich vorbringen, was ich kann.
Und hier ist das Problem. Ganz am Anfang des Falles habe ich selbst mal ein wenig recherchiert,wie es sich mit diesen Bauschaum-Schalldämpfern verhält. Und dann habe ich die hier im Fall veröffentlichten Gutachten, das Urteil und die "Bauanleitung" gelesen.
Mein Problem dabei ist: als technisch schrecklich unversierter Mensch habe ich die Bauanleitung gelesen und, denke ich, verstanden. Sie ist sehr einfach formuliert, besser verständlich als die durchschnittliche IKEA Anleitung.
Nur: sie ist so vage, dass sie dem Anwender sehr viele Möglichkeiten lässt. Im Prinzip habe ich sie nicht so sehr als Bauanleitung im IKEA Sinne gesehen sondern als Empfehlung: so im Sinne: wenn du einen Kleiderschrank zusammenbauen willst, dann kannst du zwei Türen einbauen, oder auch drei, oder auch eine. Wir empfehlen zwei. Diese sollte man mit je zwei Scharnieren befestigen, wobei wir der Meinung sind, am besten sind solche aus Stahl. Es geht aber auch mit dreien ... und so weiter.
Sich jetzt die Bauanleitung zu nehmen und zu sagen: seht her, wir haben einen Kleiderschrank mit drei Türen mit je zwei Scharnieren gebaut und er ist sofort zusammengebrochen, also kann man keinen Kleiderschrank nach dieser Anleitung bauen - das greift meiner Meinung nach zu kurz.
Ich denke man versteht, worauf ich mit diesem IKEA Beispiel hinauswill. Ich habe Zweifel daran, ob die auf eine ganz bestimmte Version eines möglichen Bauschaum-SD Modells konzentrierten Gutachten die entscheidende Frage im WAV Antrag beantworten können.
Ohne das hier zu lange ausführen zu wollen nur ein Denkanstoss: Die Menge des am Tatort gefundenen Bauschaums scheint eine zentrale Rolle zu spielen. Nur - nirgends in der Bauanleitung wird exakt gesagt, wieviel Bauschaum eigentlich verwendet werden soll. Und selbst wenn es da eine konkrete Menge gäbe, heisst das noch lange nicht, dass der Täter sich an diese Empfehlung gehalten hat. Die Füllmenge dürfte aber sehr wohl eine Auswirkung auf die Menge ausgeworfenen Bauschaums gehabt haben. Und so weiter.
Daher sehe ich die Erfolgsaussichten aus meiner bescheidenen Warte als recht gering ein. Aber ich lasse mich da gerne vom LG Kassel überraschen.
monstra schrieb:Deshalb habe ich hier nie für die Unschuld von Herrn Darsow plädiert. Aber für das Bewusstsein und die Sensibilität, wann zu leichtfertig, zu schnell, zu oberflächlich, zu herablassend geurteilt wird. Ob das hier der Fall war, will ich offen lassen.
Ehrenwert und nachvollziehbar - nach bestem Wissen und Gewissen - auch die Motive diejenigen, die sich für (mutmaßliche) Justizopfer einsetzen. Auch sie werden sich hoffentlich bewusst sein, dass ihre Gewissheit nur relativ ist und sie angelogen werden können. Aber ich denke, diese Gefahr ist solchem Engagement immanent und daher ebenfalls bewusst.
So sehe ich das auch. Ich finde es gut, dass es Menschen gibt, denen es nicht egal ist, dass Justizopfer immer wieder vorkommen -davon bin ich überzeugt- und die sich dann engagieren, diesen zu helfen. Auch auf die Gefahr hin, vielleicht einmal jemanden zu unterstützen, der gar kein Opfer ist. Wenn ich in einem See Kinder sehe, die mir den Eindruck machen, dass sie ertrinken, versuche ich sie zu retten. Stellt sich nahher heraus, sie haben nur gespielt - so sei's drum. Besser als umgekehrt.