Mysticjulez schrieb:Ich denke schon, dass man extrem kalt sein muss in dieser Branche.
Na ja, zum Glück ist das nicht so, ich empfinde mich nicht extrem kalt sondern eher relativ emotional in solchen Dingen. Und dennoch bin ich schon viele Jahre lang Strafverteidiger und übe meinen Beruf auch gerne aus. Ich behalte mir allerdings auch vor, Fälle nicht anzunehmen, wenn ich weiss, dass meine persönlichen Empfindungen gegen eine effektive Verteidigung stehen würden.
Aber es gilt, was
@FrokenLisbeth schon vorher gesagt hat: mein Job ist es nicht, einen Schuldigen mit allen Mitteln vor einer gerechten Strafe zu bewahren. Ganz und gar nicht. Mein Job ist es dafür zu sorgen, dass der anklagende Staat sich wirklich alle Mühe macht, im Rahmen der geltenden Gesetze wirklich die Tat dem Mandanten nachzuweisen.
Man hat eine falsche Vorstellung von der Arbeit von Strafverteidigern, wenn man glaubt wir versuchen alles, um einen Schuldigen "davonkommen" zu lassen. Es geht aber darum, dass jeder, auch das Monster, ein Recht auf einen fairen Prozess hat, gerade weil es heute so leicht ist, zum Monster in den Augen der Öffentlichkeit zu werden. Und hier hat der Verteidiger seine Aufgabe. In der Theorie heisst es so schön, wir verteidigen nicht nur den Mandanten, wir verteidigen auch die Rechtsordnung.
Und wenn wir gerade diesen Fall anschauen, sieht man auch wie wichtig das ist. Es gab hier einen thread bzw. Gruppe in welcher vor ein paar Jahren offensichtlich die Meinung vorherrschte, die Eltern seien ganz klar die Täter. Und ich denke, es gab viele in der Öffentlichkeit, die liebend gerne die Eltern auf nimmerwiedersehen eingelocht hätten. Man stelle sich jetzt vor, mit dem Wissen von heute, sie wären angeklagt worden. Sie hätten einen Verteidiger gebraucht, der dafür sorgt, dass die Anklage wirklich hieb- und stichfest bewiesen wird. Man stelle sich vor, heute müsste man sie freilassen und sagen: "sorry, Sie haben nicht nur ihr Kind verloren, sondern auch ein paar Jahre im Gefängnis verbracht, jetzt sind wir der Meinung, nicht Sie waren das, sondern jener deutsche C.B. Schwamm drüber."
Das möglichst zu verhindern ist unsere Aufgabe. Und genauso hier, auch wenn nun C.B. als Monster erscheint - und ich empfinde die bisherigen Informationen durchaus so, dass der Verdacht sehr gross ist - auch ein C.B. hat das Recht darauf, den Staat daran zu erinnern, dass er es beweisen muss.
Oder im Fall Joana: da haben wir Angeklagte gehabt, die selbst kaum die intellektuellen und materiellen Möglichkeiten hatten sich effektiv zu verteidigen, dann kommt auch noch Folter ins Spiel... wer möchte dem ausgesetzt sein, ohne dass wenigstens ein Verteidiger an seiner Seite steht?
Natürlich kommt man nicht umhin, schuldige Täter zu verteidigen. Die absolute Mehrheit meiner Mandanten ist sicherlich schuldig - aber diese werden zumeist auch verurteilt. Und da habe ich kein Problem mit, solange durch meine Tätigkeit klar ist, dass der Staat gezwungen wurde, die Schuld wirklich zu beweisen. Die meisten Mandanten, die überwiegende Mehrheit, versteht das auch und erwartet von mir keine Zauberei oder Schlimmeres.
Eine weitere falsche Vorstellung ist, dass wenn wir wissen der Mandant ist schuldig, z.B. weil er es mir gestanden hat, dass wir dann dennoch alles tun können und tun, um ihn unschuldig erscheinen zu lassen. Weit gefehlt: ich darf als Verteidiger das Gericht nicht wissentlich an der Nase herumführen. Ich darf zum Beispiel keine Zeugen aufrufen, wenn ich weiss, dass sie zu Gunsten meines Mandanten lügen werden. Alles was ich darf ist, meinem Mandanten zu sagen, er hat den Mund zu halten. Die Anklage muss seine Schuld beweisen. Und das ist auch gut so. Und ich muss dafür sorgen, dass sie sich an die Spielregeln hält und keine miesen Tricks anwendet. Das dient dem Schutz aller, die jemals angeklagt werden könnten - und das bringt uns in dem Fall wieder zu Maddies Eltern, den Eltern Joanas usw.
Freilich kann man am Ende immer in einen gewissen Konflikt kommen, wenn man selbst von der Schuld des Mandanten überzeugt ist, es der Anklage aber nicht gelingt, diese zu beweisen. Das ist ein moralisches Dilemma, ganz klar. Aber das kommt in der Praxis, zumindest in gravierenden Fällen, selten vor. Und dann gilt klar die Maxime: besser ein Schuldiger kommt einmal straffrei davon als dass ein Unschuldiger einmal verurteilt wird.
Ohne ein so funktionierendes System sind wir schnell bei Lynchjustiz.
Ich denke man kann jetzt vielleicht die Arbeit eines Strafverteidigers besser nachvollziehen. Das ändert dann auch nichts daran, dass ich persönlich meine, der wahre Täter, der Maddie auf dem Gewissen hat, wer immer es am Ende sein mag, möge nicht nur in einem finsteren Kerker sondern auch in der Hölle ewig schmoren.
Schliesslich noch ein Gedanke zum Geld. Wir Verteidiger müssen natürlich von unserer Arbeit leben können. Eine Verteidigung zum Beispiel in diesem Fall kostet Unsummen von Geld. Wer glaubt, wir machen so etwas wegen "publicity" und könnten dann davon leben, der irrt gewaltig. Davon, dass ich jeden Tag in der Bildzeitung bin kann ich meine Angestellten, meine Kanzlei und so weiter nicht bezahlen. Schön wär's. Es mag den einen oder anderen Kollegen geben, der finanziell so gut aufgestellt ist, dass er einen Fall auch mal als Verlustgeschäft übernehmen kann, wenn er dafür als "Staranwalt" in der Bildzeitung erscheint. Aber das sind nur sehr sehr wenige.
C.B. wird kaum das Geld haben, einen Wahlverteidiger bezahlen zu können, daher kann man davon ausgehen, dass seine Verteidiger beigeordnet sind. An reiche Hintermänner, die grosszügig einen "Staranwalt" engagieren glaube ich kaum, denn so schlau ist dann auch jeder Staatsanwalt, sich zu fragen, aus welchen Motiven wer hier so viel Geld gibt. Das wäre für die "Geldgeber" eher unangenehm.
Nicht vergessen sollte man auch, dass wenn es wirklich zu einem Prozess gegen C.B. in dieser Sache kommen sollte, dieser Prozess normalerweise in Portugal stattfinden würde. Ein deutscher "Staranwalt" (diesen Begriff mag ich gar nicht) wäre da auch nicht sonderlich wichtig. Im Moment werden in diesem Fall noch viel kleinere Semmeln gebacken.