@Edengefühle Edengefühle schrieb:Erzähl!
Knapp gesagt:
1) Rot/Grün-Blindheit fällt irgendwann auf, oft spät, weil die Betreffenden recht problemlos durch den Alltag kommen, in Spezialsituationen allerdings komische Fragen stellen, bei denen Normalsichtige denken "Hä?" und man merkt, dass diese Menschen anders sehen.
2) An jedem Begriff hängen weitere Begriffe als Assoziationen. Einige Assoziationen sind näher und gewöhnlicher, andere subjektiver und ungewöhnlicher. Rot gilt als warme Farbe, als bedrohliche, als Signalfarbe, es gibt physiologische Reaktionen auf Rot usw.
Würde man Rot als Blau wahrnehmen, könnte man zwar auswendig lernen, dass diese Farbe als warm oder Signalfarbe gilt, aber auch die assoziativen Begleitbegriffe haben ihrerseits assoziative Begleiter, eine semantische und emotionale Wolke die sie evozieren.
Würde jeder anders wahrnehmen passen die Assoziationen, die ja nicht beliebig sind, nicht mehr.
3) Daraus fiolgt, es könnte keine kollektive Einigung geben. Zwar kann auch ein total Farbenblinder lernen, dass man einige Gegenstände als "ist rot" bezeichnet. Feuerwehrautos, Tomaten, das obere Ampellicht, Radieschen.
Ein Farbenblinder kann durchaus lernen, ohne es zu erkennen, dass man dieses und jenes "ist/sind rot" nennt, weil man Tomaten und Feuerwehrautos nicht allein daran erkennt, dass sie rot sind, sondern auch an anderen Parametern. Das geht allerdings schief, wenn er mit wenigen grünen Tomaten oder blauen Feuerwehrautos konfrontiert wäre. Der Farbenblinde würde sagen: "Das rote Auto da" und den anderen würde auffallen, dass es ja blau ist.
Der wichtige Punkt ist aber der, dass dieses Erlernen von semantischen Umwegen "ist rot, da oben in der Ampel angebracht" davon lebt, dass man sich auf die Wahrnehmung des Mainstream verlassen kann, der "typisch rote Dinge" als Sprachspiel entstehen lässt.
Würde jeder etwas anderes wahrnehmen, könnte man sich zwar immer begrifflich darauf einigen, dass bestimmte Dinge "rot" genannt werden,
wenn alle anderen Wahrnehmungen weitgehend identisch sind. Aber nur dann! Würden tatsächlich alle anders wahrnehmen und wäre nur Sprache das, worauf man sich einigt, würde ein präzisierendes Nachfragen (Wie meinst du das? Warum findest du das?) nicht zur Klärung beitragen, sondern die Sprachverwirrung nur vergrößern.
Dass man Sprachspiele konstruieren kann, ist also abhängig davon, dass man auf eine breite Basis sogar sehr ähnlicher Wahrnehmungen (mit einigen wenige Abweichlern) zurückgreifen kann.