Simplizissimus schrieb:Diese tieftriefende Ironie, dass ausgerechnet "die Franzosen mit ihren weißen Fahnen im Gepäck" vorangehen - dazu die kleinen baltischen Länder im Osten & Norden ist doch wirklich zuckersüß.
Eine Ironie, die aber auch traurig macht. Wie sagte Klingbeil in einer Sonntagsrede? Wir müssen den Osteuropäern besser und mehr zuhören. Aber das war 2022, als die deutsche Öffentlichkeit von den Bildern aus Butscha aufgewühlt wurde. 2 Jahre später kommen ähnliche Bilder aus Wowtschansk, eine gefühlte Mehrheit der Deutschen hat sich ins Biedermeier zurückgezogen, die Zeitenblende stieß auf große Widerstände in der eigenen Partei und da ist ... ein fast schon gespenstisch anmutender Wahlkampf.
Ich musste daran denken, als ich heute morgen diesen etwas längeren Aufsatz las.
Wenn Kanzler Scholz und andere führende deutsche Politiker darauf beharren, Deutschland dürfe bei aller notwendigen Unterstützung für die Ukraine auf keinen Fall „Kriegspartei“ werden, befestigen sie damit eine gefährliche Lebenslüge. Denn die Wahrheit ist: Wir befinden uns de facto längst im Krieg.
Richard Herzinger
27. Mai 2024
Ein Krieg, der vor allem von einer Seite geführt wird und den die deutsche Öffentlichkeit irgendwie nicht wahrhaben will.
Tatsächlich greift Putins Russland das freie Europa zwar noch nicht mit Panzern und Raketen an. Doch seine hybride Kriegsführung gegen die demokratischen Gesellschaften, mit denen er sie unterminieren und sturmreif machen will, hat der Kreml in jüngster Zeit massiv verschärft.
Das beinhaltet den Aufbau weit gespannter Netzwerke zur Verbreitung von Desinformation, Cyberangriffe zum Absaugen von Informationen über Regierungseinrichtungen und kritische Infrastruktur, das Ausspionieren von Institutionen wie der Bundeswehr und nicht zuletzt die Anwerbung von Rechtsextremisten und Kriminellen für Sabotageakte in NATO-Staaten. Im April wurden in Bayreuth zwei mutmaßliche russische Saboteure festgenommen, die im Auftrag des Kremls US-Stützpunkte ausgespäht und Anschläge auf militärische Transportwege geplant haben sollen. Wie der britische Telegraph kürzlich unter Berufung auf Geheimdienstquellen berichtete, ging in den vergangenen sechs Monaten eine Reihe von Anschlägen in Westeuropa und den USA auf das Konto von Terroristen, die vom russischen Militärgeheimdienst GRU rekrutiert worden sind.
Drohende Ausweitung des Angriffskriegs
All dies deutet zwingend darauf hin, dass die Vorbereitungen für die Ausweitung des russischen Angriffskriegs auf NATO-Territorium in vollem Gange sind – und dass zutrifft, was der US-Militärhistoriker Philipp Petersen kürzlich festgestellt hat: Es wurde im Kreml „bereits entschieden, dass das Baltikum angegriffen wird, sobald die Ukraine besiegt ist“.
In Polen und den baltischen Staaten geht man eben von dieser Voraussetzung aus. Deshalb hören sie auch genau zu, wenn Scholz etwa über Taurus spricht. Wie würde er dann reagieren, auch dann wieder so, nichts größeres provozieren usw.?
Ok, der Spiegel brachte diese Woche dazu André Bodemann, aber sonst scheint es keine große Rolle zu spielen. In einer Umfrage kürzlich wollten 40 Prozent die Unterstützung kürzen, immerhin will eine Mehrheit noch dabei bleiben.
Ach, und dazu
Die Suche nach einer adäquaten Antwort auf die epochale Herausforderung durch den Putinismus wird hierzulande weiterhin durch Politiker wie den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich blockiert, die den Krieg „einfrieren" wollen und dabei verschweigen, was dies bedeuten würde: die von Russland geraubten ukrainischen Gebiete bis auf Weiteres der mörderischen Willkür des Aggressors zu überlassen. Möglicherweise entspricht aber genau das sogar ihrem Kalkül. Man gewinnt den Eindruck, dass sich mancher Sozialdemokrat nach wie vor mehr um das Schicksal Russlands und die Rettung der deutsch-russischen Beziehungen sorgt als um die Existenz der Ukraine.
Die von Bundeskanzler Olaf Scholz proklamierte „Zeitenwende" ist von einflussreichen SPD-Politikern wie Mützenich, Ralf Stegner und Michael Müller allenfalls zähneknirschend akzeptiert worden. Zwar beteuern sie in ihren Statements stets, Waffenlieferungen an die Ukraine zu befürworten. Doch fügen sie im selben Atemzug stereotyp hinzu, die Debatte dürfe nicht darauf „verengt" werden, und es müsse verstärkt nach „diplomatischen Lösungen" gesucht werden.
Dazu, wiederholen sie gebetsmühlenartig, müsse man enger mit China zusammenarbeiten – in der Annahme, die „Friedensinitiativen“ des Pekinger Regimes seien mehr als nur propagandistische Finten. Doch das ist eine Schönfärberei, die an die gegenüber Russland vor dem Februar 2022 erinnert. Denn weit davon entfernt, Russland von seinem Vernichtungskrieg abbringen zu wollen, agiert Peking in Wahrheit als graue Eminenz und Sponsor der antiwestlichen Kriegsachse Russland-Iran-Nordkorea. Hinter den Kulissen sorgt es dafür, dass sie ihren globalen Aggressionskurs gegen die demokratische Zivilisation mit voller Kraft vorantreiben kann.
Quelle:
https://internationalepolitik.de/de/von-der-verlogenheit-vermeintlicher-friedensfreundeda fragte ich mich auch schon, freilich spekulativ, ob das bei Mützenich und Stegner vielleicht so ein gekränkter Narzismuss ist, weil sie bei allem so falsch lagen. Jedenfalls mokiert sich Mützenich über angebliche Experten (wollen Bücher verkaufen), auf Kritik angesprochen spricht Kühnert von einem "Berlin-Diskurs" und Steinmeier von sogenannten "Kaliberexperten" (ok, dafür hat er sich entschuldigt). Im typischen Tonfall populistischer Elitenschelte.
Ach so, auch noch, man muss da Herzinger nicht überall zustimmen, aber seine Kritik an der Selbstgefälligkeit des deutschen Diskurses tut auch not.