FIFA: Das System BlatterWer das System FIFA begreifen will, muss das System Joseph S. Blatter begreifen. Oder umgekehrt. Kaum ein Unternehmen, kein Verband oder Vereinigung der Welt funktioniert so auf eine Person fixiert wie die Federacion Internationale de Football Association, die FIFA.Sie vermarktet auf der einen Seite das, wonach sich die Menschen seit jeher sehnen: Emotionen, Dramen, Triumphe und Tragödien. Und auf der anderen Seite steht sie angeblich für alles Schlechte dieser Welt, für Allmachtsfantasien, Ausbeutung und das böse K-Wort.
Die "Transparency International" definiert das so: "Korruption ist der Missbrauch von anvertrauter Macht zu privatem Nutzen oder Vorteil." Und genau das soll in der FIFA gang und gäbe sein. FIFA ist gleich Korruption.
Die Anti-Korruptions-Agentur kämpft seit Jahren einen scheinbar vergeblichen Kampf gegen das System. Dieses wiederum scheint gegen alle Angriffe von außen völlig immun. Es ist erst ein paar Wochen her, da drohte die FIFA auseinanderzufallen. So zumindest war der Eindruck von außen.
Im Vorfeld der turnusmäßigen Wahl des Präsidenten artete die Wahlkampagne der beiden Kandidaten Sepp Blatter und Mohamed bin Hammam. Beide waren einst dicke Freunde, der Katari bin Hammam hat Blatter einst als eine Art Steigbügelhalter und getreuer Diener auf den Thron der FIFA gehievt. 1998 war das, seitdem ist der Schweizer eine der einflussreichsten Personen der Welt.
Mit kaum einem Produkt lassen sich global so schnell Märkte erschließen, steinreiche Kunden bezirzen und Deals einfädeln wie mit dem Fußball. Das Monopol liegt dabei bei den feinen Herren aus Zürich. Und die machen damit anscheinend, was sie wollen.
Als im Dezember 2010 die beiden Endturniere 2018 und 2022 ziemlich beziehungsweise völlig überraschend nach Russland und Katar vergeben wurden, schien dies wie ein letzter stillschweigender Deal zwischen Blatter und bin Hammam.
Es war aber nur vordergründig ein Aufflackern alter Seilschaften. In Wirklichkeit soll bin Hammam die Vergabe an sein Heimatland selbst mehr oder weniger stark beeinflusst haben. In den Tagen vor der Wahl wurde hartnäckige Gerüchte laut, bin Hammam habe die Wahl bei einigen FIFA-Exekutivmitgliedern erkauft.
Der wehrte sich auf seine Art und ging gegen Blatter vehement in die Offensive. Der Schweizer habe von den Bestechungsversuchen gewusst und sei deshalb ebenso mitschuldig wie alle anderen. "Wir haben keine Krise bei der FIFA. Wir haben ein paar Probleme. Diese werden aber innerhalb der FIFA-Familie gelöst", sprach Blatter zum Auftakt der Sitzungen gönnerhaft.
Einzig die skandinavischen Verbände forderten auf der Tagung eine lückenlose Aufdeckung aller Gerüchte, die englische FA in Person von Präsident David Bernstein eine Verlegung der Wahl. Der Deutsche Fußball Bund, vertreten durch Präsident Dr. Theo Zwanziger, blieb stumm.
Das Ende vom Lied war drei Tage vor der Wahl: Bin Hammam zog seine Kandidatur plötzlich zurück, "um der FIFA weiteren Schaden zu ersparen", wie die offizielle Version lautete. Und Blatter? Dem konnte nichts nachgewiesen werden. Zwar habe er vom Vorhaben der Bestechung gewusst, von einer real vollzogenen Bestechung aber nicht. Alles klar, weiter im Text.
Per Akklamation wurde der einzige Kandidaten dann gewählt. Unter anderem von Mitgliedern wie Vize-Präsident Julio Grondona aus Argentinien oder dem Brasilianer Ricardo Teixeira. Beides sind treue Weggefährten Blatters, skandal-erprobte Dickhäuter, die jeden noch so starken Gegenwind gelassen weglächeln.
Dass die FIFA kurz zuvor die beiden Exko-Mitglieder Amos Adamu (Nigeria) und Reynald Temarii (Tahiti) wegen des Verdachts der Bestechlichkeit suspendiert hatte, war nicht mehr als ein Bauernopfer.
Bin Hammam wurde inzwischen auch ausgeschlossen. Ein Funktionär aus der Karibik hatte zugegeben, bei einem Treffen mit bin Hammam 40.000 Dollar erhalten zu haben. In einem Telefoninterview mit der Nachrichtenagentur AP berichtete Louis Giskus, der Verbandschef von Surinam, dass er bei dem Meeting in der Lobby eines Hotels in Port of Spain einen Umschlag mit vier Stapeln von 100-Dollar-Scheinen entgegengenommen habe. Bin Hammam bestreitet die Vorwürfe selbstverständlich vehement.
Die FIFA funktioniert wie die katholische Kirche. Missstände werden intern und mit dem kleinstmöglichen Aufwand und Aufsehen geregelt. Der Rest wird unter einen großen Teppich gekehrt. So wie damals bei der Affäre um die 2001 bankrott gegangene ISMM/ISL-Gruppe.
Bisher ist bewiesen, dass der Sportvermarkter, der über 1,5 Milliarden Euro Schulden hinterlassen hatte, Gelder unter anderem an FIFA-Exko-Mitglieder in Höhe von 140 Millionen Schweizer Franken gezahlt hat, um sich nachhaltige Vorteile etwa bei der Vergabe von Fernseh- und Sponsorenrechten für die Weltmeisterschaften zu sichern. Auch der in Deutschland längst verkrachte Leo Kirch hatte seine Finger im Spiel, als er sich einst die Rechte für die Weltmeisterschaft 2002 und 2006 sicherte.
Über Jahre habe sich die FIFA nur zu gerne bestechen lassen. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft hieß es damals: "Ausländische Personen von Fifa-Organen kamen bis ins Jahr 2000 in den Genuss von Provisionen, die von der ISMM/ISL-Gruppe ausgeschüttet wurden. Die Zahlungsadressaten unterließen es, die Gelder an die Fifa weiterzuleiten und verwendeten die Vermögenswerte für ihre eigenen Zwecke. Die FIFA ihrerseits unterließ es, die ihr zustehenden Vermögenswerte von den Beschuldigten einzufordern. Sie wurde in diesem Umfang geschädigt.”
Wirklich bestraft wurde damals von der FIFA aber niemand. Wie bei der fast schon legendären CDU-Spendenaffäre 1998 wurden die Namen der Empfänger nie bekannt. Während aber damals Alt- Bundeskanzler Helmut Kohl schlicht beharrlich schwieg, zahlte die FIFA die Staatsanwaltschaft gewissermaßen sogar noch aus.
Als so genannte Wiedergutmachungszahlungen gingen lächerliche 5,5 Millionen Schweizer Franken damals ein. Im Gegenzug musste die FIFA keinen einzigen der Schmiergeldempfänger namentlich nennen.
Legt man bei den 140 Millionen Franken die Schätzungen von "Transparency International" zugrunde, wonach nur rund zwei bis fünf Prozent aller Korruptionsfälle weltweit jemals aufgedeckt werden, könnten hochrangige FIFA-Offizielle über Jahrzehnte hinweg "Zuwendungen" im Milliardenbereich eingesteckt haben.
So geht Joseph S. Blatter jetzt in eine neuerliche Legislaturperiode. Der Sepp aus dem Wallis, erst im Laufe seines steilen Aufstiegs hat er sich seinen Künstlernamen Joseph S. Blatter zugelegt, strebt dabei weiter neuen Höhen entgegen. Er war der erste Präsident, der die Welttitelkämpfe nach Afrika vergab.
Im letzten Sommer feierte ihn fast der gesamte schwarzafrikanische Kontinent dafür. Heute ist Gastgeberland Südafrika auf kaum nennenswerten wirtschaftlichen Entwicklungen, dafür aber jeder Menge Schulden sitzengeblieben. Die FIFA hat dagegen dick abkassiert – steuerfrei, wie immer.
Blatter orakelt also weiter über die friedensstiftende Heilkraft des Fußballs und wie er die Welt besser machen kann. Ohne aber sich selbst dabei zu vergessen: Als Sonne des Planetensystems, um die sich alle anderen kreisen.
http://web.de/magazine/sport/fussball/sonstiges/13070084-fifa-das-system-blatter.html#.A1000107 (Archiv-Version vom 30.06.2011)