Akrobatische Ameisen im Sturzflug
Wenn Baumameisen vom Ast geweht werden, manövrieren sie ihren Körper gezielt zum rettenden Baumstamm. Für diese Erkenntnis ließ so manche Ameise ihr Leben.
Manche Ameisen können fliegen: Sie haben das Glück, geflügelte Männchen zu sein. Und das Pech, bald nach dem Paarungsflug mit der Königin zu sterben. Weibliche Baumameisen können zwar nicht fliegen – aber viel besser fallen als andere Insekten. Die Ameisen der Art Cephalotes atratus verbringen ihr gesamtes Leben in den Baumkronen peruanischer Urwaldriesen. Dort sind sie permanent absturzgefährdet, ein Windstoß kann sie von ihrem Ast pusten. Manchmal springen sie auch in die Tiefe, um vor Fressfeinden zu flüchten. Doch das ist eine gefährliche Flucht.
Prallen sie aus 30 Metern Höhe auf den Boden, sind sie entweder gleich tot oder zumindest aufgeschmissen: Im dunkelgrünen Dickicht gibt es keine Duftspuren, die sie zu ihrem Volk zurückführen könnten. Alleine haben sie keine Überlebenschance.
Deshalb haben sie gelernt, ihren freien Fall zu steuern. Zielstrebig biegen sie sich in der Luft und sausen auf einer kontrollierten Flugbahn zurück zum Baum. Dieses erstaunliche Verhalten entdeckte der Forscher Stephen Yanoviak, als er auf einen Tropenbaum kletterte. Eine Ameise krabbelte auf seinen Arm und biss zu, er wischte sie verärgert weg – und beobachtete ihren kontrollierten Sturzflug. Yanoviak nennt das Manöver "directed aerial descent"
Die Ameisen der Art Cephalotes atratus fressen Pollen und Nektar, aber auch weniger appetitliche Dinge wie tote Insekten und Vogelkot. Aus Letzterem gewinnen sie vermutliche wichtige Mineralien und von den Vögeln unverdaute Samen.
Ihre Nester bauen sie in hohlen Ästen von Regenwaldriesen, die in Süd- oder Zentralamerika wachsen. Meist liegen die Nester in bis zu 30 Metern Höhe. Die Ameisen lieben die oberen Äste, da dort mehr Sonnenlicht ankommt. Wie bei den meisten Ameisenarten dient eine Arbeiterinnen-Kolonie einer einzigen Königin. In einem Nest leben schätzungsweise 5.000 bis 10.000 Tiere. Sie können mindestens 100 Tage alt werden.
Die Ameisen haben einen heimtückischen Feind: den Parasiten Myrmeconema neotropicum. Er verwandelt nicht nur ihr Äußeres, sondern manipuliert auch ihr Verhalten – und macht sie so zur Beute von Vögeln. Die Eier der Würmer stecken im Kot infizierter Vögel. Arbeiterinnen sammeln ihn ein und verfüttern ihn an ihre Larven. In den Larven schlüpfen die Parasiten und wandern in den Hinterleib der heranwachsenden Tiere. Dort paaren sie sich, neue Eier reifen heran.
Der parasitengefüllte Hinterleib der Ameisen ändert langsam seine Farbe: von schwarz zu knallrot. So ähnelt er immer mehr einer tropischen Beere, die viele Vögel gerne fressen. Gleichzeitig beginnt die kranke Arbeiterin, ihr Hinterteil nach oben zu strecken, präsentiert es regelrecht dem Feind. Vögel, die keine Ameisen fressen würden, weil sie ihre schmerzhafte Verteidigung fürchten, greifen bei den vermeintlichen Beeren zu. Der Widerstand der Tiere scheint unterdrückt von den Parasiten, sie sind weniger kampflustig als gesunde Artgenossen. Im Vogel angekommen, kann die nächste Generation des Parasiten aufwachsen.
Amputierte Ameisen verraten das Geheimnis des Stürzens
Beeindruckt schubste er gleich ein paar weitere Ameisen vom Ast und sah, dass sie alle gute Basejumper waren. Damit sind die Krabbler die einzigen bekannten flügellosen Insekten, die zum gesteuerten Sturz fähig sind. Zur Kontrolle ließ er auch Vertreter einer anderen Ameisenart fallen: Plump folgten sie der Schwerkraft und fielen zu Boden.
Als Yanoviak bei seiner nächsten Regenwaldexpedition in Peru zufällig wieder auf ein ganzes Nest von Cephalotes atratus stieß, nutzte er die Chance und untersuchte das Phänomen genauer. Dafür markierte er die Hinterteile der kleinen Insekten mit weißer Farbe, ließ sie fallen und filmte sie beim Abstürzen.
UNTERSCHÄTZTE TIERE
Einigen Ameisen amputierte er anschließend den Hinterleib oder einzelne Beinchen. Mit dieser zugegeben recht grausamen Methode fand er heraus, welche Körperteile für die Steuerung entbehrlich sind und welche nicht. Ohne ihre Hinterbeine etwa verfehlten die Insekten den rettenden Baumstamm.
Aus seinen Experimenten schloss Yanoviak: Die Ameisen rudern versetzt mit ihren Hinterbeinen. So lenken sie. Rückwärts fallen sie dadurch auf den Stamm ihres Heimatbaumes zu. In der Luft suchen sie währenddessen nach einem geeigneten Landeplatz. Im letzten Moment wenden sie ihren Bauch zum Baum und krallen sich an seiner Rinde fest. Etwa acht Meter Höhe verloren die Insekten im Durchschnitt während der Testflüge im Dienste der Wissenschaft, bevor sie sicher landeten. Selbst bei turbulenten Windverhältnissen behielten die Insekten meist die Kontrolle über ihren Absturz.
Bei dem Bild der Cephalotes atratus,gilt zu beachten beim anschauen oben normal,unten die rote infizierte Ameise!
http://images.sciencedaily.com/2008/01/080116142805.jpg (Archiv-Version vom 19.10.2012)