whatsgoinon schrieb:Meiner Meinung nach sind die Ähnlichkeiten zu der Geschichte des Horuskindes wirklich frappant.
Wie ich es mir gedacht habe. Es gibt gar keinen Text, der diese Parallelen enthält. Thomas Schneider bedient sich hier quasi aller Texte und Fragmente zum Horusmythos quer durch 2 1/2 tausend Jahre altägyptischer Überlieferung. So als wäre "der Horusmythos" ein monolithisches Gebilde, das auch noch über Jahrtausende gleich geblieben wäre. Aber der Horusmythos hat sich über diesen langen Zeitraum genauso verändert wie jeder andere, den wir aus mehreren Epochen Alt-Ägyptens kennen. Und zu jeder einzelnen Zeit gab es nebeneinander oft gleich mehrere alternierende Versionen. Schneider nimmt nun sämtliches Material aus allen Epochen und stellt nun die in seinen Augen vorkommenden Parallelen zur Geburtsgeschichte Jesu zusammen - wobei es ja nicht einmal eine einheitliche Geburtsgeschichte Jesu gibt, sondern allein schon im NT zwei verschiedene.
So bringt das nichts. Die älteren Horustexte aus dem alten, mittleren und neuen Reich sind schon mal irrelevant, eben weil sie in dieser Weise in hellenistisch-römischer Zeit gar nicht mehr vertreten bzw. verbreitet werden. Zur Zeit Jesu bzw. der frühen Christen waren selbstverständlich die spätptolemäischen und römerzeitlichen Horustexte von Belang. Auf die hätte Schneider sich beziehen müssen, nicht auf alles. Und selbst die kann er nicht mal eben einfach promiscue nebeneinanderstellen, sondern gruppieren nach ggf. gleichzeitig nebeneinander existierenden Horusüberlieferungen. Diese einzelnen Gruppen dann hätte Schneider dann mit jeder der beiden neutestamentlichen Geburtserzählungen abgleichen müssen. Hätte sich da dann z.B. ergeben, daß die Matthäusgeschichte eine signifikante Übereinstimmung mit den Abydostexten aufweist, nicht aber mit dem Sondergut der Exfu-Textgruppe, und bei der Geburtserzählung von Lukas wäre es genau andersherum. Dann, ja dann wäre eine Abhängigkeit durchaus gegeben.
So aber sind diese Parallelen genauso wenig wert wie jede vergleichbare Arbeit, die schon nachgewiesen hat, daß Jesu Lehre inb höchstem Maße buddhistischen Lehraussagen entsprechen, in genauso hohem Maße aber auch dem, was die Sokratiker sagten. Bezüglich der Krankheit des Paulus, die er selbst erwähnt (der Stachel im Fleisch), haben ebenfalls diverse Mediziner schon aus Paulusbriefen wie aus der Apostelgeschichte zahlreiche Symptome zusammengetragen und die Krankheit des Paulus diagnostiziert - freilich fand jeder Mediziner eine andere Krnkheit heraus, immerhin eine aus seinem eigenen Spezialbereich. Seien es nun die QUellen der Lehre Jesu, die Krankheit des Paulus oder die Herkunft der Geburtserzählung(en), zu jedem gibt es mehrere alternative Erklärungen, und bei keiner können alle alternierenden Erklärungen richtig liegen.
Das zeigt eines ganz deutlich: einfach wie in einem Steinbruch arbeiten und sich alles scheinbar Passende herauszubrechen und aufzulisten, ist kein wissenschaftlich gangbarer Weg, wie viele "Treffer" man auf diese Weise auch zusammenbekommt. Nicht eine Aufzählung mehr oder weniger zufälliger Übereinstimmungen, sondern der Aufweis wesensmäßiger Zusammengehörigkeit (wie etwa in meinem hypothetischen Beispiel Matthäus-Abydosgruppe, Lukas-Edfugruppe).
Vor allem darf man die Formkritik nicht sträflich vernachlässigen! Will man eine bestimmte Story erzählen, so ergibt sich aus der Art der Story, ihrem Charakter, bereits ein bestimmtes Strickmuster für die Geschichte. Selbst einzelne darin vorkommende Details sind bereits prädestiniert. Es gibt also so etwas wie einen Fundus genretypischer Vorlage-Schablonen. Will man einen Liebesfilm drehen, so nehme man einen Mann und eine Frau, die anfangs nicht zusammenzupassen scheinen. Und die sich anfangs auch überhaupt nicht mögen. Dann lasse man die beiden sich zusammenraufen. Irgendwann verlieben sie sich, und es könnte zum Schluß kommen, doch nun passiert irgendein tragisches Mißverständnis oder ähnliches, sodaß die beiden sich so sehr entzweien, daß eine Versöhnung kaum denkbar erscheint. Die kommt am Ende aber doch noch zustande, durch einen Zufall oder viel, viel Arbeit, und am Ende Kußszene in Totale und Abblende.
Da schreibt nicht einer vom anderen ab, das ist ne Art Standardrepertoire in geradezu Jungscher Archetypik. Und sowas gibt es auch für das Genre der Rettergeschichten. Eine wundersame, aber auch bedrohte Geburt, oft auch vorausgesagt, Eltern sind besonders oder auch unbekannt, die Kindheit im Verborgenen oder abgeschieden. Als Heranwachsender oder Erwachsener erkennt der Held seine Retterbedeutung. Er rettet, hilft, heilt, verteidigt, und zwar viele Einzelne oder das ganze Volk, oder er wendet eine große Bedrohung ab. Am Ende aber wird er tödlich getroffen, am besten durch Verrat. Er stirbt oder zieht sich ins Unbekannte zurück. Sein Grab ist unauffindbar oder existiert nicht. Es wird aber vorausgesagt oder gehofft, daß er eines Tages wiederkehrt, wenn die Not wieder groß ist.
Sei es Horus, sei es Mose, sei es Buddha, sei es Jesus, sei es Artus, sei es Barbarossa... Nicht in jeder Story müssen alle Elemente vorkommen, aber es sind letztlich dennoch immer wieder die selben Motive, und sie kehren hier, da und dort immer wieder. Und zwar von ganz allein, ohne daß sich eine Abhängigkeit der verschiedenen Geschichten untereinander nachweisen lassen müßte. Im Gegenteil, man wird der eigentlichen Entstehung einer solchen Rettererzählung gar nicht gerecht, wenn man alle diese wiederkehrenden Motive als direkte Abhängigkeit und Übernahme erklären will.
whatsgoinon schrieb:Ich denke es wird der Sache nicht gerecht, wenn es nun darauf reduziert wird.
Es ging aber nur um die Übernahme der Jungfrauengeburt aus heidnischer Vorgabe, und das hat sich nun hoffentlich endgültig erledigt. Wenn Du da die Felle davonschwimmen siehst und daraufhin ankommst mit "Ja, aber gibt ja noch andere Übereinstimmungen", dann ist das erst mal was völlig anderes und ändert ferner nichts an den fortschwimmenden Fellen in Sachen heidnische Vorlage der Jungfrauengeburt.