Nexpert schrieb:Die historisch-kritische Methode ist ein im 18. und 19. Jahrhundert entwickelter Methodenapparat
Ja, das hatte ich unsauber formuliert. Die Historisch-Kritische Forschung an sich ist "nur" hundert Jahre älter, aber deren Vorreiter sind um Jahrhunderte älter als Darwin. So Leute wie Spinoza, Descartes... selbst Maimonides.
Nexpert schrieb:Ich sprach von der Schöpfungsgeschichte erst mit Darwin und anderen Wissenschaftlern gab es die Erkenntnis, dass es nicht unbedingt einen Schöpfer für die Entstehung der Welt braucht und dass das Universum Milliarden von Jahren alt ist. Erst ab da lehren Christen, dass die Schöpfungsgeschichte nicht wörtlich zu verstehen ist.
Also bereits Maimonides hielt die erste Schöpfungsgeschichte, die Siebentageschöpfung, für eine metaphorische Beschäftigung mit philosophischen Menschheitsthemen. Maimonides starb um 1204.
Nexpert schrieb:Warum denn? Der Mensch wurde doch dann fehlbar erschaffen.
Er wurde frei genug erschaffen, um selbst entscheiden zu können.
Gut daran zu erkennen, daß doch erst das Essen von der verbotenen Frucht die Erkenntnis von Gut und Böse einbringen solle, aber noch vor Essen der Frucht heißt es (1.Mose3):
4 Da sagte die Schlange zur Frau: Keineswegs werdet ihr sterben!
5 Sondern Gott weiss, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses.
6 Und die Frau sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust für die Augen und dass der Baum begehrenswert war, Einsicht zu geben; und sie nahm von seiner Frucht und ass, und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er ass.
Die Erzählung selbst zeigt, daß sie nicht auf der historischen Ebene "Wahrheit" spielt. Es ist des Menschen Streben, es sind seine Entscheidungen für oder gegen etwas, die ihn fehlen lassen.
Adam und Eva sind nicht zwei konkrete Individuen, und wären es andere gewesen, wäre es anders gekommen. Adam und Eva sind die ganze Menschheit. Das ist das Wesentliche solcher Schöpfungs- und Urgeschichtsmythen, daß nicht irgendwelche zufälligen Individuen agieren, sondern die Menschheit als ganzes. Adam und Eva waren laut Erzählung ja wirklich noch "die ganze Menschheit", aber es wird auch durch ihre Namen gezeigt: 'adam = Mensch, chawa (Eva) = Lebewesen, Lebende. Auch bei der Sintflut und bei der Turmbaugeschichte ist die gesamte Menschheit der Akteur und damit der Verursacher der von Gott daraufhin eingeführten Veränderung. Hier nun nicht mehr verkörpert in einem Paar odgl., sondern literally als "die Menschen / Menschheit. Die Folgen, die jene "Menschheit" verbockte, gelten dann auch der ganzen Menschheit. Erst in späteren Erzählungen, die aber noch immer in einer "grauen Vorzeit" spielen, werden bestimmte Folgen nur noch von einzelnen Gestalten, nicht mehr der ganzen Menschheit verursacht, aber dafür gelten diese Folgen auch nicht mehr für die ganze Menschheit, sondern nur für einzelne Gruppen. Wenn Jakob mit dem Engel am Jabbok ringt und dafür den Ehrennamen Israel erhält, bei dem Kampf aber an der Hüfte verletzt wird, dann kann es am Ende der Story heißen, daß die Israeliten (also die Nachkommen von Vater Jakob) beim Verzehr von Fleisch einen ganz speziellen Hüftmuskel stets auslassen. Und wenn ein Richter in der Frühzeit Israels, vor den Königen, ein unbedachtes Gelübde ablegt und am Ende seine Tochter opfern muß, dann wird am Ende ein israelitisches Fest davon hergeleitet, welches von den Jungfrauen Israels gefeiert wird. Individuen agieren (positiv oder negativ), abgeleitete Folgen gelten nur für eine Gruppe. Aber in der mythischen Urzeit, da agiert "Mensch", und die Folgen gelten "Mensch". Die Schöpfungs- und Urzeitstories zeigen tatsächlich selber an, daß sie nicht als "Geschichte" zu verstehen sind, sondern als "mythische Vorzeit", als Beschreibung von Menschsein und menschlichen Grenzen.
Nexpert schrieb:Da sprach Gott, alles sei sehr gut. Also gibt es da beim Menschen nichts zu beanstanden.
Tja, siehste, noch so ein Grund, daß sehr viele alte Kulturen diese Form von "Schöpfungserzählungen und Urzeiterzählungen" haben. Wenn so ein Gott die Welt erschafft, dann wird er sie wohl gut hinbekommen haben, geradezu göttlich perfekt. Schaut man sich aber mal um, so bemerkt es auch der letzte Bronzezeitler: Es gibt aber auch Scheiße in der Welt. Hunger, Krankheit, Schmerzen, Benachteiligungen ganzer Gruppen, Uneinigkeit, Krieg, Tod. Genau dafür sind die sogenannten Urzeiterzählungen da. Erst war es gut wie zu Schöpfungszeiten, dann hat "Mensch" Scheiße gebaut, und dafür gabs dann als Strafe eben diese Veränderungen der Schöpfungsordnung, die wir scheiße finden. Nach dem Sündenfall bestraft Gott die Menschen mit Schwitzen bei der schweren Arbeit, wenig Ertrag (verfluchter Ackerboden), Schangenbiß, Geburtsschmerzen, patriarchaler Frauenunterdrückung. Und natürlich mit Sterblichkeit. Die Schöpfung war gut, die historische Menschenwelt ist nicht ganz so gut. Die Ursache dafür ist "unsere Schuld", nicht "die Schuld unserer allerersten Vorfahren", denn die sind letztlich "wir". In mythischer Rede.
OK, in manchen Kulturen liegen die Ursachen nicht in menschlichem Fehlverhalten, sondern in irgedwelchen zufälligen Ereignissen oder in noch anderen Sachen. In einem Mythos, den ich vor X Jahren mal gelesen hab, erschuf der Schöpfer die ganze Welt und alle Wesen, und erschuf sie unsterblich. Als sich aber alle vermehrten und damit nicht aufhörten, wurde es allmählich übervoll. Darauf führte der Schöpfer den Tod ein. Er ließ die Berge sterben. Aber ach, sie zerfielen und bedeckten mit ihrem Geröll einfach alles. Da ließ der Schöpfer die Berge wieder ewig leben und machte das Wasser sterblich. Doch nun fing das tote Wasser an zu stinken, bis niemand das mehr aushielt. Also änderte der Schöpfer das wieder. Nun ließ er die Lebewesen sterben. Als dann das erste Tier (Reh, Gazelle, wasweißich) starb, waren alle Lebewesen sehr traurig, weinten und jammerten lautstark. Man fertigte einen Sarg, legte das tote Tier hinein. Andere hatten schon ein Grab ausgehoben, und nun brachte man den Sarg dort hin. Auf dem Weg jammerten und weinten alle immer stärker, sodaß der Schöpfer begann, darüber nachzudenken, auch die Lebewesen wieder unsterblich zu machen. Doch plötzlich stolperte einer der Sargträger über eine Wurzel. Er fiel nicht, rannte dafür aber voran, um sich in der Senkrechten halten zu können. Die anderen Sargträger wurden hinterdreingezerrt, und der Sarg hüpfte und schwankte hier und dorthin. Das sah zum schreien komisch aus, und plötzlich prustete ein Tierlein lauthals lachend los. Andere Tiere fingen ebenfalls an zu lachen, bis die ganze Trauergesellschaft einstimmte. Soso, sagte der Schöpfer, die Lebewesen sind stark, sie kommen mit dem Tod klar und können damit weiterleben. Dann laß ich es auch dabei. Und seither sind wir alle sterblich. - Auch das ist eine Erklärung für das "Nicht so Schöne in einer doch eigentlich schön sein sollenden Schöpfung". Und wieder sind die beteiligten Akteure "alle", nicht einige konkrete Individuen, und bei anderen wäre es anders gekommen. Und hier wird die Erklärung noch sinnfälliger "Wir sind es, deretwegen der Schöpfer uns den Tod gegeben hat, weil wir eben stark genug sind, mit dem Tod leben zu können" Nicht "irgendwelche realen, konkreten Erstwesen", sondern "wir sinds, deretwegen es so ist". Mythos von Schöpfung und Urgeschichte durch und durch, nach Lehrbuch!
Menschen, die in so einer mythischen Kultur und Denkweise leben, die verstehen ihre Stories schon richtig. Wir sind es dank unseres kulturellen Kontextes nicht gewöhnt, so zu denken, derlei mythische Geschichten so zu lesen. Wir sind viel zu stark von einem individualisierten Denken geprägt, sodaß wir geneigt sind, Adam und Eva als Individuen aufzufassen und deren Vergehen als individuelles Fehlen, für das dann andere in Sippenhaft genommen würden. Zu denken, der andere im Mythos bin ich, das liegt uns nicht. Aber wir können es immerhin durch religionsgeschichtliche Vergleiche udgl. erkennen und begreifen, wie diese Mythen aufgebaut sind und funktionieren, was sie besagen wollen - und was nicht.
Geht man so aber nicht vor und bleibt bei seinen gewohnten, von der eigenen Kultur gestellten Interpretationsmustern, kann man mit seiner Erklärung, was da erzählt wird, ganz schnell falschliegen.
Nexpert schrieb:Nö, ahnungslos bin ich nicht, recherchieren muss ich gar nichts.
Vielleicht ja
doch beides...
Nexpert schrieb:Meines Wissens kann man hier seine Meinung schreiben
1) kann man,
2) kann man damit aber auch falsch liegen,
3) könnte Ahnung haben und recherchieren auch bei Meinungen helfen.
Nexpert schrieb:Jetzt aber zurück zum Thema.
Nicht, wenn Du hier einen auf Mehrefachposts machst. Dann isses Dir ja doch wichtig genug, noch zwei Ergänzungen hinterherzuschieben. Entsprechend kriegst Du auch die Antwort ab.
Kephalopyr schrieb:Vielleicht klingt der Begriff "erschaffen" in dem Fall nicht korrekt.
Nenn es Kreieren, ist das Selbe in
grün latein. Darüber hinaus sprechen Künstler, auch Schriftsteller, regelmäßig und gerne von ihren Schöpfungen bzw. Geschöpfen. Und auch andere Leutz sagen über einen Schriftsteller, er erschaffe Welten, oder er erschuf ein ganzes Universum. Wird manchmal auch gleich nur so bezeichnet, etwa das Startrek-Universum (und damit ist nicht das "eigentliche" Universum gemeint, sondern alle Figuren, Völker, Handlungsstränge, Ebenen, Serien...). Kreative Leute sind nun mal schöpferische Leute. Der Begriff "erschaffen" ist mal sowas von angemessen.
Worüber Du freilich nix gesagt hast, das ist, ob meine (in ein Bild und anschließende Fragen gekleidete) Antwort nun was taugt. Und? Gehen Gewordensein und Erschaffensein (gerne auch Gemachtsein odgl.) auch zusammen?