sacredheart schrieb:Du plädierst hier ja sehr dafür, dass Politiker auch Freizeit und Urlaub brauchen. Das sehe ich ganz genauso. Ein rotäugiger übernächtigter Aktenfresser, der nie raus kommt, hat bestimmt nicht den besten Überblick über alles.
Aber da ist der Politiker auch selbst für zuständig.
Der erste Punkt ist keine Ämterhäufung anstreben. Auch wenn es als karriereförderlich verlockend sein mag, kann man nicht zwei Vollzeitjobs zu 100% ausfüllen.
Man kann auch Zeiten begrenzen. Ronald Reagan hat zB zu Beginn seiner Amtszeit zum Entsetzen seines Stabes klargestellt, dass 17 Uhr Feierabend ist. Ist ja auch gegangen. Finde ich super. Allerdings hat er auch Rahmenbedingungen vorgegeben, unter welchen Umständen davon abgewichen werden kann, zB bei Katastrophen natürlich.
Deshalb soll sich ein Politiker wie jeder andere Verantwortungsträger mit dem Alltagsgeschäft nicht zu 100% verausgaben, damit er oder sie auch noch Ressourcen für die Momente hat, in denen es wirklich drauf ankommt.
Ich muss auch in meinem kleinen Unternehmen darauf achten, dass weder ich noch alle Mitarbeiter von einem normalen Tagesgeschäft restlos ausgepowert sind. So erhält man sich Ressourcen für 'wenn mal was ist'.
Und wenn ich mir noch ein zweites Unternehmen vergleichbarer Größe ans Bein binden würde, müsste ich saudämlich sein. Dann klappt das alles nicht mehr. Man muss halt auch eigener Habgier und eigenem Ehrgeiz Grenzen setzen. Sonst tun das andere und man muss hinterher in der Glotze rumheulen.
Mein Punkt ist, dass man für solche Probleme immer eine ganze Kultur bzw. ein System ändern muss. Es ist nicht die eine Ministerin,d ie mist baut, es ist ein ganzes Ministerium was schon lange problematische Abläufe hat, bzw. eine politik, in der es normal ist, hohe anforderungen an politiker zu stellen die keiner von denen erfüllt, wenn man genauer hinsieht.
Da wäre es mir lieber, wir würden einmal ehrliche standards festlegen und da sehr streng überprüfen, ob minister diese Einhalten.
Dass Spiegel 2 Ämter hatte, finde ich falsch. Sowas sollte gar nicht erlaubt sein. Aber dann sollte man eben auch darauf achten, dass es ganz normal ist, dass Minister geregelte Auszeiten haben und ggf. die Arbeit auf andere Beamte übertragen, oder aber schlicht in einem Ministerium mehr Entscheidungsträger oder Vizes installieren.
Wie du schon sagst, es ist in Firmen mit einer schlechten kultur selten so, dass es dieser eine mitarbeiter oder der eine chef ist, der was falsch macht, sondern, dass sich da ein system eingeschlichen hat, was für alle nicht gut ist.
Mich ärgert es SEHR, das kannst du mir glauben, wenn Prozesse in Deutschland nicht gut funktionieren. Das kotzt mich beim gesundheitssystem an, beim Schulsystem, in öffentlichen Ämtern, bei der Digitalisierung, bei der Kulturförderung und natürlich auch im Allgemeinen in der Politik.
Das, was mich immer stört, ist, wenn man diese debatten auf Fehlverhalten von Menschen runterbricht, die nur Symptom eines größeren problems sind.
Bei Anne Spiegel kann jeder seinen Senf dazu geben, was sie nicht alles falsch macht. Bei anderen politikern auch, wenn mal ein Shitstorm zu groß wird und man ihn nicht aussitzen kann.
Aber das viel fatalere ist doch, dass Minister viel Schlimmere Sachen als Anne Spiegel machen können und im Amt bleiben, wenn sie nur dreist genug sind einfach nichts dazu zu sagen und ihre Partei sie stützt.
Was ich will, ist wie gesagt, dass man Standards hat, auf die streng geachtet wird, sodass nicht nur der fehler ist, sich erwischen zu lassen und ansonsten es keinen interessiert, was wirklich abgeht. Wie gesagt, mit dem Urlaubsding scheinen andere Politiker ja gar kein problem gehabt zu haben bei Heinen-Esser, daraus folgere ich, dass es hinter vorgehaltener Hand vollkommen normal ist für Politiker, sowas zu machen. Und dieses "wir hauen den, der erwischt wird, ganz doll, aber die, die es auch machen aber gut genug lügen lassen wir in ruhe und interessieren uns nicht dafür", das ist es, was mich so ärgert.
Bei den Grünen sehe ich, dass sich die Partei grundsätzlich bemüht, überhaupt standards herzustellen, z.b. beim Lobbyregister. Und genau da fand ich eben auch, dass andere parteien versucht haben, das zu derailen. So vonwegen "wir brauchen kein Lobbyregister, aber guck doch, die baerbock die hat diese geburtstagsgelder eingesteckt".
Persönliche Verfehlungen werden oft weit, WEIT vor große und gefährliche systemische Probleme gestellt, weil eigentlich gerade die Leute, die am lautesten schreien, damit ganz zufrieden sind, dass man mauscheln kann wie man will, wenn man dabei dreist genug ist.
Darum geht mir das Spiegel Ding gegen den Strich. Ich hab da ganz stark das Gefühl, dass Spiegel gehen muss, schlicht, weil sie nicht ganz so kaltschnäuzig gelogen hat wie andere Minister und sich den Schuh eher angezogen hat. Gelogen hat sie auch (gehe ich mal von aus), aber um uns da ehrlich zu machen, solche kleinen lügen benutzen so ziemlich alle hochrangigen Politiker für die Optik. Wenigstens fallen mir da sehr viele ein.