Zum 15. Mal jährt sich der „Ehrenmord“ an der kurdischstämmigen Deutschen Hatun Sürücü. Politikwissenschaftlerin Nina Scholz warnt: Frauenfeindliche Vorstellungen herrschten auch heute in konservativen muslimischen Communitys. Die Opfer würden oft alleingelassen.
Unter dieser Überschrift gibt es ein Welt-Interview, dass sich mit Ehrenmorden, den Ursachen und ihrer Bewertung allgemein und im speziellen mit dem Tod von Hatun Sürücü beschäftigt.
WELT:
Frau Scholz, am 7. Februar 2005 wurde die damals 23-jährige Hatun Sürücü von einem ihrer Brüder ermordet, weil sie ein selbstbestimmtes Leben führte. Was hat sich in den vergangenen 15 Jahren für Betroffene von Gewalt im Namen der Ehre getan?
Nina Scholz: Das Problem ist nicht kleiner geworden. Diese Ehrvorstellungen sind in konservativen muslimischen Familien weiterhin sehr wirkmächtig. Mittlerweile gibt es jedoch einen eigenen Straftatbestand der Zwangsverheiratung. Zudem sind inzwischen viele Beratungsstellen entstanden. Das war ein langer Kampf, oft auch gegen Widerstände von Linken und Grünen.
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WELT: In Berlin sind es die Grünen, die jährlich einen Hatun-Sürücü-Preis an Personen und Initiativen vergeben, die sich für das Recht von Mädchen und Frauen auf Selbstbestimmung einsetzen.
Scholz: Der Hang zur Tabuisierung besteht jedoch weiterhin. Es gibt eine Tendenz, Gewalttaten im Namen der Ehre als Einzelfälle darzustellen. In Deutschland haben sich 2008 3500 Betroffene einer angedrohten oder vollzogenen Zwangsheirat an Beratungsstellen gewandt. Die Relativierer lassen die Betroffenen im Stich....
WELT: Verharmlosungen gibt es sicherlich und sind auch sehr kritikwürdig. Auf der anderen Seite werden Muslime ganz grundsätzlich verdächtigt.
Scholz: Pauschalisierungen sind immer gefährlich. Wenn man ein Problem benennt, bedeutet das nicht, dass man allen Muslimen Gewalt zuschreibt. Wenn man der hohen Akzeptanz patriarchaler Ehrvorstellungen jedoch nur mit der Behauptung entgegnet, dass man damit alle Muslime in Misskredit bringen würde, passiert das auf dem Rücken der betroffenen Mädchen und Frauen.
....Scholz: Der Täter einer Beziehungstat hat nicht die Unterstützung der Familie und des Umfelds. Wenn ein traditioneller Ehrbegriff sehr präsent ist, steht die Familie und das Umfeld nicht auf der Seite der Frau. In Gerichtsverhandlungen um Ehrgewalttaten ist häufig die Familie des Täters zur Unterstützung vor Ort.
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Scholz: Ehre hat in diesen kollektivistischen Strukturen nichts mit persönlichen Leistungen zu tun, sondern gilt als kollektiver Besitz. „Unehrenhaftes“ Verhalten eines Familienmitglieds kann das soziale Aus der Familie bedeuten. Der Mann gilt in diesen Strukturen dann als ehrenhaft, wenn er zeigt, dass er die Mädchen und Frauen der Familie unter Kontrolle hat.
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WELT: Ehrkulturen und auch gewisse in muslimischen Familien und Gesellschaften verbreitete Ehrvorstellungen sind jedoch wesentlich älter als der Islam.
Scholz: Dennoch werden diese Ehrvorstellungen häufig mit dem Islam begründet. Ich spreche nicht von liberalen Muslimen, die ihren Kindern Freiheiten gewähren und wollen, dass diese ein selbstbestimmtes Leben führen. Ich spreche von dem Teil der konservativen bis hin zu fundamentalistisch eingestellten Muslime. In diesen Communitys hat der Islam nichts von seiner großen, normativen Kraft verloren. Dort bestimmt der Islam das Leben bis in die intimsten Bereiche. Deshalb verwundert es nicht, dass die Mitglieder dieser Communitys diese Vorstellungen wie selbstverständlich als religiös notwendig betrachten.
wie hier schon von einem user in einem anderen thread zutreffend geschrieben wurde:
Peterlee schrieb:
Mord ist generell gegen jede Gesellschaftsordnung idR. Hier geht es aber nicht um Generalisierte Morddefinitionen sondern im die Ablehnung des deutschen Gesellschaftssystems einschließlich Freiheit der Frau. Und das macht Ehrenmord besonders
Zitate aus dem umfangreichen Interview:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article205672167/Fall-Hatun-Sueruecue-Hang-zur-Tabuisierung-von-Ehrenmorden.htmlIm Übrigen finde ich es äußerst bedauerlich, dass es eines langen Kampfes bedurfte, in unserer Rechtssprechung einen eigenen Straftatbestand der Zwangsverheiratung zu etablieren, und dies gegen Widerstände von Linken und Grünen.
Dass Mordmerkmal der Heimtücke bei Ehrenmorden ist selten bis schwer nachweisbar, hier gilt es , die Wiederherstellung der Ehre als sonstige niedrige Beweggründe zu beweisen.
Bei den Kinderehen sieht es nicht so aus, als seien die reihenweise annuliert worden (wird hier aber ot)
Dass sich hierbei ausgerechnet die "gesellschaftliche Avantgarde" von Linken und Grünen zurückhielt oder tabuisiert(e), ist erschreckend. (nicht meine Behauptung, steht im link. bzw verstehe ich das so)
Ihnen müsste es doch schon von ihrem Grundverständnis her wichtig sein, mit aller Kraft und allen legalen Mitteln die archaischen-patriarchalischen Strukturen zu benennen, aufzubrechen und zu verändern.