Kommunismus oder Demokratie - Welches ist die bessere Regierungsform?
10.02.2011 um 04:34
Ein Strategiepapier der Kommies, zur Lage: vll. interessiert es hier so den einen oder anderen :
Klassenkampf - Krise - Kommunismus?
Teil 1
Bischofferode, die Lausitzer Bergarbeiter, die Stahlarbeiter im Ruhrgebiet, Unis im Streik, die Binnenschiffer, LehrerInnen ... Vor wenigen Monaten Air France und jetzt die Fischer in Frankreich. Trotzdem erscheint der Aufstand in Chiapas beinahe schon als anachronistisch. Woran liegt das?
Wir sind solchen Aufzählungen und voreiligen Schlüssen auf einen neuen Kampfzyklus gegenüber - zu Recht - sehr mißtrauisch geworden. Zum einen, weil wir uns damit schon zu oft auf dünnstem Eis bewegt haben (es wirkt ganz komisch, wenn man heute zum Beispiel das Editorial der Wildcat 38 liest, in dem wir von einer neuen politischen Phase geschrieben haben, die nun anfangen würde...), zum anderen, weil die Leute, die da kämpfen, selber nicht das Gefühl haben, als würden sie oder könnten sie die Welt verändern.
Wir selber sind politisch-theoretisch in die Krise gekommen. In unseren praktischen Versuchen können wir die Spanne zur Revolution nicht aufstecken, in keinem Einzelfall die vorwärtstreibende proletarische Tendenz finden, auf der Ebene von Initiativen sind wir meist nur noch die radikalere Variante der autonomen Hiphop [1]-Politik. Deshalb können wir mit unseren Analysen auch die Menschen nicht mobilisieren, sondern erklären ihnen nur noch, warum die Scheiße funktioniert! [2]
In der öffentlichen Diskussion hat sich der Kapitalismus als das bessere System durchgesetzt. Der Markt ist allen andern Formen von Regulierung, Absprachen, politischen Interventionen usw. überlegen. Dagegengehalten werden dann höchstens Zusammenbruchstheorien à la Kurz (Kollaps der Moderne) oder moralische Argumente à la »der Kapitalismus ist ungerecht, siehe die verhungernden Kinder« [3]. Gleichzeitig fällt uns auch nicht viel ein zu den alltäglichen Verhaltensweisen der ArbeiterInnen, die anscheinend auch davon ausgehen, daß der Markt die beste Organisationsform ist [4]. Und es ist doch auch allgemeine Gefühlslage: der Kapitalismus hat gewonnen, weil er das überlegene System ist, das sich selbst am effektivsten reproduzieren kann, in seiner Reproduktion immer wieder (»auf ewig«?) an veränderte Bedingungen anpassen kann. Zwar ist darüber niemand so recht glücklich - die Kapitalisten auch nicht [5] - aber es läßt sich nun mal nicht ändern.
Die Erarbeitung einer eigenen Theorie von der gegenwärtigen Krise soll uns in mehrerer Hinsicht weiterhelfen:
wollen wir genau rauskriegen, wo wir stehen, in welcher historischen Situation wird sind (gegen die Geschichtslosigkeit des sich ewig reproduzierenden Kapitalismus);
wollen wir kapieren, in welcher Krise unsere Feinde sind, wo revolutionäre Bruchpunkte im System liegen (gegen die Behauptungen, der Kapitalismus und der »freie Markt« seien nun mal das überlegene System);
wollen wir auf dieser Ebene dann eine organisierende Diskussion über unsere praktischen Eingreifmöglichkeiten führen (gegen mechanische und voluntaristische Organisationsmodelle - aber auch gegen den um sich greifenden Defätismus);
brauchen wir mehr als eine moralische Kritik an der ungerechten Welt. Wir wollen besser kapieren, welche (subjektiven) Kräfte das Kapital in die Krise gebracht haben und ob darin eine emanzipatorische, im Sinn von Marx »kommunistische« Kraft liegt (»Kommunismus ist nicht ein Zustand, sondern die wirkliche Bewegung«).
Deshalb kommen in diesem Zirkular drei Beiträge: Der folgende setzt sich zunächst etwas theoretischer mit der Krise und verschiedenen politischen Ansichten dazu auseinander. Der zweite ist ein Versuch, empirisch genauer zu gucken, wie Krise und Arbeiteraktion zusammenhängen. Als drittes haben wir einen Artikel von Riccardo Bellofiore aus der italienischen Zeitschrift altre ragioni übersetzt, mit dessen politischen Schlußfolgerungen wir zwar nicht einverstanden sind (er ist anscheinend ein Demokratiefan), er hat aber den großen Vorteil, daß er sehr ausführlich auf die vorherrschenden bürgerlichen nationalökonomischen Theorien und Ideologien eingeht und sie auseinandernimmt.
Im nächsten Zirkular werden wir dann auf neuere linke Krisentheorien eingehen - und vielleicht auch schon weitere Beiträge dazu abdrucken können.
Crisis what crisis?
Die Frage ist erstmal: welche Krise? In der Diskussion werden ständig (mindestens) zwei verschiedene Begriffe von Krise durcheinandergeschmissen. Der eine ist der aktuelle zyklische Wirtschaftseinbruch mit negativen Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts, Entlassungen usw. Der andere ist die strukturelle Krise seit Anfang der 70er Jahre (»Krise des Kapitalismus«). Die erste Art der Krise gehört zum Wesen des Kapitalismus. Dies hatte Marx erkannt und auf abstrakter Ebene verschiedene Erklärungs-Möglichkeiten angeführt. Er meinte, wenn die inneren Zusammenhänge des Kapitalismus erst mal begriffen sind, »stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände« (Brief an Kugelmann). Wie ernst für die Verfechter des Kapitalismus diese Kritik bereits ist, zeigt sich z.B. daran, daß sie nach dem Zweiten Weltkrieg allen Ernstes behauptet haben, sie hätten nun das Problem dieser zyklischen Krisen gelöst: durch die Präzision der Vorhersagen über die wirtschaftliche Entwicklung, die Genauigkeit der Wirtschaftswissenschaften und durch die Macht des Staates, antizyklisch gegenzusteuern, würde es nun zu keinen Rezessionen mehr kommen. Heute wissen wir, daß das auch damals nicht stimmte, aber als Ideologie von der Überlegenheit der »sozialen Marktwirtschaft« spielte es bis Mitte der 60er Jahre eine Rolle.
Danach kam es zu einer ersten, kleinen Rezession und im Gefolge der dann einsetzenden Arbeiterkämpfe seit Anfang der 70er Jahre zu einer »strukturellen Krise«, die bis heute ungelöst ist und sich auch im zyklischen Auf und Ab von Boom und Rezession nicht löst (auch der längste Aufschwung seit dem Zweiten Weltkrieg in der BRD der 80er Jahre konnte die tieferliegenden »strukturellen« Probleme nicht lösen).
Auch dieser Krise standen die bürgerlichen Ökonomen zuächst ratlos gegenüber. Sie wurde zunächst allen Ernstes als »exogen« (von außen kommend) eingestuft, da ja die Marktwirtschaft gesund sei, nur hätten eben die bösen Scheichs »uns« den Ölhahn zugedreht. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre bemerkten die Marxorthodoxen allerdings »schon«, daß es sich um eine Krise des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems handelte, und nach dem erneuten scharfen Kriseneinbruch 1979/80 setzten sich auch unter bürgerlichen Volkswirtschaftlern mehr und mehr dramatische Sichtweisen durch.
In der linken Krisendiskussion, die sich auf Marx bezieht, gibt es seit zwei Jahrzehnten heftige Auseinandersetzungen darüber, was die Ursachen der heutigen Krise seien: Überproduktionskrise? Unterkonsumtionskrise? strukturelle oder konjunkturelle Krise? Profitklemme? Überakkumulationskrise? Dabei haben die meisten dieser Marxisten übersehen, daß Marx selber in zwei Schritten vorgeht: Er analysiert zunächst die allgemeinen Grundzüge der kapitalistischen Ökonomie, aus denen er die Möglichkeit der Krise ableitet; das unterscheidet er aber von der Analyse der Kräfte, welche die Aktualität der Krise erzeugen. Marx analysiert auf der abstrakten Ebene ein ganzes Bündel von Möglichkeiten kapitalistischer Krisen: So ist bereits die Tatsache, daß die Produkte sich gegen Geld tauschen müssen, eine erste Krisenmöglichkeit, denn vielleicht wird ja das Geld nicht ausgegeben, und der Mehrwert kann sich folglich nicht »realisieren«. [6] Mangelnde Nachfrage, Disproportionen zwischen den Sektoren oder den Abteilungen, zu niedrige Profite, weil der Mehrwert zu stark in höhere Löhne geht, finanzielle Instabilitäten oder Grenzen bei der weiteren Ausdehnung des Kredits.... sind nach Marx alles mögliche Ursachen der kapitalistischen Krise. Einer der wenigen linken Theoretiker, die sich nicht am Streit beteiligt haben, was denn nun der eigentliche »marxistische« Grund der gegenwärtigen Krise ist, sondern Marxens Trennung in Möglichkeit und Aktualität der Krise nachvollzieht, ist Negri.
»Es wäre indessen falsch, auf irgendeinem der Elemente der marxschen Beschreibung der Krise zu insistieren und es zu isolieren: bei Marx müssen diese Elemente in ihrer Einheit betrachtet werden. ... Es muß [nämlich] hervorgehoben werden, daß all dies lediglich eine erste Annäherung an die marxsche Analyse des Zyklus, der Krise und der Entwicklung ist. Wir haben sie nach ihrer kapitalistischen Seite in ihrer Objektivität beschrieben. Aber die Lehre von der Erscheinungsform ist nicht die Lehre von den Ursachen, der kapitalistische Standpunkt ist nicht der der Arbeiterklasse. Von der Abstraktion der Möglichkeit der Krise muß nun zu deren Wirklichkeit, von der Beschreibung der objektiven Möglichkeit zur Dialektik der Wirklichkeit hinabgestiegen werden. Die bisher erwähnten Elemente der Beschreibung sind 'bloße Formen, allgemeine Möglichkeiten der Krise, [...] abstrakte Formen der wirklichen Krise. In ihnen erscheint das Dasein der Krise als in ihren einfachsten Formen, und insofern in ihrem einfachsten Inhalt, als diese Form selbst ihr einfachster Inhalt ist. Aber es ist noch kein begründeter Inhalt. [...] Warum also diese Formen ihre kritische Seite herauskehren, warum der in ihnen potentiell enthaltene Widerspruch als solcher erscheint, ist aus diesen Formen allein nicht zu erklären.' In diesem Fall, von diesem Standpunkt aus '(ist) die Möglichkeit [...], daß Krisen eintreten, [...] zufällig, [...] bloßer Zufall' [Marx-Zitate aus Theorien über den Mehrwert] ... Der Standpunkt der Arbeiterwissenschaft [7] muß also jenseits der bloßen Objektivität der phänomenologischen Beschreibung erreicht werden: ohne diese »Begründung« kommt der marxschen Theorie keine Notwendigkeit zu. Und es ist kein Zufall, daß seit Bernstein der Reformismus Marx nur bis zu diesem Punkt zu lesen versteht.« (Negri: Zyklus und Krise bei Marx)
Marx hat den »Fall der Profitrate« nicht entdeckt - Mitte des vorigen Jahrhunderts trieb der alle bürgerlichen Nationalökonomen um und nährte gewisse Endzeitstimmungen -, Marx versuchte nur, diese langfristige Krisentendenz auf den inneren Zusammenhang der kapitalistischen Akkumulation zurückzuführen und ihn mit der Werttheorie zu verbinden. Das sogenannte »Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate« besagt, daß der lebendigen Arbeit ein immer größeres Quantum an toter Arbeit (Fabriken, Maschinen, Wissenschaft) gegenübertreten muß, daß aber gerade dadurch der Profit fällt. Der Zwang, die lebendige Arbeit mit immer mehr toter Arbeit zu kontrollieren, ist der Zwang zur Konzentration und Zentralisation des Kapitals und des Produktionsprozeß, also zur Entwicklung der produktiven Kooperation des Gesamtarbeiters. Die »Tendenz« im Fall der Profitrate ist die Regelmäßigkeit, mit der die Arbeiterklasse diese Elemente der Kontrolle in ihre stärkste Waffe umdreht - und damit einen ganzen Typus der Kapitalakkumulation in die Krise stürzt. Marxþ »Gesetz« vom tendenziellen Fall der Profitrate war also einerseits gerichtet gegen die damaligen Vorstellungen von den »großen Geistern, die Geschichte machen«, er hielt den Ideologen des Kapitals den Spiegel vor: das Kapital als Klassenverhältnis produziert zwangsläufig die Krise. Andererseits war dieses »Gesetz« ein Untersuchungsprogramm: Wo liegen die historischen Gründe der Krise in den Kämpfen und im Verhalten der Arbeiterklasse?
Ganz im Gegensatz dazu hat die Marxorthodoxie daraus ein mechanisches »Gesetz« gemacht, das ohne Zutun der Menschen eines Tages den Kapitalismus zusammenbrechen lassen wird. Damit wollen wir uns nun aber nicht weiter auseinandersetzen. Wir wollen uns stattdessen kritisch zwei Kriseninterpretationen zuwenden, die im letzten Jahrzehnt in der undogmatischen Linken (von grün bis autonom) große Bedeutung erlangt haben. [8]
Die neoschumpeterianischen Kriseninterpretationen
1985 erschien im Wagenbach-Verlag ein Buch: Das Ende der Massenproduktion, das großen Einfluß auf die linksalternative Szene haben sollte. Geschrieben hatten es die beiden MIT-Profs Piore und Sabel. Ihre grundlegende These ist grob zusammengefaßt: Es gab eine große Krise im 19. Jahrhundert, in der die industrielle Massenproduktion gegen die Macht der Handwerker-Arbeiter durchgesetzt wurde [9] - die heutige Krise entspricht dem, es stehen ähnliche »Jahrhundertentscheidungen« an (der amerik. Originaltitel war: The second industrial divide). »Die derzeitige Krise unterscheidet sich allzu deutlich von der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Damals waren Faschisten, Kommunisten und Kapitalisten überall in der ganzen Welt darum bemüht, dem technologischen Beispiel eines Landes nachzueifern: dem der Vereinigten Staaten.« (S. 22) Während es in der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre nur um die Regulierung einer Produktionsweise (Fließband, Taylorismus, Massenproduktion) ging, steht heute diese Produktionsweise selbst zur Disposition.
Auf diese Krise gibt es ihrer Ansicht nach zwei Reaktionsformen: das Modell der Massenproduktion ausweiten oder: »Die andere wesentliche unternehmerische [eben!] Reaktion nennen wir flexible Spezialisierung. Sie findet sich in dem Geflecht technologisch hochentwickelter, außerordentlich flexibler Industriebetriebe in Mittel- und Oberitalien. Flexible Spezialisierung ist eine Strategie permanenter Innovation: der Anpassung an sich ständig verändernde Bedingungen, und nicht der Versuch, diese unter Kontrolle zu halten. [das Kapital lernt Zen, oder was??] Eine solche Strategie beruht auf flexiblen, für verschiedene Produktionszwecke einsetzbaren Technologien, auf den Fähigkeiten qualifizierter Arbeiter und darauf, daß - auf politischem Wege - eine industrielle Kommune geschaffen wird, die den Wettbewerb so einschränkt, daß nur die Innovation gefördert wird. Die Ausdehnung der flexiblen Spezialisierung führt daher zu einer Wiederauflebung handwerklicher und kleingewerblicher Produktionsformen, die an der ersten industriellen Wegscheide an den Rand gedrängt wurden.« (S. 26)
An ihrem Lösungsvorschlag werden drei Sachen klar: Sie setzen ihre Hoffnungen in eine unternehmerische Initiative (u.a. deswegen gehören sie in die Schumpeterþsche Tradition - und wir werden gleich sehen, daß damit sehr stark auch ihre Analyse der Krisenursachen zusammenhängt). Sie beziehen sich auf die italienische, dezentralisierte Fabrik, das Vorbild »kreativen Unternehmertums« der zweiten Hälfte der 80er Jahre war hier das Benetton-System. Ihr Abfahren auf »kleingewerbliche Produktionsformen« und angepaßte Technologien erklärt ihren großen Erfolg im grünen Lager.
Was aber hinter Benetton, dezentralisierter Fabrik und Kleingewerbe steckt, hat unter anderem Sergio Bologna ganz gut herausgearbeitet: Überausbeutung, eine breite Proletarisierung und Prekarisierung der Beschäftigten. [10]
Priore/Sabel haben - wie alle Schumpeterianer - kein zusammenhängendes Verständnis der Krise, sondern beschreiben diese »als eine Kette von Zufällen, die durch Fehler zusammengehalten wird« (S. 185). Nämlich Fehler, die Regierungen und Unternehmer gemacht haben. So zählen sie zwar alle möglichen Krisenursachen auf, bestehen aber drauf, daß die Krise letztlich nicht erklärt werden kann, strukturell bestünde sie »aus der Unfähigkeit der institutionellen Strukturen der späten sechziger Jahre, sich auf die Ausbreitung der Massenproduktionstechnologie folgenreich einzustellen.« (S. 186) In ihrem Verständnis ist der Unternehmer das treibende Moment der Geschichte, durch Innovationen erzeugt er ein »neues technologisches Paradigma«, dem sich dann die übrige Gesellschaft anzupassen hat. Sie landen somit bei einer völligen Technikgläubigkeit, obwohl sie weiter vorne ihren Feind so bezeichnet hatten: »unaufhaltsame, einheitliche, allumfassende Logik technologischer Entwicklung« (S. 35), der Marx alles zugetraut und alles untergeordnet habe.
Spätestens hier werden die vielen Übereinstimmungen mit Detlef Hartmann [11] deutlich: Bei beiden Positionen ist der Wert immer schon produziert, der Widerspruch liegt nicht zwischen Arbeitern und Kapital, das sie zur Arbeit zwingt, sondern zwischen (unternehmerischen) Erneuerern und sozialem Konservativismus. Detlef dreht diese Analyse bloß um, weil er die Unternehmer haßt - »die permanente Reproduktion des Kapitalverhältnisses ist keine Frage der Produktion, sondern der Effizienz der gesamtgesellschaftlichen Unterwerfungs- und Zurichtungsleistungen.« (ak 362 S. 30) - aber den Widerspruch sieht er ebenfalls nicht zwischen Klassen. Auch in seinem Geschichtsbild ist der Unternehmer die treibende Kraft, die (bei ihm im Verein mit den Intellektuellen) neue »Paradigmata« durchsetzt. Auch er schreibt gegen die »technologische Gewalt« an. [12]
Begrifflich geprägt sind wir selbst (wie Detlef Hartmann auch) von Panzieris Analysen über kapitalistische Technologie [13] und von Marxþ Ausführungen über Maschinerie und große Industrie im Kapital: Ure »sagt von einer Erfindung zum Kettenschlichten, deren unmittelbarer Anlaß ein strike: 'Die Horde der Unzufriednen, die sich hinter den alten Linien der Teilung der Arbeit unbesiegbar verschanzt wähnte, sah sich in die Flanke genommen und ihre Verteidigungsmittel vernichtet durch die moderne mechanische Taktik. Sie mußten sich auf Gnade oder Ungnade ergeben.« [14] Technik ist Kriegsmittel gegen die Klasse. Seit den technologischen Horrorvisionen des Kapitals in den 80er Jahren (Roboterisierung, Automatisierung) haben wir gelernt, genauer zu sein und zwischen kapitalistischer Propaganda und der Realität zu unterscheiden. Dabei haben wir immer wieder festgestellt und herausgearbeitet, daß dazwischen Welten liegen, [15] daß die Arbeiter die Technologie aneignen und umdrehen können, daß Technologie ein soziales Verhältnis ausdrückt. [16] Vor ein paar Jahren hat sich mal jemand die Mühe gemacht und historisch genau nachgeforscht, was der mechanische Webstuhl, den Marx so oft als Beispiel für den »Waffencharakter der kapitalistischen Maschinerie« anführt, gar nicht die riesigen Erfolge gebracht hat, die Ure immer behauptet hatte, Marx selbst war der Propaganda von Ure aufgesessen. In Wirklichkeit konnten an diesem Webstuhl beschäftigte Arbeiter die neue Technologie sogar dazu benutzen, sich lohnmäßig und von ihrer Ersetzbarkeit her gegenüber ihrem Unternehmer zu qualifizieren.
Solche reale, widersprüchliche Entwicklungen kümmern aber Detlef (und mit ihm eine Menge anderer Genossen) nicht die Bohne: in Schumpeterþscher Weise wird die Technologie völlig überschätzt, die in sie eingespannten Menschen gar als »Subjektreste« bezeichnet - was aber letztlich nur der kapitalistischen Propaganda von der eigenen Effizienz und Allmacht aufsitzt und nicht mehr angeben kann, wo die materielle Möglichkeit zur Revolution herkommen soll.
(Neo-)Keynesianische Krisentheorien
Die neokeynesianischen Ansätze sind erstmal sympathischer: »Industriekapitäne machen Arbeitslosigkeit«, »Technik als soziale Wahl«, »Krise kommt daher, daß die Leute zu wenig verdienen (Unterkonsumtionskrise)«. Aber dieser Ansatz hat zwei große Probleme: der Keynesianismus ist in den 70er Jahren gescheitert. Kurz zusammengefaßt bestand er in einem Deal zwischen Kapital und Klasse, daß Lohnzuwächse und Produktivitätssteigerungen gekoppelt und gewisse Mindestreproduktionsstandards gesichert werden. Die Weigerung der Unternehmer zu investieren war damit nicht zu erklären - und schon gar nicht mehr zu steuern: Ende der 70er Jahren war in den meisten kapitalistischen Ländern eine Situation erreicht, wo die Zinsen negativ waren (d.h. sie lagen unterhalb der Inflationsrate), trotzdem kam es zu keinem neuen Aufschwung. Erweiterungsinvestitionen blieben aus (technisch ist das die Ursache dafür, daß alle Staaten verschuldet sind, denn im keynesianischen Sinn mußten sie in der Krise Schulden machen, um antizyklische Ausgaben zu tätigen). Dahinter steckten Kämpfe der Klasse für mehr Lohn und weniger Arbeit (ein Unding in keynesianischer Sicht) und das Ausnutzen aller Mechanismen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Mindestlohn usw.. Deshalb steckt das Kapital so tief in der Klemme: Es kann nicht »hinter« den Sozialstaat zurück, der eingeführt worden war, um die revolutionäre Drohung des Klassenkampfs in »Arbeiterbewegung« in einer »sozialen Marktwirtschaft« zu verwandeln.
Die Bemühungen der Keynesianer (u.v.a. Hankel, Matzke, Kalecki [17]) gingen deshalb dahin, Keynes' Ansatz auf die internationale Ebene zu erweitern. Sie interpretieren die Verwertungskrise als Übergang zu einem globalen Kapitalismus; dabei geraten die Unternehmer in Schwierigkeiten, weil sie die Preise ihrer Produkte nicht mehr festsetzen können (internationale Konkurrenz); die Nationalstaaten geraten in Schwierigkeiten, weil der selbsttragende Aufschwung ausbleibt und weil sie in globalen Währungssystemen nicht mehr über die Notenbanksouveränität verfügen.
Die Neokeynesianer sehen die momentane Krise also weniger als tiefe, historische Krise der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt, sondern eher als Anpassungskrise an neue Verwertungsbedingungen; ihr historischer Rahmen ist also nicht die Veränderung einer Produktionsweise wie Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern die Weltwirtschaftskrise der 30 Jahre des 20. Jahrhunderts. Sie tendieren dazu, die konjunkturellen Aspekte der Krise über- und die strukturellen Ursachen unterzubewerten. Als Auswege aus der Krise schlagen sie je nach politischem Standort deshalb Beschäftigungsprogramme, Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus, finanzielle Umverteilungen und ähnliches vor.
Damit wird ein grundsätzliches Handicap dieses Ansatzes deutlich: Sie sehen zwar die Klasse als Motor der Geschichte, ihre Lösungen zielen aber allesamt auf Strategien von oben. Und das heißt im Ergebnis: der Klassenkampf treibt die kapitalistische Entwicklung an.
Karl Heinz Roth stand über seinen Bezug auf Kalecki ebenfalls in dieser Tradition. [18] Obwohl wir seinen Thesen zur »neuen Proletarität« insgesamt positiv gegenüberstehen, wird dieses Dilemma ganz deutlich etwa in seinem Editorial in der »1999 Heft 1/94»: »Jedoch haben nicht die Träger der Sozialrevolten, sondern die herrschenden Eleiten der keynesianischen Gleichgewichtsutopie den Laufpaß gegeben.« Damit schneidet er seine Krisenanalyse von den Bewegungen der Klasse ab. Ganz richtig analysiert er, daß die »post-fordistischen« Strategien von Priore/Sabel u.a. inzwischen gescheitert sind: »Der Boom der Mikrounternehmen kam nicht zustande«. Und daß jetzt neue Unternehmerstrategien durchgesetzt werden sollen, wobei das Geschwätz vom »toyotisierten Netzwerkkonzern« in der Realität längst als Überausbeutung in Zulieferklitschen, verschärftes Gegeneinanderausspielen der Belegschaften und Standorte, Verdichtung der Arbeit und Entgarantierung als sogenannter »selbständiger« LKW-Fahrer deutlich geworden ist. Das Problem an den Ausführungen von Karl-Heinz im letzten Jahr war, daß er an diesem Punkt immer sehr widersprüchlich wurde: die Krise der Gewerkschaft geriet ihm in seinen Formulierungen immer leicht zu einer Krise der Arbeiterklasse und seine Verweise auf Kalecki waren bisher immer von einer Hoffnung auf die Möglichkeit einer neuen fiskalischen Umverteilung durchdrungen. Wenn er nun schreibt: »Die 'entscheidende Reform«, zu der sich der Linkskeynesianer Kalecki ... bekannte, scheint alles in allem unwiderruflich der Vergangenheit anzugehören«. Und die Frage stellt: »Sollte es nicht möglich sein, neue Handlungsspielräume zu erkunden und jenseits aussichtslos gewordener [gewerkschaftlicher] Defensivpositionen neue Solidarisierungsprozesse einzuleiten?« Wenn er seinen Befund ernst nimmt, daß es keinen Spielraum mehr gibt für staatlichen Reformismus oder Radikalisierung der Gewerkschaft, dann können wir uns gemeinsam die Frage stellen, wie die »Bewegung from the bottom up« entstehen könnte, die den herrschenden Zuständen ein Ende setzen kann - denn davon findet sich in seinen letzten Texten nichts.
Resümee:
Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt unserer Überlegungen angelangt. Aber wir haben einiges dazu gelernt: der Kapitalismus ist mit seinen zyklischen Krisen identisch, er ist keineswegs das überlegene Gesellschaftsmodell, im Gegenteil: er hangelt sich durch die möglicherweise tiefste Krise seiner Existenz und kein Nationalökonom blickt mehr durch, was da eigentlich passiert. Wir stehen mitten in einem Umbruch der Produktionsverhältnisse, die mindestens mit dem Umbruch zwischen den revolutionären Bewegungen des Vormärz und der Errichtung des Bismarck'schen Sozialstaats zu vergleichen sind. Wir leben in einer offenen Situation, niemand kann voraussehen, was kommt. Von da aus müssen wir nun wieder unser eigentliches Problem angehen. Die frühen Operaisten hatten es noch einfach: sie konnten direkt im Verhalten und in den Kämpfen der Klasse für gleichen Lohn, gegen die Arbeit und für mehr Geld sowohl die Ursachen der kapitalistischen Krise als auch kommunistische Elemente ausmachen, die über den Kapitalismus hinaus auf eine neue Gesellschaftsform zu verweisen schienen. Damals hätten zwar viele gedacht, daß die Revolution um die nächste Ecke sei - oder eben nicht, aber niemand hat gedacht, daß der Kapitalismus durch diese Kämpfe in eine Krise geraten würde, die heute, zwanzig Jahre danach tiefer als je zuvor ist. Und da haben wir nun ein Problem: Wie sieht heute dieses Verhältnis aus, wo das Kapital nach dem ruhigsten Jahrzehnt des Jahrhunderts (nach Streiks, Demos usw. gerechnet) in seiner tiefsten Krise des Jahrhunderts ist? Wie kriegen wir heute das Verhalten der Klasse, die Krise des Kapitals und die kommunistische Bewegung zusammen?