@Foss Foss schrieb:Zu dem Thema Adrenalin, Stress, oder anderweitiger Ekstasen: Glaubt ihr so ein Wettkampf, eine Jagd, oder Schnellschuss macht man ohne besondere Anspannung und muss aufpassen, dass man nicht gleich einschläft? Ich bin in der Regel ein sehr ruhiger Type mit generell zu niedrigen Blutdruck, aber ich bin bei so was und nach kurzer Zeit dermaßen voller Adrenalin, dass ich anfange zu zitter und dass nicht nur ein bisschen. Pausen zum "runterkommen" sind da von Nöten.
Keineswegs, Wettkämpfe können auch stressig sein. Kenne ich auch
;)Aber trotzdem ist das nicht vergleichbar mit der Situation des realen Waffeneinsatzes gegen andere Menschen.
Wenn du im Wettkampf daneben schießt oder nicht gut genug triffst, dann verlierst du die Punkte. Vielleicht auch deine Position oder das Finale und/oder erntest Lacher von Kameraden.
Wenn du in der Realität falsch oder ungenau schießt, dann triffst du den Mensch entweder gar nicht und er ist sofort bei dir (~10m? lachhaft als Entfernung) und kann dich niederstechen oder aufschlitzen oder er reagiert nicht auf den schönen Beintreffer oder aber du erschießt ihn unabsichtlich oder absichtlich.
Das sind die möglichen Ausgänge der Realität.
Wenn du mich fragst, ob da der Stress und das Adrenalin vergleichbar sind mit einer Wettkampfsituation, würde ich das verneinen.
Anderes Beispiel: Wenn ich eine Kampfkunstprüfung habe, auf die ich mich wochen- oder monatelang vorbereite, dann will ich die natürlich auch gut hinbringen. Und bin etwas angespannt und aufgeregt, weil ich möglicherweise vor einem Meister, der schon 50 Jahre die Kampfkunst ausübt und hochgeachtet ist, auftrete.
Wenn ich da versage, dann ist aber die einzige Folge, dass ich eben nicht einen weiteren Grad aufsteige. Dann muss ich halt ein paar Monate oder ein Jahr warten, bevor ich es erneut versuchen darf. Vll. ziehen mich dann auch Trainingspartner auf. Mehr Folgen gibt es nicht.
Wenn dagegen in der Realität jemand auf mich zukommt, mit aggressiver Körpersprache und meint, er haut mir jetzt auf die Fresse, dann liegt die Situation ganz anders und ich bin auch ganz anders drauf - dann hab ich nicht drei Chancen, eine Technik nochmal zu machen, ja ich weiss nicht mal vorher, welche Technik mir helfen wird, weil ich den Angriff nicht kenne. Ich muss also rechtzeitig und schnell genug und richtig reagieren, auswählen und handeln, wenn ich nicht oder möglichst wenig verletzt werden will.
Unterschiedliche Anforderungen, unterschiedliche Stresslevel.
Und diese Situation wird noch einmal verändert, wenn der Angreifer über eine der besten Nahkampfwaffen überhaupt verfügt, ein Messer.
Während ich bei der letzten Situation höchstens damit rechnen muss, eins auf`s Maul zu kriegen, ein paar blaue Flecke, einen gebrochenen Knochen, einen ausgeschlagenen Zahn, eine Platzwunde (die alle auch blöd genug sind als Verletzungen) muss ich nun damit rechen, dass ich große Schnitte oder lebensgefährliche bis tödliche Schnitte und Stiche abbekomme.
Ich hab keine Möglichkeit, dreimal auszuprobieren, welche Technik am besten ist, meine Verteidigung und mein Gegenangriff müssen sofort sitzen.
Je länger die Kampfsituation dauert, desto schlechter für ALLE Beteiligten, inklusive des Angreifers, auch, wenn ich ihn selbst gar nicht so schwer verletzen möchte.
Denn je länger die Kampfsituation dauert, desto unberechenbarer und anspruchsvoller wird sie.
Wird sie dagegen möglichst schnell beendet, kann auch der Schaden minimiert werden.
Wenn ich keine andere Möglichkeit habe, als meinem Angreifer auszuweichen, seinen Arm zu fixieren und ihm dabei Arm und Handgelenk zu brechen, damit er das Messer loslässt und zu Boden gebracht wird, dann mach ich das.
Sorry für die Brüche, aber es die beste Lösung für alle.
Und um jetzt wieder zu der Situation im Berliner Brunnen zurückzukommen:
Du kannst nicht sicher sein, dass Pfefferspray den Messermann aufhält. Elektroschocker (Taser) existieren nicht standardmäßig (wobei ich diese für eine sehr gute Wahl in der Situation gehalten hätte) in der deutschen Polizeiausrüstung, auf Reden reagiert der Mann offensichtlich ebenfalls nicht, sondern wechselt innerhalb von Augenblicken von ruhig zu aggressivem Vorgehen und Angriff.
Du hast da nur noch die Dienstwaffe als Einsatzmittel. Wie wir aber mehrfach hier erfahren haben, ist die Wirkung eines Beinschusses zweifelhaft, das Ziel ist klein und in Bewegung, das, was am besten zu treffen ist, ist der Oberkörper. Und du bist KEIN Mönch oder speziell trainierter Kämpfer, sondern ein normaler Polizist mit Grund- und eventuell noch einer Zusatzausbildung in Kampfkünsten oder Schießkünsten.
Ich denke, du solltest einsehen, dass hier einige Leute (nicht ich) mehr Erfahrung haben, was den Schusswaffeneinsatz im Ernstfall anbelangt und sie deshalb auch besser die Situation beurteilen können, als Laien, die nur auf dem Schießstand oder noch gar nicht geschossen haben.
Es sagt hier keiner:,,Yeah, super, genau richtig, dass der Idiot abgeknallt wurde!"
Es wird lediglich darauf hingewiesen und aus meiner Sicht auch bewiesen, dass der Polizist in der Situation kaum eine andere, sinnvolle Möglichkeit hatte, als zu schießen (und das nicht in die Beine).
Der Einsatz HÄTTE anders und besser laufen können. Eindeutig.
Aber WIE er laufen kann, hängt auch immer elementar vom Gefährder ab.
Das weiss man vorher nicht und es kann eben auch passieren, dass Polizisten Fehleinschätzungen machen.
Wie ich schon früher schrieb, möglicherweise dachte sich der betreffende Polizist, der in den Brunnen stieg:,,Okay, der Typ ist jetzt ruhig genug, vll. komme ich nahe genug heran, um ihn zu fixieren und von der Waffe wegzuführen oder ich kann aus der Nähe besser auf ihn einwirken...".
Ich finde, man sollte nicht immer so schnell mit seinen Urteilen darüber sein, wie falsch sich Polizisten verhalten und wie man es hätte besser machen können, wenn man selbst nicht in der Situation war und keine Praxiserfahrung hat.
Dass es bei der Polizei unfähige Beamte, gewalttätige Polizisten und schlicht Idioten gibt, wird dir auch jeder vernünftige Polizist bestätigen.
Aber das darf nicht dazu führen, dass man generell ein negatives Bild von allen Polizisten hat.