@Canda ich irgendwie den eindruck habe,
dass weder du noch irgendein anderer muslim dieses forums den artikel gelesen habt
c&p ich ihn mal komplett rein
" Die klare Verurteilung terroristischer Anschläge durch prominente muslimische Gruppierungen hat dem radikalen Islamismus bis anhin keinen Riegel schieben können; auch sind sich viele Muslime kaum im Klaren darüber, von wem und weshalb solche Attentate ausgeführt werden. Welche Rolle spielen traditionelle und auch modernere religiöse Autoritätsfiguren in der Debatte um den islamistischen Terror?
Für die Muslime, ihre Vertreter und geistigen Führer ist die Abwehrhaltung in den letzten Jahren zum Reflex geworden. Wenn irgendwo in der Welt eine Bombe hochgeht, steht mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Täterschaft dahinter, die sich zur Rechtfertigung des Anschlags auf den Koran beruft - und es den Millionen ihrer Glaubensgenossen weltweit überlässt, die Untat zu verurteilen und einmal mehr zu insistieren, dass weder die Muslime noch ihr Glaube mit dem islamistischen Terror identifiziert werden sollten.
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In Kairo ergingen im vergangenen Sommer fast täglich Fatwas - religiös begründete Urteile - gegen den Terrorismus; und viele davon wurden von höchstrangigen Führerfiguren ausgesprochen. Sie betrafen die Londoner Attentate vom 7. Juli, die Entführung und Ermordung eines ägyptischen Diplomaten in Bagdad und eine Reihe von Anschlägen im näheren Umfeld. Nachdem Ende Juli ein Bombenattentat im ägyptischen Touristenort Sharm ash-Sheikh etwa 90 Tote und Dutzende Verletzte gefordert hatte, konstatierte Scheich Mohammed Sayed Tantawi mit aller Deutlichkeit, es gebe «keinerlei Rechtfertigung für die Attentäter, die unschuldige Männer, Frauen und Kinder in den Tod reissen . . . Gott und seine Engel werden sie verfluchen.» Tantawi ist der oberste Imam der Kairoer Al-Azhar-Universität, die als richtungsweisende Lehrstätte für den sunnitischen Islam gilt; er fuhr fort: «Wenn die Terroristen behaupten, sie folgten dem Gebot des Islam, dann sind sie Lügner und Scharlatane, und der Islam sagt sich von ihnen los.»
Öffentliche Distanzierung
Weniger als einen Monat nach den Attentaten in Sharm ash-Sheikh wurde ebendort eine stark beachtete Konferenz zum Thema «Jihad und Terrorismus» abgehalten, an der die prominentesten Geistlichen des Landes teilnahmen. Tantawi setzte die titelgebenden Begriffe folgendermassen gegeneinander ab: «Jihad bedeutet die Verteidigung des Glaubens, Terrorismus ist Aggression und Verhetzung, eine Form des Verrats, die mit dem Islam nichts zu tun hat.» Hamdi Zakzouk, Minister für die religiösen Stiftungen, sprach terroristischen Attentätern das Recht auf die Bezeichnung «Märtyrer» ab: «Sie begehen Verbrechen gegen sich selbst, gegen Gott, gegen andere und gegen die Menschlichkeit.» - In der arabischen Welt wie auch anderweitig fanden zu jener Zeit zahlreiche ähnliche Veranstaltungen statt. Das Ziel war immer dasselbe: Distanz zu markieren zwischen dem Islam und den verblendeten Eiferern, die in seinem Namen morden. Mit einem konzertierten Auftritt wollte man klarstellen, dass die grosse Mehrheit der Muslime die Argumente und Zielsetzungen der Terroristen ablehnt.
Scheich Tantawi wandte sich dabei direkt gegen die Führerschaft von al-Kaida: «Ich habe lang zum Tun dieser Wahnsinnigen geschwiegen», sagte er. «Und nun sage ich ihnen: Ihr seid Terroristen und Mörder, und ich ersehne den Tag, an dem ich die Namen az-Zawahri oder bin Ladin nicht mehr werde hören müssen.» Tantawi nahm insbesondere eine bekannte Fatwa az-Zawahris ins Visier, welche Terroranschläge mit zivilen Opfern in Ländern erlaubt, die - aus islamistischer Sicht - gegen den Islam Krieg führen. Die Bürger, argumentiert az-Zawahri, unterstützten diesen Krieg mit ihren Steuergeldern und seien als Wähler für die Politik ihres Landes mitverantwortlich. «Vom Gesichtspunkt des islamischen Rechts her», kommentierte Scheich Tantawi, «ist dies reine Phantasie und völlig unhaltbar. Die Steuergelder der betroffenen Bürger können genauso gut in den Bau von Brücken oder in den öffentlichen Dienst geflossen sein.»
Tantawis Kommentare waren nicht nur an al- Kaida selbst gerichtet, sondern auch an all diejenigen, die irgendwelche Sympathien für die Organisation hegen. Auch die in der arabischen Welt weitherum populäre Fernsehshow «Al-Hur al-Ayn» tut einiges, um den Glauben zu zerstreuen, dass Selbstmordattentäter im Jenseits von siebzig Paradiesjungfrauen erwartet werden. Najdat Anzour, der Direktor des Programms, will den Zuschauern bewusst machen, dass der Terrorismus dem Islam nur Schaden zufügt und dass sämtliche Muslime die Kosten für die Handlung einiger Splittergruppen zu tragen haben.
Die Welle von Stellungnahmen und Protesten gegen al-Kaida und andere militante islamistische Organisationen schlägt sich in der arabischen Welt mittlerweile sogar im Spam nieder. Millionen von Internetnutzern erhielten kürzlich den Appell eines Friedensaktivisten namens S. A. Rahman, der die Muslime dazu aufrief, «gemeinsam die extremistischen Mullahs (Hassprediger) zu diskreditieren und handlungsunfähig zu machen (. . .) Es sind Agenten des Teufels, irregeleitet, verblendet und vom Virus des Hasses und der Rache verseucht.»
Können Fatwas etwas bewirken?
Viele begrüssten diese Bemühungen zu aktivem Engagement und zur Schadensbegrenzung und konstatierten, es sei höchste Zeit, dass die Muslime und ihre geistlichen Führer für die wahren Werte ihrer von politisch motivierten Extremisten missbrauchten Religion einstünden. Andere jedoch bezeichneten die Stellungnahmen - noch wenn sie das Signum der Al-Azhar-Universität trugen - als eine Art hohe Schule der Naivität. «An wen wenden sie sich überhaupt?», wundert sich Scheich Gamal Qutb, das vormalige Oberhaupt des Fatwa-Komitees der al-Azhar. «An mich? An meine Nachbarn? An andere, ganz gewöhnliche Leute, die nichts mit Terrorismus zu tun haben?»
Gerade weil letztlich politische und nicht religiöse Gründe hinter dem Handeln der Terroristen stünden, argumentiert Qutb, stellten diese Fatwas kein wirksames Mittel dar, um der Gewalt Einhalt zu gebieten. Die irregeleiteten jungen Muslime, die sich dem Terrorismus verschrieben hätten, würden den Argumenten und Aufrufen der gemässigten Kleriker wohl kaum Beachtung schenken. Qutb will zwar den Terror nicht rechtfertigen, findet aber in der gegenwärtigen Weltlage doch eine Erklärung dafür: «Die Terroristen identifizieren sich mit den zivilen Opfern in besetzten Ländern wie dem Irak und Afghanistan oder mit den Palästinensern. In ihrer Sicht - auch wenn diese nicht gerechtfertigt ist - führen Exponenten der westlichen Welt wie Präsident Bush und Premierminister Sharon einen Krieg gegen den Islam.» Diese Aussage ist insofern ernst zu nehmen, als sie eine in der arabischen Welt weit verbreitete Meinung reflektiert. Das wird schon ersichtlich, wenn man sich etwa bei den Freitagsgebeten in den Kairoer Moscheen umhört. Unweigerlich wird der Imam Fürbitte für die «schwachen Muslime» leisten und Gottes Schutz auf die «Mujahedin im Irak, in Palästina und Afghanistan und allen anderen Ländern, wo der Islam bekämpft wird», herabrufen.
Fatalerweise leistet die Terrorismusgefahr einer solchen Einstellung noch Vorschub. «Der dauernde Fokus auf Islam und Terrorismus verstärkt das Gefühl der Muslime, dass sie angegriffen würden und niemand auf ihrer Seite stehe», meint Abdel Moneim Abul-Fotuh, ein führendes Mitglied der ägyptischen Muslim-Bruderschaft. «Statt nur darüber zu diskutieren, ob sich Gewalt mit Hilfe einer Fehlinterpretation des Korans rechtfertigen lässt, sollte man auch Fragen betreffend die amerikanische Besatzungspolitik im Irak und ihre Auswirkungen auf die Weltlage stellen. Zumindest müsste ein konkreter Zeitplan für den Rückzug erstellt werden.» Allerdings betonen sowohl Abul-Fotuh als auch Gamal Qutb, dass die Muslime mehrheitlich keineswegs an einen «Zusammenprall der Kulturen» glauben. Die Idee einer solchen Polarisierung werde im Westen von gewissen neokonservativen Politikern gepflegt und instrumentalisiert, die leider in der arabischen Welt ihr Gegenbild in den radikaleren islamistischen Kräften fänden. Tatsächlich aber «sollten sich die zwei Zivilisationen ergänzen, denn die Menschen im Westen - wenn auch nicht alle ihrer Staatsoberhäupter - glauben an die gleichen Dinge, für die auch der Islam steht».
Während Qutb und Abul-Fotuh darin einig gehen, dass Fatwas gegen den islamistischen Terror in der gegenwärtigen Situation kaum Wirkung zeitigen dürften, sind sie unterschiedlicher Ansicht über die Ursachen der Desorientiertheit und Frustration in der arabischen Welt. Qutb sieht ein grundlegendes Problem im Verlust einer für die muslimische Glaubensgemeinschaft zentralen und richtungsweisenden Instanz. Die tausendjährige Al-Azhar-Universität, die als «Leuchtturm der islamischen Welt» galt, ist kein solcher Orientierungspunkt mehr. Im Lauf der Zeit, meint Qutb, gelang es der ägyptischen Regierung, «eine traditionell starke, unabhängige und religiöse Institution wie al-Azhar» zu untergraben, um ihren Einfluss einzudämmen und unter strikter Kontrolle zu halten. Das Resultat ist, dass die religiösen Edikte der Al-Azhar-Universität kaum mehr Gewicht haben - und zuallerletzt bei denen, die behaupten, den weltweiten Kampf zur Rettung des Islam zu führen. Extremistische Gruppen sehen die al-Azhar vielmehr als Verbündete der ägyptischen Regierung, die ihrerseits im Visier der militanten Islamisten steht.
Kein gemeinsames Forum
Den bedauerlichsten Aspekt dieser Fehlentwicklung sieht Qutb in der Tatsache, dass gerade eine Institution wie die Al-Azhar-Universität eine bedeutende Rolle in der Diskussion um den «Zusammenprall der Zivilisationen» hätte spielen können. Eine starke, anerkannte Al-Azhar-Universität, ist Qutb überzeugt, hätte das nötige Gewicht und intellektuelle Potenzial gehabt, um «institutionalisierten» antiislamischen Reflexen entgegenzuwirken. Stattdessen meldeten sich nun kleine, voneinander unabhängige Gruppen von Akteuren zu Wort; aber diese seien «nur Schatten oder dürftige Alternativen zu der aufbauenden, gemässigten und aufgeklärten Instanz», als welche al-Azhar einst habe gelten können.
Auch das Hervortreten der Muslim-Bruderschaft sieht Qutb als eine Folge der institutionellen Schwächung der Al-Azhar-Universität. Die Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete politisch- religiöse Organisation ist ein gewichtiger Machtfaktor und stellt heute den stärksten Block unter den ägyptischen Oppositionsparteien. Offiziell verboten, wird die Muslim-Bruderschaft im Allgemeinen still toleriert, aber ihre Mitglieder sind häufig Verhaftungen und anderen Schikanen ausgesetzt. Auch die Muslim-Bruderschaft hat sich in jüngerer Zeit vermehrt gegen den Terrorismus ausgesprochen, aber sogar ein leitendes Mitglied wie Abul-Fotuh bezeichnet diese Anstrengungen als ungenügend. «Religion - jede Religion - ist ein Instrument, das gewaltige Wirkungen entfalten kann», sagt er und vergleicht einen jungen Gläubigen mit einem Menschen, der ein ungeladenes Gewehr mit sich trägt. «Wenn die sozialen Ungerechtigkeiten fortbestehen, die den Nährgrund des Terrorismus bilden, dann reicht man dem jungen Menschen quasi die Munition für dieses Gewehr. Zuvor hat er es nur getragen; jetzt ist er in der Lage, es zu gebrauchen.»
Abul-Fotuhs Kritik richtet sich nicht nur gegen das Ungleichgewicht zwischen westlicher und islamischer Welt, sondern auch gegen die - oft vom Westen unterstützten - arabischen Regenten, die sogar moderaten islamischen Parteien und Organisationen keinen Platz auf der politischen Bühne zugestehen wollen. «Man versagt uns das Recht, unsere Meinung zu äussern. Und unter solchen Umständen - wenn man die eigene Freiheit beschnitten fühlt - können sich extremistische Ideen besonders gut einnisten.» Gewiss würde man im Westen Abul-Fotuhs Forderung nach Demokratisierung und Freiheit in den arabischen Staaten unterschreiben; gleichzeitig aber ringt man schon jetzt die Hände angesichts der möglichen Folgen, wenn starke islamisch geprägte Gruppierungen wie die Muslimbrüder plötzlich einen legitimen Platz in der Politik beanspruchen dürften. Würden sie nicht die Spaltung zwischen ihren eigenen Ländern und dem Westen vorantreiben?
Kein Fortschritt ohne die Religion
Der populäre Fernsehprediger Amr Khaled - ein Ägypter, dessen über Satellit ausgestrahlte Predigten in der arabischen Welt Millionen von Zuschauern vor den Bildschirm locken - nimmt hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Glaube in der islamischen Welt einen eindeutigen Standpunkt ein. «Jeder Versuch, die arabische Gesellschaft zu entwickeln und zu optimieren, bei dem der Glaube nicht im Mittelpunkt steht, ist zum Scheitern verurteilt; denn der Glaube ist das stärkste und schönste Element im arabischen Wesen. Solche Experimente können vielleicht eine Weile gut gehen, aber der Kollaps ist vorprogrammiert. Denn die entscheidende Wirkungsmacht fehlt.» Die Bedrohung durch den islamistischen Terror sollte, so Khaled, auch nicht dazu führen, «dass wir aus Angst vor dem Terrorismus den religiösen Diskurs einschränken, sei es in den Medien oder im Unterricht. Das wäre reine Vogel-Strauss-Politik; der Verzicht auf die Religion löst unsere Probleme nicht. Viel eher könnte er zu noch mehr Gewalttätigkeit führen.»
Mit seinem jungen, glatt rasierten Gesicht, seinen schicken Anzügen und seinem zugänglichen, hippen Diskurs scheint Khaled die fleischgewordene Antithese zu den bärtigen Extremisten, welche die arabische wie die westliche Welt fürchten gelernt hat. Dennoch ist auch er von unterschiedlichen Seiten angegriffen worden. Wie den Vertretern der Al-Azhar-Universität wirft man ihm Machtgelüste und Anpassertum vor; wie die Muslimbrüder wurde er wegen seines grossen Einflusses von den Sicherheitskräften schikaniert. Amr Khaled versucht, Zorn und Frustration seiner mehrheitlich jugendlichen Anhänger in geordnete, sogar zukunftsorientierte Bahnen zu lenken. Als im März 2003 amerikanische Streitkräfte in den Irak einmarschierten, rief er seine Zuhörer auf, ihren Protest per SMS und E-Mail bei der amerikanischen Botschaft in ihrem Heimatland zu deponieren. Heute ist sein zentrales Anliegen, die jungen Leute zum Aufbau eigener Unternehmen zu motivieren. Religiös abgestützte Entwicklungsprojekte wären seiner Ansicht nach der Schlüssel zu einer «Renaissance», welche die arabische Welt aus der gegenwärtigen Stagnation erlösen und gleichzeitig die Jugendlichen von Extremismus und Gewalt fernhalten könnte. «Junge Menschen haben ein enormes Energiepotenzial, und ich versuche, diese Kräfte in eine friedfertige, gemässigte Bahn zu lenken», sagt Khaled. «Die arabische Zivilisation durchläuft zurzeit einen historischen Tiefpunkt. Der Westen betrachtet uns - Muslime, den Islam und ganz besonders die Araber - als die Ursache aller gegenwärtigen Übel. Dabei hat Gott den Propheten und unsere Glaubenslehre als ein Geschenk der Gnade für die Welt bezeichnet. Wir möchten beweisen, dass der Koran in dieser Sache Recht hat.» Khaled ist sich bewusst, dass grosse Anstrengungen nötig sind, um das negative Image des Islam zu korrigieren; in diesem Sinn hat er in Grossbritannien ein Projekt lanciert, welches die Integration junger Muslime in die britische Gesellschaft fördern und gleichzeitig ihr kulturelles Selbstvertrauen stärken soll.
Die radikalen Islamisten freilich haben alles getan, um ihren Glauben stattdessen in einer Weise zu instrumentalisieren, welche die These vom Zusammenprall der Kulturen zu bestätigen scheint; und es wird sehr viel mehr als schöne Worte und individuelle Initiativen brauchen, um die heutige Konfliktlage zu überwinden. Die führenden Gestalten in der islamischen Welt - seien sie nun Politiker, Geistliche oder Intellektuelle - sind leider noch weit davon entfernt, eine konsensfähige Lösung zu finden.
Tarek Atia ist Gründer und Leiter des Internet-Portals cairolive.com. Als Journalist schreibt er unter anderem für die ägyptische Wochenzeitung «Al-Ahram» und die «Washington Post».
Aus dem Englischen von as. "
http://www.nzz.ch/2005/11/07/fe/articleDA5KU.html (Archiv-Version vom 10.09.2009)buddel