Merkel will Atomkraft zurück - Wahlkampfthema 2009
19.07.2007 um 00:37
Mittwoch, 18. Juli 2007 N-TV
Störung in Ölkreisläufen
AKW Brunsbüttel vomNetz
Das Atomkraftwerk Brunsbüttel ist erneut unplanmäßig heruntergefahren worden.Auslöser waren nach Angaben von Betreiber Vattenfall Auffälligkeiten in den Ölkreisläufeneines Eigenbedarfstransformators. Die Kreisläufe würden gespült und das Öl gewechselt,erläuterte das Unternehmen. Dafür müsse die Leistung des Kraftwerks für etwa acht biszehn Stunden heruntergefahren werden. Laut Vattenfall handelt es sich nicht um einmeldepflichtiges Ereignis.
Die Atomaufsicht in Kiel hatte nach eigenen AngabenVattenfall bereits im November 2006 aufgefordert, die Überwachung der Transformatorenölezu intensivieren. Vorausgegangen waren Erkenntnisse zum Brand eines Transformators in derschwedischen Anlage Ringhals. Bei Messungen der erst in der Revision 2007 in Brunsbüttelgewechselten Öle seien Werte festgestellt worden, die nicht den erwarteten entsprachen,erklärte das für die Atomaufsicht zuständige schleswig-holsteinische Sozialministerium inKiel. Die Ursachenklärung für die verminderte Ölqualität dauere an.
Damit wurdedas AKW Brunsbüttel zum dritten Mal in den vergangenen vier Wochen heruntergefahren.Brunsbüttel läuft nach Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe mit schwerenSicherheitsmängeln. Eine Analyse von Gutachtern habe zum Stichtag Juni 2006 rund 650offene Punkte ausgewiesen, "von denen sich 165 als besonders prekär erwiesen", sagte derDUH-Politikleiter Gerd Rosenkranz. Dazu gehörten Werkstoff-Probleme, Mängel in derElektro- und Leittechnik und fehlende Bruchsicherheitsnachweise im Rohrsystem. DieUmwelthilfe forderte vollständige Sicherheitsnachweise oder eine Zwangsabschaltung desKraftwerks binnen vier Wochen.
Widerstand gegen Gabriel
Unterdessenwidersetzt sich die Atomindustrie dem Drängen von SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel,ältere AKW wegen Sicherheitsbedenken früher abzuschalten. Die Energiekonzerne RWE, E.ON,EnBW und Vattenfall wollten an ihren Plänen festhalten, Laufzeitverlängerungen für diedrei älteren Kernkraftwerke Biblis A, Neckarwestheim 1 sowie Brunsbüttel zu beantragen,um im Gegenzug modernere Meiler früher abzuschalten, schreibt die "Berliner Zeitung"unter Berufung auf eigene Informationen.
An dieser Absicht ändere auch dieTatsache nichts, dass Gabriel alle Betreiber für Ende August zu einem Gespräch überRestlaufzeiten eingeladen habe, um eine Übertragung von jüngeren auf ältere Meiler wieden Pannen-Reaktor Brunsbüttel zu verhindern. Auch juristische Mittel sollten weiterverfolgt werden, um Genehmigungen für die Laufzeitverlängerung der älteren Reaktoren imZweifel vor Gericht zu erstreiten.
Hohe Hürden
Der Essener EnergiekonzernRWE will seinen Meiler Biblis A länger laufen lassen als nach dem Atomausstiegsgesetzeigentlich vorgesehen, dafür sollen Restlaufzeiten der Reaktoren Mülheim-Kärlich undLingen (Emsland) auf Biblis A übertragen werden. Ähnliche Laufzeitübertragungen möchtendie Betreiber EnBW sowie Vattenfall/E.ON bei ihren Meilern Neckarwestheim beziehungsweiseBrunsbüttel und Krümmel vornehmen, schreibt die Zeitung.
NachBundesumweltminister Gabriel sprach sich allerdings auch das Bundesamt für Strahlenschutz(BfS) für das Auslaufen alter Atomkraftwerke aus. "Keines der alten Kernkraftwerke wäreheute noch genehmigungsfähig", sagte der Präsident des Bundesamtes, Wolfram König. Sowohldas Atomgesetz als auch der zwischen Stromversorgern und Bundesregierung geschlosseneAtomkonsens sehe die Übertragung von Strommengen von alten auf neuere Anlagen alsRegelfall vor. Für einen Entzug der Betriebserlaubnis wegen mangelnder Sicherheit gebe eswegen des Bestandsschutzes allerdings hohe Hürden, sagte König.
Wulff fürVerlängerung
Nach den Atomkonzernen hat sich auch der niedersächsischeMinisterpräsident Christian Wulff gegen ein früheres Abschalten von älterenAtomkraftwerken ausgesprochen. Wulff sagte, er hielte es für fragwürdig, wenn inDeutschland Atomkraftwerke nach rund 30 Jahren abgeschaltet würden, während andere Länderwie die Niederlande, Finnland oder Schweden neue errichteten und Laufzeiten auf 60 Jahreverlängerten.
"Ein Kernkraftwerk, das dem höchsten Stand der Sicherheitentspricht, frühzeitig vom Netz zu nehmen, dient nicht den Zielen des Klimaschutzes undist Vernichtung von volkswirtschaftlichem Vermögen", sagte Wulff. Der stellvertretendeCDU-Vorsitzende sagte, an einem Energiemix unter Einschluss der Atomenergie führe inabsehbarer Zeit kein Weg vorbei, und mahnte, zunächst den gesamten Bericht zu denStörfällen in den AKWs Brunsbüttel und Krümmel abzuwarten, bevor pauschale Urteilegefällt würden.
Bauernopfer
Der frühere Bundesumweltminister JürgenTrittin fordert unterdessen die Entlassung von Vattenfall-Chef Klaus Rauscher. "Ichfinde, dass man die Frage nach der Verantwortung von Klaus Rauscher stellen muss", sagteTrittin: "Es kann nicht sein, dass es bei der Entlassung von Bruno Thomauske, dem Leiterder Kraftwerkssparte, bleibt. Der ist nur ein Bauernopfer."
Trittin rief dieBundesregierung auf, "dringend darüber nachzudenken, welche Berater sie sich hält". DerChef des schwedischen Mutterkonzerns Vattenfall AB, Lars Josefsson, ist Klimaberater vonBundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Josefsson habe "in kürzester Zeit mehrereZwischenfälle in seinen Atomkraftwerken zu verantworten", kritisierte Trittin. DieSicherheitskultur in den Atomkonzernen müsse verbessert werden. "Außerdem sollte dieAtomaufsicht beim Bund konzentriert werden", sagte Trittin: "Einer sterbenden Branchemuss man noch genauer auf die Finger schauen, ob sie auch alles richtig macht."