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Liebt der Staat diesen Touristen
03.05.2006 um 18:51Heinrich Böll: Anekdote von der Senkung der Arbeitsmoral
In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mannin seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuenFarbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel,grüne See mit friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fischermütze.Klick. Noch einmal: klick, und da aller guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, eindrittes Mal: klick.
Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösendenFischer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt;aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vordie Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Handgelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeugs, schließt die eilfertige Höflichkeitab. Durch jenes kaum meßbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist einegereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist - der Landessprache mächtig - durch einGespräch zu überbrücken versucht.
,,Sie werden heute einen guten Fang machen."Kopfschütteln des Fischers.
,,Aber man hat mir gesagt, daß das Wetter günstigist." Kopfnicken des Fischers.
,,Sie werden also nicht ausfahren?"
Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiß liegt ihm dasWohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpaßteGelegenheit.
,,Oh, Sie fühlen sich nicht wohl ?,,
Endlich geht derFischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über. ,,Ich fühle michgroßartig", sagte er. ,,Ich habe mich nie besser gefühlt." Er steht auf, reckt sich, alswolle er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. ,,Ich fühle mich phantastisch."
Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Fragenicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: ,,Aber warumfahren Sie dann nicht aus?"
Die Antwort kommt prompt und knapp. ,,Weil ich heutemorgen schon ausgefahren bin."
,,War der Fang gut?"
,,Er war so gut,daß ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich habe vier Hummer in meinen Körbengehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen . . ."
Der Fischer, endlich erwacht,taut jetzt auf und klopft dem Touristen beruhigend auf die Schultern. Dessen besorgterGesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührenderKümmernis.
,,Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug", sagte er, um desFremden Seele zu erleichtern. ,,Rauchen Sie eine von meinen?"
"Ja, danke."
Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde setzt sichkopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetztbeide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.
,,Ich will mich ja nicht inIhre persönlichen Angelegenheiten mischen", sagt er, ,,aber 15 stellen Sie sich mal vor,Sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus und Siewürden drei, vier, fünf, vielleicht gar zehn Dutzend Makrelen fangen . . . stellen Siesich das mal vor." Der Fischer nickt.
,,Sie würden", fährt der Tourist fort,,,nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal,vielleicht viermal ausfahren - wissen Sie, was geschehen würde?"
Der Fischerschüttelt den Kopf.
,Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufenkönnen, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleichteinen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich vielmehr fangen - eines 25 Tages würden Sie zwei Kutter haben, Sie würden. . . .", dieBegeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, ,,Sie würden ein kleinesKühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenenHubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren Kuttern per FunkAnweisung geben. Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, denHummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann. . .", wiederverschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzenbetrübt, seiner Urlaubs freude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlichhereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen. ,,Und dann", sagter, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.
Der Fischer klopft ihmauf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat. ,,Was dann?" fragt er leise.
,,Dann", sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, ,,dann könnten Sie beruhigthier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrliche Meer blicken." ,,Aberdas tu ich ja schon jetzt", sagte der Fischer, ,,ich sitze beruhigt am Hafen und döse,nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört."
Tatsächlich zog der solcherlei belehrteTourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite,um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur von Mitleidmit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid.
In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mannin seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuenFarbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel,grüne See mit friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fischermütze.Klick. Noch einmal: klick, und da aller guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, eindrittes Mal: klick.
Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösendenFischer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt;aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vordie Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Handgelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeugs, schließt die eilfertige Höflichkeitab. Durch jenes kaum meßbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist einegereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist - der Landessprache mächtig - durch einGespräch zu überbrücken versucht.
,,Sie werden heute einen guten Fang machen."Kopfschütteln des Fischers.
,,Aber man hat mir gesagt, daß das Wetter günstigist." Kopfnicken des Fischers.
,,Sie werden also nicht ausfahren?"
Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiß liegt ihm dasWohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpaßteGelegenheit.
,,Oh, Sie fühlen sich nicht wohl ?,,
Endlich geht derFischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über. ,,Ich fühle michgroßartig", sagte er. ,,Ich habe mich nie besser gefühlt." Er steht auf, reckt sich, alswolle er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. ,,Ich fühle mich phantastisch."
Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Fragenicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: ,,Aber warumfahren Sie dann nicht aus?"
Die Antwort kommt prompt und knapp. ,,Weil ich heutemorgen schon ausgefahren bin."
,,War der Fang gut?"
,,Er war so gut,daß ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich habe vier Hummer in meinen Körbengehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen . . ."
Der Fischer, endlich erwacht,taut jetzt auf und klopft dem Touristen beruhigend auf die Schultern. Dessen besorgterGesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührenderKümmernis.
,,Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug", sagte er, um desFremden Seele zu erleichtern. ,,Rauchen Sie eine von meinen?"
"Ja, danke."
Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde setzt sichkopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetztbeide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.
,,Ich will mich ja nicht inIhre persönlichen Angelegenheiten mischen", sagt er, ,,aber 15 stellen Sie sich mal vor,Sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus und Siewürden drei, vier, fünf, vielleicht gar zehn Dutzend Makrelen fangen . . . stellen Siesich das mal vor." Der Fischer nickt.
,,Sie würden", fährt der Tourist fort,,,nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal,vielleicht viermal ausfahren - wissen Sie, was geschehen würde?"
Der Fischerschüttelt den Kopf.
,Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufenkönnen, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleichteinen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich vielmehr fangen - eines 25 Tages würden Sie zwei Kutter haben, Sie würden. . . .", dieBegeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, ,,Sie würden ein kleinesKühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenenHubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren Kuttern per FunkAnweisung geben. Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, denHummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann. . .", wiederverschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache. Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzenbetrübt, seiner Urlaubs freude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlichhereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen. ,,Und dann", sagter, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.
Der Fischer klopft ihmauf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat. ,,Was dann?" fragt er leise.
,,Dann", sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, ,,dann könnten Sie beruhigthier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrliche Meer blicken." ,,Aberdas tu ich ja schon jetzt", sagte der Fischer, ,,ich sitze beruhigt am Hafen und döse,nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört."
Tatsächlich zog der solcherlei belehrteTourist nachdenklich von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite,um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur von Mitleidmit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid.