http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,412165,00.htmlVon der Leyenerzürnt Muslime
Von Eva Lodde
Mit einem neuen Wertekanon für dieErziehung will Familienministerin Ursula von der Leyen Kindern und Eltern helfen. Dochdie gute Absicht allein reicht nicht. Zum Auftakt ihres "Bündnisses für Erziehung" musstesie viel Kritik einstecken - von muslimischen Vertretern.
Berlin - Ursula vonder Leyen hatte die Bundespressekonferenz noch nicht einmal betreten, da musste sie sichin Radio und Fernsehen schon rechtfertigen. Ihr neues Projekt, das Bündnis für Erziehung,wurde zwar prinzipiell von allen Seiten begrüßt. Schließlich geht es darum, Werte in derKindererziehung neu zu definieren, die Betreuung in Kindergärten und Tagesstätten zuverbessern und den Eltern bessere Beratung anzubieten. Aber Kritik gab es trotzdem.
Von der Leyen (mit Kardinal Sterzinsky und Bischöfin Käßmann): "Erst unsere eigenenPositionen klären"
Denn bei der heutigen Pressekonferenz in Berlin saßen anihrer Seite nur die evangelische Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, und derkatholische Kardinal und Erzbischof von Berlin, Georg Sterzinsky. Muslimische oderjüdische Interessen waren bei der ersten Sitzung des Bündnisses für Erziehung nichtgefragt, auch nicht die von Wohlfahrtsverbänden oder kommunalen Trägern von Kindergärten."So wie man die eigene Muttersprache lernt, müssen wir erst unsere eigene Positionklären, damit wir uns später für andere Religionen öffnen können", rechtfertigteBundesfamilienministerin von der Leyen ihre Entscheidung.
Auch in der CDU, ihrereigenen Partei, wird das beanstandet. "Wenn es um die Erziehung geht - das haben wir vorein paar Wochen an der Rütli-Hauptschule miterlebt - geht es auch um die interkulturelleDimension", sagt Bülent Arslan zu SPIEGEL ONLINE. Der deutsche Muslim ist Vorsitzenderdes Deutsch-Türkischen Forums in der CDU. Arslan hätte sich gewünscht, dass auch dieVerbände der Moscheen eingeladen werden.
Das wird auch bei anderenOrganisationen ähnlich gesehen. "Es gibt muslimische Werte, die sich in großen Teilen mitchristlichen Werten überschneiden", erklärt Monir Azzaoui, Pressesprecher des Zentralratsder Muslime. Gerade wegen der aktuellen Integrationsdebatte sei es wichtig, den Islam undandere Religionen nicht auszugrenzen, sagt er zu SPIEGEL ONLINE.
"Grundgesetzenthält zehn Gebote"
"Unsere gesamte Kultur gründet sich auf der christlichenKultur", beharrt hingegen von der Leyen. Dass es sich dabei auch um universelle Wertehandele, spiele für sie erst mal keine Rolle. "Die ersten 19 Artikel unseresGrundgesetzes fassen doch im Prinzip die zehn Gebote zusammen", sagt sie. Sie stütze sichbei ihrem Vorhaben zunächst auf die beiden Kirchen, da sie fast 50 Prozent allerKindergärten in Deutschland trügen und somit viel Erfahrung mitbrächten, verteidigte sieheute in Berlin ihr Projekt. Dieses erste Treffen mit christlichen Vertretern sei nur derAnfang. "Bei der zweiten Runde im Herbst sind alle anderen Interessenten herzlichwillkommen", versicherte sie.
Verlässlichkeit und Vertrauen, Respekt undAufrichtigkeit - diese Werte solle es in jeder Erziehung geben, so das Urteil aller dreiGesprächspartner in Berlin. Landesbischöfin Käßmann betonte, dies sei leider in vielenFamilien nicht mehr selbstverständlich. Folgen seien nicht nur Ereignisse wie dieEskalation von Gewalt an der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln, sondern auch die generelleVerrohung Jugendlicher an den Hauptschulen. "Trotzdem gibt es bislang in Deutschlandimmer noch einen Anti-Effekt, wenn die Erziehung nicht ausschließlich in der Familiestatt findet", kritisierte sie. Deswegen forderte sie ein Pflichtjahr im kostenlosenKindergarten, damit die Kleinen lernten, vernünftig miteinander umzugehen.
ZumPflichtjahr erklärte von der Leyen, dass jetzt nicht mehr das ob, sondern das "wann undwie" diskutiert werde. Der Ministerin geht es zunächst darum, Eltern bei der Erziehung zuunterstützen. Die Familienministerin, selbst Protestantin, will Kindergärten undTagestätten zu einer Art Mittler zwischen Eltern und Kinder machen, falls es Probleme beider Erziehung gibt. Gerade bildungsferne Eltern könnten sich dann vor Ort Rat holen.
Konkretere Vorschläge gab es nach diesem ersten Treffen mit denKirchenvertretern noch nicht - trotz mehrwöchiger Vorbereitungen. Statt dessen sollenjetzt in Zusammenarbeit mit Experten positive Beispiele zusammengetragen werden. Für denSommer sind dann vier Regionalkonferenzen in Hannover, Berlin, Düsseldorf und Münchengeplant, um das Bündnis in den verschiedenen Teilen Deutschlands zu verankern. Erst imHerbst sollen weitere Religionsvertreter sowie Wirtschafts- und Familienverbändeeingebunden werden.
Trotz der offensichtlichen Einigkeit nach dem ersten Treffensind Konflikte abzusehen. "Wo evangelisch draufsteht, muss auch evangelisch drin sein",stellte Landesbischöfin Käßmann nüchtern fest. Inwiefern Betreuer in Kindergärten undTagestätten sich dann Zeit nehmen werden, Unterschiede zu anderen Religionen zu erklären- wie es von der Leyen forderte - bleibt fraglich. Auch von der Leyens Modell einerstärkeren Einbindung der Eltern begrüßen die Kirchen zwar im Grundsatz, doch sehen siesich finanziell dafür nicht ausreichend gewappnet.
Kardinal Sterzinsky machtedeshalb klar: "Da sind wir auf staatliche Unterstützung angewiesen."