Eigentlich ist es immer das Gleiche:
Habe ich schon an die Amokfahrt von Trier erinnert? Ein ähnliches Ereignis, nur aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden, da kein Weihnachtsmarkt, keine Parallelen zum Breitscheidplatz - obwohl es in anderen europäischen Städten ähnliche Ereignisse gegeben hat. Kein Symbol, nur eine "Fuzo", nur ein Durchgeknallter. Vergessen.
Wikipedia: Amokfahrt in TrierNun also ein Weihnachtsmarkt. Das Symbol abendländischer Kultur. Und die Mausklickgesellschaft erwartet nun Reaktionen: Besser, mehr Sicherheit, KI, Identifizierung, Eliminierung von Gefahr und Täter. Und dann kommen die Ansprüche und Illusionen, die postmortalen Besserwissereien, quer durch Politik und Öffentlichkeit: "Wäre doch gelacht", "müsste doch möglich sein" - immer mit dem Ziel, "sowas" müsste sich doch verhindern lassen, wenn man sich nur ausreichend anstrengt.
Das wird es auch wieder heißen, wenn der nächste Kinderpornographenring zu lange unentdeckt geblieben ist, das Horrorhaus von Höxter oder dem BND vorgeworfen wird, er mache zu viel mit der NSA rum.
Schon jetzt stehen sich an allen möglichen gefährdeten Punkten und Veranstaltungen Polizisten die Beine in den Bauch. Und fehlen woanders. Demos, Fußballspiele, Parteitage. Hier in Berlin gibt es eigene Wachpolizisten, die nach mehrwöchiger Ausbildung vor allen möglichen Botschaften, gar vor Mahnmalen, jüdischen Schulen und Synagogen 12-Stunden-Schichten schieben. Mit Knarre und Uniform, aber Angestellte ohne polizeilichen Befugnisse.
Schon mal ausgerechnet, wie viel Personal der Schutz eines Weihnachtsmarktes kostet und bindet? Und wie effektiv er ist? Wirklich ist? Und was es kosten würde, vergleichbare Veranstaltungen und Orte entsprechend zu schützen. Aus Berliner Sicht: Einen CSD-Umzug mit rund 0,5 bis 1 Mio. Menschen an der Straße? Einen "Karneval der Kulturen" mit 0,5 Mio. Besuchern? Das Silvesterevent vor dem Brandenburger Tor mit Zigtausenden enggedrängter Menschen? Die Fußgängerzonen der Republik am letzten Samstag?
Eine sicherheitspolitische Debatte, die sich jetzt auf Weihnachtsmärkte oder (mutmaßlich) psychisch kranke Ärzte orientalischer Herkunft fokussiert, die bietet nicht mehr als einen Tunnelblick.
Gleiches gilt für die Erwartung, man müsse doch "irgendwie" solche Gestalten vorher identifizieren und aus dem Verkehr ziehen, gerade wenn sie sich quasi öffentlich im Internet entäußern. KI. Mausklick. Wegsperren. Ich will nun gar nicht von vertikaler und horizontaler Gewaltenteilung anfangen, Errungenschaften des Rechtsstaats, die 200 Jahre lang erkämpft worden sind. Auch nicht von Meinungsfreiheit und Trennungsgebot.
Sondern: Die Illusion, man könne "solche Leute" unschädlich machen, bevor sie Schaden anrichten. Besser überwachen. Besser schützen. Mehr. Dabei ertrinken die Sicherheitsbehörden schon jetzt in Daten. Beschlagnahmte Datenträger (Smartphones und Terrabyte an Festplattenspeicher) können schon heute nur zum Bruchteil ausgelesen und analysiert werden, sie stapeln sich bei den Spezialisten von BKA und LKAs.
Während früher schlicht ein Telefonanschluss mit einem Tonbandgerät abgehört wurde, strömen heute Gigabyte von größtenteils verschlüsselten Daten durch die Leitung. "Metadata based SIGINT" nennen das die Nachrichtendienste wie NSA und GCHQ, weil sie die Inhalte weder erfassen noch sinnvoll verarbeiten können. "Wer kommuniziert mit wem?" ist wichtiger.
Stattdessen würde ich mich fragen: Es gab schreckliche Amokläufe an Schulen in Deutschland. Erfurt. Winnenden. Es gab Befürchtungen, sie könnten regelmäßig auftreten, ja mehr werden. Es gab auch weiter Einzelfälle, ziemlich regelmäßig, mit Toten und Verletzten, aber das Thema ist heute "durch". Das hat m.E. mit verstärkter Sensibilisierung zu tun, und zwar im Umfeld. Freunde, Bekannte, Mitschüler bzw. -studenten, Lehrpersonal. Auch werden Jugendliche in psychischen Krisen heute nicht nur zu Suizid- sondern auch zu Amokgedanken befragt. Und die Bereitschaft, Ankündigungen oder Drohungen im Internet der Polizei zu melden, dürfte heute auch gestiegen sein. Das Mittel der Wahl: Gefährderansprache, Angehörige informieren, Sozialpsychiatrischer Dienst. Und vielleicht auch Väter, die ihre Schusswaffen nun besser weg sperren.