@Infidel Und als sie regiert hat, hat sie sofort versucht, die Demokratie auszuhöhlen:
https://www.zeit.de/2019/03/verfassungsgerichtshof-kontrollorgan-eingriff-politik-regierung-grundrechte/seite-2 Wie so oft ist es freilich die FPÖ, die auch im Zusammenhang mit dem Höchstgericht Tabubrüche setzt. Sie tat dies durch persönliche Beleidigungen des früheren Präsidenten Adamovich ebenso wie durch jahrelanges Ignorieren der Urteile zu zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten – ein beispielloser Vorgang in der Zweiten Republik. Deshalb finden die Richternominierungen, welche die FPÖ nun als Regierungspartei vornimmt, besondere Beachtung. Im Frühjahr 2018 soll ein verfassungsjuristisch nicht ausgewiesener Jurist und Kolumnist der Kronen Zeitung als Verfassungsrichter im Gespräch gewesen sein. Auch wenn es nur ein Gerücht gewesen sein mag, es beunruhigt allein die Tatsache, dass diese Nominierung für möglich gehalten wurde.
Tatsächlich nominiert hat die FPÖ schließlich einen fachlich anerkannten Medienrechtsanwalt und einen Linzer Rechtsprofessor. Beide wurden ernannt. Mit dem Linzer Professor setzte die Regierung einen Tabubruch, hatte dieser doch Europa als "multikriminelle Gesellschaft" bezeichnet, an deren Entstehung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Mitverantwortung trage. Damit arbeitet nun jemand am höchsten Gericht, der offenbar den Grundkonsens des Nachkriegseuropas, die Absage an Nationalismus und Hass, nicht mitträgt. Die zitierte Aussage stellt nicht nur die Assoziation von mulitikulturell und kriminell her, sie kommuniziert zugleich die Ablehnung supranationaler Gerichte. Man wird sehen, wie sehr es dem Richterkollegium gelingt, eine solche Persönlichkeit in die gemeinsame Grundrechtstradition einzubinden.
Und Kurz ist auf diesen zug sehr gern aufgesprungen und fühlt sich selbst über dem Gesetz. Hier ist ein ganz klarer unterschied zu sehen. Ein Konservativer mag vielleicht murren, wenn die Gerichte ihm in die Parade fahren, aber er akzeptiert, dass es ein verfassungsgericht gibt und man sich an dessen Entscheidungen halten muss.
Das gilt selbst für Hallodris wie Franz Joseph Strauß. Natürlich wollen Parteien grundsätzlich Leute in wichtige Positionen bringen, die ihnen politisch nahe stehen. Das ist aber ein unterschied, ob man da leute hinsetzt, die grundsätzlich nach den demokratischen Spielregeln spielen, oder ob man da, wie die FPÖ (oder auch Kurz) einfach Urteile ignoriert oder irgendwen ohne auch nur den Anschein der Klasse und Neutralität hinsetzt.
Hier ist klar zu sehen, wie man nicht nur für eine Weile jemanden installieren will, der einem ideologisch nahe steht, sondern wie man ganz grundsätzlich dafür sorgen will, dass das Verfassungsgericht entweder ein Freund oder ein Feind ist und man es nur akzeptiert, wenn man es kontrolliert.
EinElch schrieb:Ich müsste das im Einzelnen durchdenken, in aller Kürze doch soviel: Ich halte auch dann immer noch das Internet für DAS unterschätzte Medium.
Ich bin recht früh im Internet mit den Reichsbürgern in Kontakt gekommen, das war 2007. Damals schon hab ich das berüchtigte "14 Punkte zur Situation in Deutschland" gefunden, dieses Pamphlet, das erklärt, wir hätten keinen Friedesvertrag, Deutsches Reich existiert noch, und so weiter.
Ich war damals ein junger Bub und habe das für eine Woche geglaubt, habe dann nachgeforscht, und das verworfen.
Damals hat mein Erzeuger mich für bekloppt erklärt.
Heute, 14 Jahre später, schickt mein Erzeuger genau dieses Pamphlet meinen Brüdern, aber wenn man nachforscht findet man zigtausend dies scheinbar bestätigende Seiten.
Dazu kommt, dass meine Generation und folgend vielleicht teilweise die entsprechenden Kompetenzen besitzen, Quellen zu filtern und zuzuordnen, sind ganze andere Generationen dazu kaum in der Lage und glauben wirklich fast alles was sie lesen.
Und das hat die Leute weit, weit von der Realität entfremdet.
Ja, das hat sicherlich auch etwas damit zu tun. Ich will da nicht zu weit ausholen, aber für mich sind all die Umwälzungen, die wir im Moment sehen, eine recht umfangreiche und ganzheitliche Reaktion auf eine ganz neue Welt, die seit der Einführung des Internets entsteht und sich immer mehr zeigt.
Fake news sind eine Sache, aber fake news treffen heute auf ganz andere Leute. Früher hatten Menschen mehr Anschluss an irgendwelche Gruppen. Wenn du irgendwie Arbeiter warst und in der gewerkschaft, hast du halt SPD gewählt und es gab da so einen halbwegs grundsätzlichen politischen Konsens in deiner community (und es gab überhaupt eine community). Und an dem konnte man sich dann halt schon orientieren.
Heute hast du viel mehr Leute, die stark vereinsamt sind. Da gibt es Arbeitsplätze, wo man sich auch unterhält, aber das ist nicht das gleiche. Die stellen, wo grundsätzliche und nicht zu hinterfragende Konsense geschaffen werden (Kirche, Familie, Klasse, Gewerkschaft, politische Partei) sind auf dem Rückzug. In der neuen Welt kann man alles relativieren und in Frage stellen, weil es keine Autoritäten mehr gibt, denen man halt einfach traut. Das ist einerseits gut, klar, andererseits heißt es aber auch, dass meinungen viel volatiler sind.
Darum haben wir heute die Tendenz zu bewegungen und weg von Parteien. Eine Partei ist wie eine Familie oder ein Verein: Es muss einem nicht alles gefallen, aber das sind die eigenen Leute. Und wenn die Partei mal irgendwas vertritt, was einem nicht passt, dann trägt man das mit, genau wie man in einer Familie halt auch mal für den Familienfrieden fünfe gerade sein lässt.
Das ist aber nicht mehr das, was wir gesellschaftlich heute machen. Heute leben wir in einer Zeit, in der man blitzschnell irgendwo eintritt und austritt. Wo man sogar langjährige freundschaften wegen einzelner politischer Streitpunkte aufgibt oder wegen der Äußerung eines Politikers eine Partei für unwählbar hält.
Man will die, die 100% moralisch integer sind und sonst keinen, weswegen bewegungen schnell entstehen, groß werden und dann abflachen, wenn deren führungspersonal 2-3 fehler gemacht hat.
Nur ist eben das Konservative geschäftsmodell genau 'lass mal fünfe gerade sein'. Wenn die Wirtschaft brummt und man sich mit seinen Nachbarn versteht, ja mei, ist das dann wirklich schlimm wenn da beim Hobeln ein paar Spähne fallen? "Wählt uns, dann habt ihr arbeit und eure familie ist sicher" reicht nicht mehr in einer Welt, in der es für rechts um die Apokalypse durch Migration und für Linke um das Ende der Welt durch Klimawandel geht. Vor allem nicht, wenn man Makel und Kungeleien kaum noch verzeihen kann und will.