cpt_void schrieb:Stimmt. Im rosa Tutu würden sie ihre Opponenten dazu ermuntern, sich vor Lachen die Unterwäsche einzunässen, und lachend kann man auch nicht so schnell davonlaufen.
Moment, die werden doch durch Ermunterung diverser politischer Stellen heute schon so eingeschränkt, daß die wirklich schweren Jungs eher über die Polizei lachen. Auch ein Polizist im Ramboaufzug bleibt ein zahnloser Terrier, wenn er nicht mal bellen darf.
Und die schweren Jungs und die wütenden Betrunkenen würden weniger werden und weniger verbrechen begehen, wenn sie von der Polizei verprügelt werden?
sacredheart schrieb:Das ist tatsächlich ein richtig interessantes Thema, nämlich Gewalt deeskalieren.
Ich denke, in einer Hinsicht ist Deutschland da ganz gut, wenn auch noch nicht perfekt aufgestellt: nämlich so wenige Waffen wie möglich. Eine starke Verbreitung von schweren Waffen, wie in den USA oder Mexiko ist auf jeden Fall totaler Mist.
In den USA hat man eine 80x so hohe Chance erschossen zu werden wie hier und zwar nicht nur aus soziologischen Gründen, sondern einfach auch wegen der ubiquitären Bewaffnung. Der gleiche Idiot, der es hier mal seinen Nachbarn so richtig besorgen will, geht halt mit nem Messer los und nicht mit einem Sturmgewehr. Da kommen einfach bei gleichem Aggressionspotential weniger Tote raus.
Ein Beispiel, wo mir einfach nichts an Lösung einfällt, ist leider Mexiko. Banden und Kartelle mit extrem schwerer Bewaffnung, unglaublicher Brutalität und jeder hat massenweise Kerben in der Tür. Wie man das zurückdrehen will, keine Ahnung, keine Idee.
Der relative Reichtum von Gang Mitgleidern lässt sich da nicht ansatzweise mit ehrlicher Arbeit erreichen, ich würde da für keine Sozialarbeit einen Ansatz sehen. Hinzu kommen die ganzen offenen Rachegelüste.
Ein Gegenbeispiel ist in Grenzen Kolumbien. Ich war noch in Cali, als es in den top 10 der gefährlichsten Städte der Welt war. Mittlerweile hat sich da auch in der Zivilgesellschaft viel gewandelt und zwar wirklich zum Besseren. Ich hatte mich seinerzeit gefragt, wie stelle ich mich dort bei der Bedrohungslage auf. Mir war nahegelegt worden, besser eine Pistole zu tragen, habe mich aber für ein lokales Fußball Shirt und zerschlissene Shorts und ein Wegwerfhandy entschieden, um als Ziel unattraktiv zu werden. Hat immerhin funktioniert.
Was hiesige kriminelle Clans angeht: Sie haben ja hier nicht die Gesellschaft übernommen. Sie sind auch nicht irgendwie in der Mehrheitsgesellschaft angekommen. Da würde ich auf wirtschaftliche Repressalien setzen und tatsächlich nicht auf Bewährungsstrafe 29 für die gleiche Person. Ich hielte es auch für vorstellbar, Schwerstkriminellen und Berufskriminellen ihre Kinder wegzunehmen, damit die überhaupt ne Chance auf ein besseres Leben haben, aber nur dann, wenn eine gute Unterbringung garantiert werden kann.
Sorry vorweg für den langen post:
Bitte denk nicht, ich würde deine Posts nicht lesen, ich werde jetzt keinen Bezug auf Mexiko nehmen, glaube aber, dass ich eine allgemeine Argumentationslinie gefunden habe, auf die ich mit diesem Post antworten möchte mit einem Fallbeispiel.
Wir nehmen jetzt mal den Fall Nicklas.
Wikipedia: Kriminalfall Niklas P.
Erste Tat:
Niklas P. besuchte am 6. Mai 2016 ein Vorabendkonzert von Rhein in Flammen. Als er sich zusammen mit einer 17-jährigen Freundin und einem 18-jährigen Freund auf dem Heimweg befand, wurde er in Bad Godesberg nahe der Haltestelle Rheinallee von drei Männern angegriffen. Die Männer sprachen ihn und seinen Freund an, dann begannen sie auf ihn einzuprügeln und einzutreten. Mehrere Tritte trafen seinen Kopf. Auch seine Freunde wurden attackiert, als sie ihm zu Hilfe eilten, dabei aber nur leicht verletzt. Erst als weitere Personen zu Hilfe kamen, ließen die Angreifer von ihren Opfern ab. Niklas P. verlor bei dem Angriff das Bewusstsein. Er konnte zunächst von einem Notarzt reanimiert werden, erholte sich jedoch nicht mehr und starb am 12. Mai in der Bonner Uni-Klinik.
Wie redeten sich die Täter raus? Die haben sich alle Gegenseitig geschützt, Zeugen haben gesagt, sie seien sich nur zu 6o% sicher.
Im weiterem Prozessverlauf wurden durch Zeugen auch weitere Personen als mögliche Täter genannt, darunter der Eigentümer der Jacke, die bei Walid S. gefunden wurde. Aufgrund unklarer und widersprüchlicher Zeugenaussagen forderte am Ende auch die Staatsanwaltschaft den Freispruch von Walid S., an dessen Schuld erhebliche Zweifel bestünden und dem selbst ein Aufenthalt am Tatort nicht nachzuweisen sei. Am 3. Mai 2017 wurde S. vom Tatvorwurf freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft kündigte an, Akten und die komplette Hauptverhandlung im Hinblick auf neue Ermittlungsansätze auszuwerten. Sie gehe davon aus, dass viele Zeugen in dem Verfahren geschwiegen hätten, obwohl sie den Täter kennen würden. Erst wenn man es schaffe, „irgendwie diese Phalanx aus Lügen und Schweigen zu durchbrechen“, könne man weiterkommen.[27]
Wir sehen also, solange du mit einer großen Männergruppe nachts jemanden plattmachst und sich alle gegenseitig schützen, kann dir keiner was, weil selbst die zeugen natürlich nicht zu 100% sagen können, wer da jetzt genau wann zugeschlagen hat im Eifer des gefechts. Gar kein Problem.
Und was dann? Dann hat der Täter das noch ein paar mal gemacht, bis er endlich ins gefängnis kam:
Der freigesprochene Walid S. wurde 2018 in einem anderen Fall vom Amtsgericht Siegburg wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt.[29] 2019 wurde er wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung, eines Angriffs auf Polizisten, Widerstand, Körperverletzung und Beleidigung erneut angeklagt, wobei er die Taten teilweise einräumte.[30][11] Das Bonner Landgericht verurteilte ihn unter anderem wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Haft. Es sah als erwiesen an, dass Walid S. ein wehrlos am Boden liegendes Opfer zweimal gegen den Kopf getreten hatte, das dadurch eine Gehirnerschütterung, einen doppelten Oberkieferbruch und einen Bruch des Jochbeins erlitt. Er habe den Tod des Opfers vermutlich nicht beabsichtigt, ihn aber billigend in Kauf genommen.[31]
Eine kleine Cherry on top aus dem Prozess, der ihn letztlich ins Gefängnis brachte:
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/bonn-urteil-gegen-walid-s-warum-der-fall-niklas-ueber-dem-verfahren-schwebte-a-1279029.htmlOb die letzte Verurteilung zu 50 Tagessätzen durch das Amtsgericht Siegburg im September 2018 "zu wenig" gewesen sei, wolle er nicht bewerten. Doch schwingt in seinen Worten mit, dass man schon damals womöglich hätte härter durchgreifen können. Immerhin hatte S. zu diesem Zeitpunkt bereits ein ordentliches Sanktionsprogramm hinter sich: Sozialstunden, U-Haft, Anti-Gewalt-Training - nichts davon zeigte Wirkung.
Ich traue mir im Gegensatz zum Richter zu, das zu bewerten: Nein, ich glaube die 50 Tagessätze haben nichts gebracht wenn er danach einen totschlägt und es bei einem zweiten dann nochmal versucht und zwischendrin versucht, einem polizisten die Waffe zu entwenden.
Wenn ich solche Fälle lese, dann denke ich nicht 'Oh, den würde ich aber gerne resozialisieren'. Dann bekomme ich Gewaltfantasien, die ich jetzt nicht näher ausführe.
Trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung, dass wir versuchen müssen, Gefängnisse abzuschaffen. Das heißt nicht, dass auf dem Zwischenweg ich möchte, dass solche Täter einfach laufen gelassen werden, bis sie mehr als einen Menschen umgebracht haben.
Mein Ansatz ist lediglich ein anderer: Ich möchte nicht nur, dass sie nach der ersten Tat lebenslang ins Gefängnis gehen (und wenn wir realistisch sind geht das auch gar nicht). Ich möchte, dass sie null Taten begehen.
Aber um das zu erreichen, ist es unabdingbar, immer die Verminderung von Gewalt in den Vordergrund unserer Überlegungen zu stellen, nicht die Bestrafung von Gewalt. Denn die ist eine große Lüge. Härtere Strafen fordert man in Deutschland (und sonstwo auch) schon immer. Ja, immer. Das ist ein Evergreen und manchmal macht irgendein Politiker dann sogar auf Hardliner (haben wir jetzt in NRW z.B. bei herbert Reul, der Clans doch wesentlich robuster angeht, als die vorhergehende SPD Regierung). Langfristig scheint das aber gar nicht wirklich Gewalt zu verhindern.
Wir können den Walid 10 statt 6 Jahre in den Knast stecken, aber ich denke nicht, dass das Gewalttaten verringert. Seine Freunde laufen immer noch draußen rum, bis man ihn ins Gefängnis überhaupt bekommen hat, hat es lange gedauert. Damit meine ich nicht nur die Nichtverurteilung im Fall Nicklas, damit ich auch, dass ein solcher Täter wohl nicht zum ersten Mal zugehauen hat. Bis bei solchen Tätern überhaupt mal strafrechtlich was passiert, haben die sich häufig schon zig Mal was zu Schulden kommen lassen, was dann eben nicht angezeigt wurde oder zu niedrigschwellig war.
Selbst wenn wir alle abu chakers und alle miris und wie sie alle heißen einbuchten, verringert das noch nicht das Gewaltpotential im Land. Denn andere folgen ihnen nach und irgendeinen Weg um das Gesetz herum gibt es immer.
Für mich haben die Verurteilungen neben dem Resozialisierungseffekt vor allem einen anderen, Gewaltverringernden Nutzen: Gerechtigkeit. Gewalttaten wie diese sind in Deutschland selten, aber sehr öffentlichkeitswirksam. Wenn solche Täter (wie hier leider zunächst passiert) nicht sofort verurteilt werden, verlieren die eigentlich gesetzestreuen Bürger Vertrauen in das System. So wie ich davon Gewaltfantasien bekomme, so ist das bei anderen auch. Und was macht man, wenn man gesetztestreu ist und gewalt ausüben will? Man legalisiert sie. Man wählt Parteien, die auch für härtere Strafen, oder Bürgerwehren oder harte Abschiebungspolitik sind (also auch eine Art von Gewaltausübung gegen dritte), weil man durch die Kenntnis solcher Gewalt um einen herum ein Stück weit verroht und diese Maßnahmen dann als gerechtfertigt ansieht. Auch das kann zu einer Gewaltspirale führen, von der Mehrheitsgesellschaft gegen diejeniegen, die sie als gefährlich erachtet (und natürlich dreht sich die Spirale dann weiter).
Gewalt bedingt immer auf irgendeine Art und Weise Gegengewalt, oft gegen dritte, die gar nix damit zu tun haben (du haust einem aufs Maul, der schlägt seine Frau) und darum ist es wichtig, dass der Staat nicht an der Gewaltspirale teilnimmt sondern bemüht ist, die Gewalt in der gesellschaft zu verringern.
Wo die Inhaftierung die Chemotherapie ist, ist die Gewaltprävention ein gesunder lebensstil. Ersteres ist manchmal ntowendig, wenn man Krebs hat, aber würden alle zweiteres ausüben, gäbe es viel weniger krebstote als selbst mit der besten medizinischen Versorgung.
Eher als eine Diskussion um härtere Strafen bräuchten wir Früherkennungssysteme schon in Schulen für zukünftige Intensivtäter. Da mit 20 einzugreifen bringt oft gar nichts mehr, da muss man mit 12 eingreifen. Und das machen wir nicht, dazu haben wir noch gar nicht die Strukturen. Wir müssten darüber sprechen, wie wir sowas aufbauen, warum jugendliche gewalttäter werden und wie wir wirklich die gewalt verringern, nicht nur sanktionieren. Darum finde ich die Diskussion über 'härte' unehrlich. Wir üben sie ja doch nicht aus, außer ab und zu mal in einzelnen prozessen, die nur die spitze des Hellfeldes der Gewalt sind.
Wir machen unsere republik nicht sicherer, wenn wir doppelt so viele Menschen ins Gefängnis stecken. Wir machen sie sicherer, wenn wir dafür sorgen, dass wir nur noch halb so viele ins Gefängnis stecken müssen.