@Realo Dem stimme ich komplett zu. Eines ist sehr typisch dafür:
Realo schrieb:Aber eben auch damit, dass man hier keine zweite Chance erhält, wenn der erste Versuch daneben geht.
Das war zu meiner Zeit ein ganz entscheidender und einschneidender Faktor: der deutsche Vati Staat ist ja so gut, und ich meine das ernsthaft, dass er uns z.B. ein nahezu kostenloses Hochschulstudium ermöglicht. Aber wehe dir, wenn du danach feststellst, nun, das war nicht das richtige, ich möchte was anderes studieren.
Dann sagt Vati: Nee, mein Junge, noch mal geht nicht. Jeder bekommt eine Chance. Ich zahle doch nicht zwei oder dreimal... Und so blieb so mancher in einem Fach und dann in einem Beruf, in dem er sich gar nicht wohlfühlte.
Und diese "es gibt nur eine Chance" Einstellung ist in der ganzen Gesellschaft verbreitet. Nach der Lehre hat man in den Beruf zu gehen, den man sich mit 16 Jahren ausgesucht hat, als man noch keine Ahnung von der richtigen Welt hatte. Und da hat man zu bleiben.
Und so weiter.
Ich habe studiert, bin Beamter im höheren Dienst geworden (LOL) und meine Familie, Freunde, Bekannten, alle, sind aus allen Wolken gefallen, wie ich nach 10 Jahren gesagt habe: nee, ich mach mal was anderes. Ich gehe in ein anderes Land, studiere da noch mal, mache mich dann selbstständig.
Man hat mich angeschaut wie einen Marsmenschen. Ich weiss noch, bei der Verbeamtung sprach eine Ministerialdirektorin ganz offen: Sie haben jetzt ausgesorgt. Sie sind pensionsberechtigt, sie haben ihre Bestimmung. Sie meinte das ganz ernst.
Diese einmal in Beton gegossene Karriere, sie ist doch auch heute noch das Regelziel aller deutschen Ausbildung, Bildung, Erziehung und so weiter. Da kann auch das Bachelor/Master Gebilde und sonstige Reformen nicht drüber hinwegtäuschen.
In den USA habe ich dann noch einmal studiert und promoviert, und siehe da, hier findet das jeder ganz normal, dass man sich in der Mitte des Lebens noch mal neu orientiert. Nicht alle tun das, freilich, aber es werden keinem Hindernisse in den Weg gelegt. Studenten die 30 oder gar 40 Jahre alt sind, sind hier keine Seltenheit.
Ich habe viele Lehrer und andere Akademiker getroffen, viele unter ihnen Deutsche, die hier etwas ganz anderes gemacht haben als was sie vorher gemacht haben, sich selbstständig gemacht haben usw.
Diese Flexibilität der Gesellschaft hat mich immer beeindruckt.
Mehr Risikobereitschaft. Mehr Chancen. Das hat Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft einer Gesellschaft.
Deshalb bleibe ich dabei, um wieder zum Ausgangsthema zu kommen: die Höhe der Steuern und Abgaben ist gar nicht der entscheidende Grund, warum viele Akademiker und Leistungsträger aus Deutschland weggehen.