Realo schrieb:Die Frage ist eben: Was ist für eine Gesellschaft, die Dauer haben will, das für Menschen verträglichste Maß? Und diese Frage muss sich eben auch der Westen gefallen lassen.
Das ist absolut richtig, zumal der "Westen" ja nun bei manchen Dingen gewaltig Dreck am Stecken hat, wenn man diesen Komplex überhaupt mit solch saloppen Worten abhandeln kann. Eine hochinteressante Fragestellung, die mit wenigen Worten gar nicht erschöpfend behandelt werden kann. Nur, beantworten mag sie niemand, weil keiner eine überzeugende Lösung dafür anbieten will. Der Grund dafür ist simpel:
Den Menschen müsste (von Regierungsseite) quasi eine Deckelung verordnet werden, ähnlich den chinesischen Regulierungsbemühungen. Eine Regierungskonstellation, die solches möglich machen könnte, würde allerdings die westlichen Staatsformen in ihrer jetzigen Form konterkarieren und künstlich kastrieren. Selbst der größte Visionär wäre bei einem solchen - auch schleichend initiierten - Entwicklungsprozeß sofort überfordert und würde mindestens auf pauschale Ablehnung stoßen.
Eine Utopie, die schlicht niemals realisierbar sein wird: Der westliche Mensch ist heute nicht und niemals mehr bereit, sich freiwillig oder gar von oben verordnet zu verschlechtern, so wie es die Westler in einem solchen Fall eben sehen würden. Diesen Zeitpunkt, sollte es ihn je gegeben haben, hat die westliche Welt nicht nur verschlafen, er stand auch mangels verfassungsmäßiger und entwicklungsgeschichtlicher Kongruenzen gar nie ernsthaft zur Disposition. Von daher wird Dein Gedankenansatz niemals funktionieren. Ist heute sogar, meine ich, weiter weg als je zuvor.
Realo schrieb:Aber es ist für einen Westler schwer, einen übergeordneten, oberhalb des westlichen und des östlichen angesiedelten Blick zu erlangen, um beide Seiten aus einer übergeordneten, nicht beeinflussten Perspektive zu betrachten und sich fragen, welche Aspekte der einen und der anderen Seite sind besser für das "menschliche Maß?"
Leider ist diese übergeordnete Perspektive nicht möglich, weil ein Westler keine andere als die westliche kennt und ein Orientale keine andere als die östliche, sofern er dort geboren und aufgewachsen ist.
Völlig richtig, sehe ich theoretisch genauso, nur bildet Deine Beschreibung wiederum einen idealisierten Zustand ab, der unter "Laborbedingungen" existenzfähig ist, im rauen Alltag jedoch sofort wieder am gleichen Punkt scheitert: An den unterschiedlichen Entwicklungständen und den damit differierenden Erwartungen der Menschen per se. Da sehe ich einfach keinerlei Hoffnung, der von mir beschriebene Wesenzug hat eine alles übertreffende Eigendynamik, die jede andere denkbare Initiative im Keime erstickt.
Realo schrieb:Was anderes ist es, wenn er hier geboren ist, dann hat er die (östliche) Perspektive der Eltern (oder eines Elternteils) und die westliche der Leute hier. Wäre es ihm eher möglich, einen neutraleren, umfassenderen Blick zu bekommen, weil er die Sache aus beiden Perspektiven gesehen hat? Wenn dem so ist, dann ist sein Entschluss, lieber zur östlichen Seite ("in den Schoß einer klar geordneten Wertegemeinschaft") zurückzukehren, ein sehr wohl überlegter, während unsere Kritik daran eine einseitige ist.
Möglich, ja. Doch sollte man nicht die erziehungsbedingten Einflüsse unterschätzen. Heimat ist für jeden ein hochgradig emotional besetzter Begriff, dem neben einer selbstverständlich geographischen Bedeutung weitere wichtige, für viele Menschen lebenswichtige Elemente lebenslang beigeordnet sind. Daher sehe ich da auch nur wenig Möglichkeiten.