@Elektrofisch Allein die Einheitssprache formt die Einheitskultur?
Ich lebe in einem vielsprachigen Land. Hier sprechen die EinwohnerInnen:
Hochdeutsch (ca. 2,7 Mio.),
Plattdeutsch (ca. 1,3 Mio.),
Dänisch (ca. 65.000),
Friesisch (ca. 10.000),
Romanes (ca. 5000)
In Nordfriesland werden im Alltag fünf Sprachen gesprochen: Friesisch, Süderjütisch, Plattdeutsch, Hochdeutsch und Dänisch.
oder aber auch:
"Önj Nordfraschlönj wårde önj e warkeldäi fiiw spräke brükd: friisk, sönerjüsk, plååttjüsch, huuchtjüsch än dånsch."
In Schleswig-Holstein ist Deutsch Amtssprache, wobei juristisch unklar ist, ob damit nur die hochdeutsche Sprache gemeint ist oder auch das Niederdeutsch (Platt)
Die Niederdeutsche Sprache, meist als Plattdeutsch bezeichnet, ist nach der europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen als Regionalsprache gemäß Teil III der Charta, die dänische Sprache (meist in Form des Sydslesvigdansk) und die friesische Sprache (in den Dialekten des Nordfriesischen) als Minderheitensprachen gemäß Teil III sowie Romanes als Minderheitensprache gemäß Teil II der Charta im Land Schleswig-Holstein anerkannt.
In grenznahen Gemeinden zwischen Niebüll und Flensburg wird daneben noch Südjütisch (Plattdänisch) gesprochen, das allgemein als Dialekt der Dänischen Sprache angesehen wird, darüber hinaus im Flensburger Raum Petuh, teilweise auch Missingsch.
Damit ist Schleswig-Holstein das an traditionell gesprochenen Sprachen reichste Land. Als ausgestorben gelten hingegen die einst in Friedrichstadt gesprochene niederländische Sprache und das in einzelnen Städten bis zur Nazizeit teilweise gesprochene Jiddisch.
Nach Annahme des Friisk Gesäts durch den Landtag im Jahr 2004 gilt im Kreis Nordfriesland und auf Helgoland (Kreis Pinneberg) friesisch als Amtssprache. Im Kreis Nordfriesland finden sich so auch zweisprachige Ortsschilder auf Deutsch und Friesisch, in anderen Kreisen solche auf Hoch- und Niederdeutsch. (Wikipedia, erhebl. gekürzt)
Auch die Hiesigen haben keine Einheitskultur - ebenso wenig wie die Zugereisten.
Offen bleibt nach wie vor die Frage, in WAS sich jemand, der in dieses Land kommt, integrieren soll - und wie weit?
Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine "deutsche Leitkultur" gibt, an die sich gefällgst jede/r anzupassen hat, wie die wohl aussieht, und ob ich als hier Geborener überhaupt bereit wäre, diese mit zu tragen. Oder muss ich mich selbst ausbürgern?
Ich bin der Meinung, dass es eben keine einheitliche "deutsche Kultur" gibt. Kultur ist immer auch eine Klassenfrage. Was verbindet die "Kultur" der Bayreuther Festspiele mit der der Jungs aus dem Plattenbau von Berlin-Marzahn, was eint den Dokumenta-Besucher mit dem von Wacken?
Wo es keine gemeinsame Kultur gibt - und ich bin froh, dass es sie nicht gibt - da kann sich auch keiner "integrieren", mithin diese Integration auch nicht verweigern.
Jetzt hätte ich gern mal ein paar für ALLE in diesem Land lebenden Menschen einheitliche und verbindliche Eckpfosten der Leitkultur benannt. Bislang konnte mir die noch keiner nennen.
Bitte jetzt nicht mit "Gesetze einhalten", "Wählen gehen", "Steuern zahlen" "ehrenamtlich engagieren", "alle gleich behandeln und bezahlen" kommen - dergleichen halte ich für universell und selbstverständlich und nicht nur für "typisch deutsche Leitkultur".
Ich hätte da schon gern mehr und gern auch Besonderes.
Aus einem anderen Thread 'rübergeholt:
Ach ja, die "kulturelle nationale Identität" - das ist auch schon wieder so ein Wortpudding, der sich nicht an die Wand nageln lässt. Unfassbar, sozusagen.
Das Nebeneinander von Kulturen erlebe ich tagtäglich. Da muss ich nur mal mit zum Schützenverein meiner Frau gehen, bevorzugt zu Festivitäten. Da begegnet mir eine Kultur mit Waffen- und Uniformfetischismus, merkwürdigen Ritualen des Drogenkonsums und erschütterndem Musikgeschmack.
Möchte ich in so eine Kultur integriert sein? Lebendig bzw. nüchtern nie!
Wir haben doch ein Nebeneinander von (Sub)Kulturen. Seit Jahrhunderten. Kultur ist beispielsweise auch immer eine Klassenfrage. Nicht eine Frage der Nationalität.
"Volkszugehörigkeit" bedeutet doch nicht zwangsweise irgendwelche Gemeinsamkeiten, irgendeine "Nationale Identität" oder gar "Mentalität".
Ich bin der Meinung, dass irgendwelche zufälligen Geburtsorte oder Herkunftsländer, irgendwelche gewollten oder ungewollten Migrationsbewegungen den Begriff "Volk" als verwendungsunfähig erscheinen lassen.
Ich bin der Meinung, dass ein Staat aus den Menschen besteht, die darin arbeiten, ihre Steuern bezahlen, sich an die Gesetze halten und wählen gehen. Ist meine persönliche Meinung. Wo die Leute herkommen, was sie glauben oder wie sie aussehen, ist mir dabei völlig wurst und schert mich herzlich wenig.
Eine "einheitliche Kultur", eine "homogene Gesellschaft" gab es hierzulande höchstens scheinbar und auch nur unter erheblichen Zwängen. aber selbst da existierte Unterschiede zwischen "oben" und "unten", zwischen Geschlechtern, Religionen und Regionen. Es gibt und gab halt gewisse Berührungspunkte, temporäre oder punktuelle Gemeinsamkeiten - aber mehr glücklicherweise auch nicht.
Deutsche Mentalität, deutsche Tugend. Da kommt dann immer so etwas wie Sauberkeit, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Disziplin, Unbestechlichkeit etc.
Aber wem gehören dann eigentlich die Deutsche Bahn (Sauberkeit), die Deutsche Bank (Ehrlichkeit), die Deutsche Post (Pünktlichkeit),die Deutsche Bundeswehr (Disziplin) und der Deutsche Fussball-Bund (Unbestechlichkeit)?
Unterschiedliche Kulturen...
Diese Fragestellung geht von dem meiner Meinung nach falschen Denkansatz aus, dass alle Völker jeweils ihnen eigene Kulturen, Werte, Sitten und Gebräuche hätten, die jeweils alle Inhaber dieser Staatsbürgerschaft teilten oder zu teilen hätten.
Welche Kultur hat der schwule Emo mit dem dachdeckenden Neo-Nazi gemein?
Die Vorliebe für dicke Latten?
Welche Gebräuche hat der nordfriesische Halligbewohner mit dem oberbayrischen Bergbauern gemein?
Das Kassieren von EU-Förderung?
Welche Werte haben Jürgen Fitschen und seine Putzfrau Ayse gemein?
Penible Sauberkeit?
Welche Sitten haben katholische Kinderschänder und autonome Autoabfackler gemein?
Kerzen anzünden?
Das hiesse Regionen, Klassen, Geschlechter, Subkulturen etc., vor allem aber die Tatsache, dass es Individuen gibt, völlig ausser Acht zu lassen.
Wenn ich dem Beispiel meiner Tochter folgen würde und die dänische Staatsbürgerschaft annähme, wäre ich dann "Deutscher" oder "Däne". Hätte das irgendwelche spontanen Auswirkungen auf mich als Person? Würde ich mich ändern? Wäre ich gar nicht mehr ich selbst?
Den Geburtsort haben wir uns alle nicht aussuchen können, unsere Staatsangehörigkeit können wir wechseln - aber würde das unser Ich verändern?
Und, was bitte, ist eigentlich "Kultur"? haben wir nicht schon seit eh und je ein Miteinander und Nebeneinander verschiedenster (SUb)Kulturen? Selbst in Zeiten der Diktaturen von NSDAP bzw. SED? Einfach mal mit Menschen reden, die in jenen Zeiten eine andere Kultur pflegten als die staatlich verordnete - mit allen Risiken und Konsequenzen. Möchte irgendwer hier dorthin zurück?