@capspauldin Pass auf, ich erläutere dir das mal.
Erstmal zu folgendem Anliegen und grundsätzlich:
capspauldin schrieb:Über die Hautfarbe reden wir ja hier nicht, sondern von dem Gesamtkonstrukt. Ich weiss nicht wo ich sonst meine Erfahrung mit Antisemitismus unterbringen kann, ausser als PoC.
Anfänglich teilte man die Welt in "weiß" und "schwarz", später dann in "weiß" und "PoC".
Dann traf man die Aussagen "Nur schwarze Menschen bzw nur PoC sind von Rassismus betroffen und üben niemals Rassismus aus" und "Nur weiße Menschen sind Rassisten und niemals von Rassismus betroffen".
Das konnte man natürlich widerlegen mit bspw dem Holocaust, dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, dem Versklaven und Ermorden der Bevölkerung in Polen, der Shinto-Rasse, dem Völkermord in Ruanda, der Nation of Islam, grauen Wölfen etc etc...bzw könnte man theoretisch. Die US-"Rassismusforschung" interessiert sich recht wenig für Dinge außerhalb der USA und betreibt dahingehend auch kein Falsifizieren, wie das eig üblig wäre.
Aber postmoderner Identitätsquark ist eh anti-wissenschaftlich und politisch, die werden also keinerlei Anspruch dahingehend haben.
Also ging man nun dazu über, zu behaupten "Moment mal...wir meinen gar nicht die Hautfarbe sondern...ein gesellschaftliches Konstrukt!".
Wobei man niederträchtigerweise natürlich dennoch die Bezeichnung "weiß" und "schwarz" beibehielt, auch wenn man genau um die Assoziationen weiß.
Natürlich spricht man nie über ein gesellschaftliches Konstrukt, schließlich wird ja kein schwarzer Mensch plötzlich "weiß", weil er in irgendeiner "Machtposition" wäre oder vice versa, das würde man niemals so durchgehen lassen.
Und es ergibt ja auch überhaupt keinen Sinn, die Welt in "von Rassismus-Betroffene" einzuteilen, die man dann "schwarz" nennt und "von Rassismus Nicht-Betroffene", die man dann "weiß" nennt, um dann die Aussage zu treffen "Nur Menschen die von Rassismus betroffen sind, sind von Rassismus betroffen".
Eine Tautologie ohne jeglichen Informationsgehalt oder Erklärungsansatz.
Beispiele für Tautologien sind Aussagen wie „Wenn es regnet, dann regnet es“ oder „Das Wetter ändert sich oder es bleibt, wie es ist.“
Wikipedia: Tautologie (Logik)Es ist also mal Hautfarbe, mal gesellschaftliches Konstrukt, so wie man es halt gerade brauch, falls Logik oder Stringenz mal wieder völlig vor die Wand gefahren wurden.
Das war jetzt ein wenig ausschweifend, um es kurz zu machen: Du wirst niemals PoC, völlig egal, was man zu dir sagt oder dir antut.
capspauldin schrieb:Wenn ich von einem PoC antisemitisch beleidigt werde, was gar nicht so unwahrscheinlich ist, denn bei vielen sind die Protokolle von Zion authentische Dokumente, dann bin ich PoC und aufgrund des rassistischen Vorgehens wird der Antisemit zum Weißen?
Jetzt zu deinem spezifischen Fall.
Du gilst als Jude erstmal als "weiß" und Israel als nahöstlicher Fortsatz des westlichen Imperialismus. Das könnte sich vllt ändern, wenn du nahelegen könntest, dass du aus Äthiopien stammst, aber erstmal ist "Jude" = "weiß".
Davon ab ist Antisemitismus etwas gaaaaaanz anderes als Rassismus. Das mag in bestimmten Kontexten sogar tatsächlich zutreffend sein, in anderen dafür umso weniger.
So gibt es in diesen Theorien zwar vllt die ein oder andere Überschneidung, wenn mal jemand Blutschutzgesetze ausruft und einen singulären, industriellen Völkermord begeht...aber im Grunde hat das nichts mit Rassismus zu tun.
Genau wie bei "Asiaten". Die sind PoC. Da ist es egal, ob der Japaner mal 13 Milionen Chinesen auf grausamste Art und Weise ermordet, weil er sich für rassisch höherwertig hält...der ist PoC und hat...keine Macht oder sowas.
Also eher kein Rassismus.
Warum ist das alles kein Rassismus? Na ja, erstmal weil der Holocaust bspw nicht in den USA war...das interessiert dann nicht so. Außerdem passt es ja nicht in dieses Konstrukt.
Und weil das alles völlig geistlos nachgeplappert wird, obwohl Historie und soziale Realität in den USA etwas völlig anderes sind als in Europa oder Asien bspw, kümmert man sich dann auch in Europa eher um die Unterdrückung der unzähligen Native Americans, als sich mit Juden zu befassen.
Eine PoC kann dich so lange antisemitisch beleidigen wie sie will, selbst wenn sie sich dabei auf Hitler beruft.
Das ist nicht rassistisch. Schließlich hat es keine gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen...selbst wenn sie dir mit einer Eisenstange den Schädel einschlagen, weil du ein Untermenschen-Jude bist. Sie haben keine Macht...also Macht genug, um jemandem den Schädel einzuschlagen, aber sie können als Minderheit halt niemanden institutionell diskriminieren.
Auch wenn "Macht" in dem Kontext natürlich völlig willkürlich verwendet wird...quasi das einzige Wort, was man nicht dekonstruiert. Aber es dient ja auch nur dazu, dieses "Von Rassismus-Betroffen"-Alleinstellungsmerkmal (um es nicht "Privileg" zu nennen) irgendwie zu rechtfertigen, ob logisch oder nicht.
Zur Not wird dann der Kolonialismus noch hinzugezogen. Das Phänomen "Rassismus" ist dann also "Das, was schwarze Menschen in der Historie erleiden mussten und erleiden müssen" und dementsprechend kann davon natürlich niiiie ein weißer Mensch betroffen sein.
Um da nochmal auf Juden zurückzukommen: Die nerven dahingehend natürlich tierisch mit ihrem Holocaust, wenn man so argumentiert...was bei den postmodernen, identitätsverdrehten "Rassismusforschern" jetzt nicht gerade Zuneigung für Juden entwickelt. Es scheint da eher eine Art Konkurrenzdenken aufzukommen, wie im Artikel am Ende belegt.
Aber nicht falsch verstehen...wenn man dir den Kopf mit einer Eisenstange einschlägt, weil du Jude bist, ist das wirklich voll schlimm und so und auch die Geschichte der Juden, voll schlimm...aber eben kein Rassismus.
Folgender Beitrag ist sehr erhellend diesbzgl, auch als Ganzes:
Ein kruder Antiimperialismus, der einst der Legitimation des bewaffneten Kampfs der „unterdrückten Völker“ diente, ist zurück mit einem renovierten Vokabular, mit dem man sich gegen den Universalismus richtet, der als Eurozentrismus abgetan wird. Die Aufklärung, von deren Dialektik man nichts wissen will, wird bestenfalls als eine Kultur unter anderen toleriert, vor allem aber als imperialistisch verleumdet.
Mit den Konsequenzen dieser Entwicklung, insbesondere mit der Verwandtschaft von linkem Kulturrelativismus und neurechtem Ethnopluralismus sowie mit dem Antisemitismus, der sich heute auch im Namen des Antirassismus Bahn bricht, setzt sich nun die Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie auseinander:
Ein bisher in der politischen Auseinandersetzung wenig beachteter Trend ist der Versuch etlicher postkolonialer Ideologen, den 2. Weltkrieg als Kolonialkrieg und den Holocaust als „kolonialen Genozid“ zu interpretieren. Die damit verfolgte Absicht liegt auf der Hand: In Antirassismustrainings, wie sie heute in Behörden und Großbetrieben üblich sind, wird der als "afrikanischer Holocaust" bezeichnete europäische Sklavenhandel (der arabische wird grundsätzlich unterschlagen) von Dozenten, die Critical Whiteness-Anhänger sind, gegen die Ermordung der europäischen Juden ausgespielt und das Festhalten an der Singularität des Holocaust als eurozentristische Sichtweise zurückgewiesen.
[...]
Der Beitrag „Islamischer Antirassismus. Zur antirassistischen Unfähigkeit, den Universalismus gegen die Islamisierung zu verteidigen“ von Felix Perrefort untersucht einen weiteren Aspekt des zur Holocaust-Relativierung tendierenden Rassismusbegriffs der Critical Whiteness: Die Darstellung des Islam als „nicht-weiße“ Religion, die durch eine als „white supremacy“ bezeichnete westliche Zivilisation bekämpft wird. Aus dieser identitätspolitischen Sicht ist der Islam Objekt eines postkolonialen westlichen Überlegenheitsgefühls. Die Kritik an der Ausbreitung des politischen Islam, erscheint – einschließlich des radikalislamischen Terrorismus - als willkürliche koloniale Wissensproduktion ohne jeden Wirklichkeitsbezug. Dieser kulturalistische Antirassismus, der jede Verbindung zum Universalismus aufgegeben hat, substituiert die Kritik der Wirklichkeit durch eine ihrer Darstellung.
Der Aufsatz “Critical Whiteness Studies and the ´Jewish Problem´” von Balázs Berkovits untersucht, wie die whiteness der Juden zu einem populären Topos des kulturalistischen Antirassismus wurde, der Israel und die Juden unbedingt den rassistischen Unterdrückern zuordnen will. Da whiteness für “weiße Privilegien” steht, zielt die Zuordnung der Juden zu den “Weißen” und somit zu den Herrschenden – insbesondere zu denen der Weltmacht USA - auf die Leugnung des Antisemitismus, der bei “intersektionalen” Antirassisten tatsächlich nur noch als eine Randerscheinung des Rassismus vorkommt. “In this kind of discourse, the U. S. represents an empire of interlinked systems of white supremacy, imperialism, capitalism, and patriarchy. From this perspective, it is the case that a once oppressed minority has gained acceptance in majority culture and society and thus become part of the dominant and oppressive majority.”
[...]
Der identitäre Antirassismus setzt auf angeblich sichtbare „Differenzen“. Im Unterschied zum „alten Antirassismus“ wollen die jenem anhängenden heutigen Antirassisten Hautfarben, Ethnien und Kulturen nicht mehr bedeutungslos machen, sondern sie als Repräsentationen von Identitäten „respektieren“ und “wertschätzen“. Es ist bisher nicht untersucht worden, wie es dazu kommen konnte, dass heute fast alle Antirassisten sein wollen und zugleich die Produktion von „Identitäten“, „Kulturen“ und „Minderheiten“ boomt wie nie.
In dem Essay „Die Verdoppelung des Rassismus im Antirassismus. Eine Fallstudie“ beschreibt Günther Jacob die politischen Konsequenzen dieses neuen identitären Antirassismus am Beispiel eines „türkischen Community-Radios“ des Hamburger Alternativradios „Freies Sender Kombinat“ (FSK). Zehn Jahre lang unterstützten identitäre Antirassisten dort eine türkischsprachige Sendung, die radikalislamische AKP-Kader und islamisierte Graue Wölfe ins Studio holte. Auf Beschwerden reagiert man mit Argumenten aus dem Arsenal des Ethnopluralismus und der Privilegientheorie. Eine Bewertung der Sendung müsse die strukturell größere Macht der „Weißdeutschen“ mitdenken; eine besondere Radikalität darin, „nichtdeutsche Faschisten“ aus dem Sender haben zu wollen, könne mit einer Verdrängung des Nationalsozialismus zu tun haben. Community-Politik wurde in den 1980er Jahren von New Labour unter Slogans wie „Remaking Community“ und „New Deal for Communities“ als Konzept der Ethnisierung und Kontrolle „sozialer Nahräume“ entwickelt. Heute ist sie unter der Bezeichnung „Migrantenselbstorganisation“ und durch Staatsverträge mit Moscheegemeinden Bestandteil der Politik der deutschen Migrationsverwaltung.
[...]
In dem Beitrag „Eine Renaissance völkischen Denkens?“ von Julian Köck wird auf die starke strukturelle Ähnlichkeit von Gedanken der äußersten Rechten (in Gestalt der völkischen Bewegung) im späten 19. und 20. Jahrhundert und solchen hingewiesen, die heute überwiegend im linken politischen Spektrum zu finden sind. Sowohl der völkische Nationalismus als auch die „Identitätspolitik“ zielen auf die Konstruktion von Gruppen ab, denen normativer Charakter im Bezug auf ihre Mitglieder eingeräumt wird. Entsprechend werden Identitätsgruppen als die wesentlichen Träger von Gesellschaft und Staat angesehen – und nicht autarke Individuen. Der Essay formuliert die These, dass sich Rassisten und Antirassisten immer schwerer unterscheiden lassen, was letztlich nichts Gutes für Individualisten, die Vernunft und das Ideal einer aufgeklärten Gesellschaft mündiger Bürger bedeuten kann.
https://jungle.world/blog/jungleblog/2018/07/antirassismus-antiimperialismus