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Verurteilung wegen Mordes für Raser

613 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Raser, Raser Mord ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 16:58
Zitat von monstramonstra schrieb:Ich stimme Dir zu. Aber das LG hat argumentiert - und das ist nicht so leicht zu widerlegen
Na ja, die Argumentation ist in sich schlüssig. Aber sie weitet die Annahme eines Vorsatzes enorm aus.
Schon das Konstrukt "dolus eventualis" ist ein sich aus dem Fenster lehnen. Ich nehme etwas als Vorsatz, was eigentlich gar keiner ist. Und daran anknüpfend wird der Vorsatz immer weiter verwaschen. Das ist definitiv nicht der Rechtssicherheit zuträglich.

Wenn der Gesetzgeber den Wunsch verspürt - und dieser Wunsch ist sehr nachvollziehbar - einen "echten" Vorsatz bei manchen Delikten nicht unbedingt als notwendig zu erachten, dann wäre der richtige Weg, das in passenden Straftatbeständen auszudrücken. Was spricht denn gegen eine Strafschärfung für "besonders dumme Fahrlässigkeit"?
Zitat von threefishthreefish schrieb:z.b. das Hamburger Landgericht.
Das hat im Hamburger Raserfall 2018 auf Mord geurteilt obwohl § 315d schon existierte.
Mord, aber nicht versuchten Mord, wenn gar nichts passiert wäre. Das war ja der Fall.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 17:09
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Wenn der Gesetzgeber den Wunsch verspürt - und dieser Wunsch ist sehr nachvollziehbar - einen "echten" Vorsatz bei manchen Delikten nicht unbedingt als notwendig zu erachten, dann wäre der richtige Weg, das in passenden Straftatbeständen auszudrücken. Was spricht denn gegen eine Strafschärfung für "besonders dumme Fahrlässigkeit"?
Vermutlich die Annahme das Handeln mit bedingtem Vorsatz genauso verwerflich ist wie mit umbedingtem Vorsatz.
Unter dieser Annahme ist ist eine Strafzumessung getrennt nach Vorsatzform vollkommen überflüssig.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 17:15
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Das ist definitiv nicht der Rechtssicherheit zuträglich.
Ja, wir kommen da in gefährliches Fahrwasser. Seit einiger Zeit scheint mir Rechtsprechung generell bereit, gefährliche Untiefen zu durchsegeln. Das fängt schon beim BVerfG an. Während man sich früher lieber an das Bewährte hielt, scheint man heute - in unsicheren Zeiten - neue Antworten zu suchen.

Die mediale Beurteilung eines Falles scheint dabei eine große Rolle zu spielen. Auch die Staatsanwaltschaften gehen in den letzten 10 Jahren verstärkt an die Öffentlichkeit. Natürlich hat die Bevölkerung ein Interesse, Ermittlungsergebnisse zu erfahren, aber teilweise wird da eine richtige Hexenjagd draus.
Zitat von threefishthreefish schrieb:Vermutlich die Annahme das Handeln mit bedingtem Vorsatz genauso verwerflich ist wie mit umbedingtem Vorsatz. Unter dieser Annahme ist ist eine Strafzumessung getrennt nach Vorsatzform vollkommen überflüssig.
Genau das fordern aber Strafrechtsprofessoren wie Tonio Walter schon seit langem: Zumindest bei § 211 StGB eine Öffnung des Strafrahmens bei bedingtem Vorsatz, damit eine zeitige Freiheitsstrafe verhängt werden kann.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 17:22
Zitat von monstramonstra schrieb:Das könnte auf alle Fälle erweitert werden, wo man sagt "Die spinnen, die hab'n ja wohl den A... offen!!!. Nicht nur Raser, sondern auch andere fahrlässige Verkehrsdelikte. Generell könnte man einen ganzen Bereich der Sorgfaltspflichtverletzungen, die am Rande des Vorsatzes stehen ("luxuria") zum Vorsatz ("dolus eventualis") hinüber schieben.
Wie siehst Du da einen Geisterfahrer an, der zum Geisterfahrer wurde, weil er einen Ausfahrt verpasst hat? Wäre das zukünftig auch Mord?

Genaugenommen ist die Tat noch unverständlicher als der Raserfall. Denn auf der Autobahn kommen mit Sicherheit Autos entgegen, dagegen ist querender Verkehr in der Nacht unwahrscheinlicher.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 17:25
Zitat von threefishthreefish schrieb:Vermutlich die Annahme das Handeln mit bedingtem Vorsatz genauso verwerflich ist wie mit umbedingtem Vorsatz.
Der bedingte Vorsatz ist das Ergebnis einer Rechtsfortbildung und keiner legislativen Bemühung.
Zitat von monstramonstra schrieb:Seit einiger Zeit scheint mir Rechtsprechung generell bereit, gefährliche Untiefen zu durchsegeln. Das fängt schon beim BVerfG an. Während man sich früher lieber an das Bewährte hielt, scheint man heute - in unsicheren Zeiten - neue Antworten zu suchen.
Ich sehe das Problem vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung begründet.
Es ist für Laien nun mal fast unmöglich, eine Strafe bzw. ein Gesetz von der konkreten Tat zu abstrahieren. Es gibt immer wieder Sonderfälle, welche das "gesunde Rechtsempfinden" triggern.
Aber die Stärke unseres Strafrechtssystems ist gerade, dass es kein case law ist. Sondern dass Gesetze allgemeingültig sein sollen. Das bedeutet aber zwingend, dass es in manchen Fällen ein unbefriedigendes Ergebnis gibt. Nur sieht man als Laie dann nur diese Fälle, weil nur diese Fälle interessant genug für eine ausführliche Berichterstattung sind.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 17:38
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Vermutlich die Annahme das Handeln mit bedingtem Vorsatz genauso verwerflich ist wie mit umbedingtem Vorsatz.

Der bedingte Vorsatz ist das Ergebnis einer Rechtsfortbildung und keiner legislativen Bemühung.
Das ist kein Wiederspruch zu der obigen These:
Die Praxis des bedingten Vorsatzes hat sich in der Rechtspflege gebildet.
Das spricht nicht dagegen das Ergebnis für gut zu befinden.
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Aber die Stärke unseres Strafrechtssystems ist gerade, dass es kein case law ist. Sondern dass Gesetze allgemeingültig sein sollen.
Das wurde in dem Raserfall so konsequent angewendet:

1. Prüfung ob Tötungsvorsatz vorliegt.

2. Prüfung ob Mord oder Totschlag vorliegt.

Die Möglichen niedrigen Beweggründe sind im Gesetz bewusst nicht auf eine abschliessende Menge begenzt.
Und Rasen zur kurzfristigen Befriedigung des Egos , das würde jeder als niedrigen Beweggrund ansehen.
Ergo war das Mord-Urteil konsequente Folge aus dem Gesetz und der laufenden Rechsprechung .


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 18:05
Zitat von HeinrichBHeinrichB schrieb:Wie siehst Du da einen Geisterfahrer an, der zum Geisterfahrer wurde, weil er einen Ausfahrt verpasst hat? Wäre das zukünftig auch Mord?
Schwierig. Es wurde vor nicht allzulanger Zeit ein Geisterfahrer wegen Mordes verurteilt, weil er auf der Autobahn in Suizidabsicht in den Gegenverkehr gefahren ist. Es kam zu einem tödlichen Unfall. Der lebensmüde Autofahrer überlebte (welch schreckliche Dramen sich da bei Täter und Opfer abspielen, das kann man gar nicht ermessen!). Er wurde wegen Mordes verurteilt, weil es ihm gerade darauf ankam, einen Unfall zu verursachen. Um selbst zu sterben nahm er den Tod der kollidierenden Autofahrer in Kauf.

Das sehe ich als klassischen Fall des bedingten Vorsatzes. Auch wenn das Ergebnis schon ganz schön heftig ist. Schließlich hatte der Täter gehofft, nicht zu überleben. Und ich weiß nicht, wie lange er die Haft überlebt.

Beim fahrlässigen Geisterfahrer kommt es darauf an: Sagt er sich "Hurra, endlich mal ein Abenteuer, denen weiche ich als König der Landstraße allen aus!", dann sind wir wieder in Berlin und beim Vorsatz (meiner Ansicht nach: trotzdem Fahrlässigkeit). Wird er dagegen panisch ob der vielen Geisterfahrer, die ihm entgegen kommen, gibt Gas und es gibt Tote, dann fahrlässige Tötung.
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Aber die Stärke unseres Strafrechtssystems ist gerade, dass es kein case law ist. Sondern dass Gesetze allgemeingültig sein sollen. Das bedeutet aber zwingend, dass es in manchen Fällen ein unbefriedigendes Ergebnis gibt.
Dann wäre das aber meine subjektive Beobachtung, die nicht zutreffen würde.
Zitat von threefishthreefish schrieb:Die Praxis des bedingten Vorsatzes hat sich in der Rechtspflege gebildet.
Im Grunde auch zu Recht:

Wenn der Bankräuber die Geisel fesselt, so dass sie keine Luft mehr bekommt und sie nach ein paar Minuten erstickt, weil er sich mit dem Geld davon macht, dann
1. wollte er sie nicht töten (keine Absicht),
2. er konnte auch nicht sicher wissen, dass die Geisel sterben würde (keine Wissentlichkeit).
3. Und dem stellt die Rechtsprechung nun gleich, dass er erkennt, dass die Geisel getötet werden könnte, er dies nicht will, aber es ihm egal ist, er sich damit abfindet, weil er flüchten muss oder eben billigend den Tod in Kauf nimmt.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 20:12
Nicht nur Raser, sondern auch andere fahrlässige Verkehrsdelikte.
Sorry, aber das gezeigte Verhalten der Raser hatte doch nichts mehr mit Fahrlässigkeit zu tun. Die sind bei Nacht mit über 160km/h über etliche rote Ampeln mitten in der Innenstadt überfahren. Da hätte es jederzeit einen Fußgänger oder Radfahrer erwischen können und das weiß auch jeder zurechnungsfähige Mensch. Und diesen Leuten hätten sie garantiert nicht ausweichen können.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 21:16
Zitat von monstramonstra schrieb:Es wurde vor nicht allzulanger Zeit ein Geisterfahrer wegen Mordes verurteilt, weil er auf der Autobahn in Suizidabsicht in den Gegenverkehr gefahren ist.
Ich finde den Begriff "Geisterfahrer" hier nicht passend. Man denkt beim Lesen: Huch! Ein Geisterfahrer bekam ein Mordurteil...?

Warum muss der Autofahrer, der sterben und einen anderen "mitnehmen wollte" überhaupt eine Bezeichnung, wie Geisterfahrer erhalten?
Ein Autofahrer wurde wegen Mordes verurteilt, weil er auf der Autobahn in Suizidabsicht in den Gegenverkehr gefahren ist, sagt doch alles aus.

Das Wort Geisterfahrer liegt auf eine falsche Spur.

Es kommt nicht selten vor, dass Mensch mit Suizidabsichten nicht alleine sterben sollen. Psychologen können das vielleicht erklären.
Bekannte von uns haben auf diese Weise ihren Sohn verloren. Er war das Opfer.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

23.06.2020 um 21:22
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Das Wort Geisterfahrer liegt auf eine falsche Spur.
"Geisterfahrer" ist halt nun mal das Wort, mit dem gemeinhin Fahrer bezeichnet werden, die auf Autobahnen entgegen der Fahrtrichtung fahren. Den Rest (Suizidabsicht, Bestrafung wegen Mord) hatte ich erwähnt. Wo ist also das Problem?

Ist "Mörderfahrer" besser?

Ansonsten gibt es noch - in unterschiedlicher Ausprägung - den "Mitnahmesuizid". Auch kein besonders tolles Wort, aber jeder weiß, dass der Täter neben sich selbst noch andere getötet hat. Mit Absicht. Psychologen können das erklären, das mindert aber natürlich nicht das Leid.


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24.06.2020 um 10:13
Zitat von threefishthreefish schrieb:Das ist kein Wiederspruch zu der obigen These:
Na ja, ich sprach davon, dass der Gesetzgeber dies ja beachten könnte.
Zitat von threefishthreefish schrieb:Das wurde in dem Raserfall so konsequent angewendet:

1. Prüfung ob Tötungsvorsatz vorliegt.

2. Prüfung ob Mord oder Totschlag vorliegt.
Es wurde "scheinbar konsequent" angewendet. Natürlich liegt kein offener Rechtsbruch vor. Aber eine - wie ich finde - alleine ergebnisorientierte Interpretation des Tatbestandes, um zu einem Tötungsvorsatz zu gelangen.
Zitat von threefishthreefish schrieb:Und Rasen zur kurzfristigen Befriedigung des Egos , das würde jeder als niedrigen Beweggrund ansehen.
Es geht hier ja nicht um das Vorliegen oder Nichtvorliegens eines Mordmerkmales - das wäre das zweite Thema. Das Problem besteht schon beim Tötungsvorsatz. Mit einem Mordmerkmal könnte ich mich weit eher anfreunden. Unterstellt man das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes, wäre in meinen Augen das zusätzliche Vorliegen eines MM nicht das Problem.
Zitat von monstramonstra schrieb:Dann wäre das aber meine subjektive Beobachtung, die nicht zutreffen würde.
Hier verstehe ich leider nicht, was Du meinst.
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Das Wort Geisterfahrer liegt auf eine falsche Spur.
Der "terminus technicus" ist Falschfahrer. Aber Geisterfahrer ist halt der passende Begriff aus der Umgangssprache. Und das sollte auch genannt werden, es konkretisiert doch sehr gut, was passiert ist. Würde man den Sachverhalt anders ausdrücken, müsste man dieses eine Wort mit einem ganzen Satz ersetzen.
Zitat von ZarastroZarastro schrieb:Sorry, aber das gezeigte Verhalten der Raser hatte doch nichts mehr mit Fahrlässigkeit zu tun.
Du verwechselst den Tathergang (den objektiven Tatbestand) mit dem, was den Täter motiviert hat (subjektiver tatbestand). Beides sind zwei grundsätzlich getrennte Dinge, die zusammen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Es kommt eben nicht nur darauf an, was man macht, sondern warum man etwas macht.
Zitat von monstramonstra schrieb:Im Grunde auch zu Recht:
Ich fände ehrlich gesagt eine Abstufung sinnvoller. In meinen Augen ist es verwerflicher, wenn der Täter den Taterfolg genau beabsichtigt, als wenn er ihn in Kauf nimmt. Ich sehe da eine Abstufung im Unrechtsgehalt einer Tat.
Und normalerweise findet das z.B. in der Strafzumessung auch Berücksichtigung. Nur eben nicht bei Mord.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

24.06.2020 um 10:56
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Ich fände ehrlich gesagt eine Abstufung sinnvoller. In meinen Augen ist es verwerflicher, wenn der Täter den Taterfolg genau beabsichtigt, als wenn er ihn in Kauf nimmt. Ich sehe da eine Abstufung im Unrechtsgehalt einer Tat.
Der Ansicht bist nicht nur Du, sondern z.B. auch Professor Tonio Walter aus Regensburg. Vermutlich nicht nur er.
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Hier verstehe ich leider nicht, was Du meinst.
Und ich nicht, was Du meintest... Mein Eindruck war, dass Gerichte häufiger "abspacen" und nicht mehr so konservativ urteilen. Du hast entgegnet, dass es ein subjektiver Eindruck sei.
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Ich sehe das Problem vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung begründet.
Es ist für Laien nun mal fast unmöglich, eine Strafe bzw. ein Gesetz von der konkreten Tat zu abstrahieren. Es gibt immer wieder Sonderfälle, welche das "gesunde Rechtsempfinden" triggern.
Aber die Stärke unseres Strafrechtssystems ist gerade, dass es kein case law ist. Sondern dass Gesetze allgemeingültig sein sollen. Das bedeutet aber zwingend, dass es in manchen Fällen ein unbefriedigendes Ergebnis gibt. Nur sieht man als Laie dann nur diese Fälle, weil nur diese Fälle interessant genug für eine ausführliche Berichterstattung sind.
Dem stimme ich völlig zu, aber ich hatte eben was anderes gemeint...


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

24.06.2020 um 12:58
Zitat von monstramonstra schrieb:Und ich nicht, was Du meintest... Mein Eindruck war, dass Gerichte häufiger "abspacen" und nicht mehr so konservativ urteilen. Du hast entgegnet, dass es ein subjektiver Eindruck sei.
Da habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. Ich wollte dem zustimmen und es weiter erläutern.

Ich finde das übrigens gerade eine schöne Diskussion, welche wirklich die Grundproblematiken dieser Urteile beleuchtet.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

24.06.2020 um 13:25
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Ich finde das übrigens gerade eine schöne Diskussion, welche wirklich die Grundproblematiken dieser Urteile beleuchtet.
Diese in der Strafe brutale Grenze zwischen fahrlässiger Tötung (bis 5 Jahre) und Mord (zwingend lebenslänglich) ist im wahren Leben manchmal nur einen Hauch voneinander entfernt. Und das noch nicht mal in der Analyse eines äußeren Sachverhaltes, sondern "innerer Tatsachen". Mich hat die Abgrenzung von "dolus eventualis" und "luxuria" schon immer erschaudern lassen. Denn hier ist die Gefahr von unechten Fehlurteilen besonders groß, hier können Dinge wie Herkunft, Persönlichkeit und Verhalten des Angeklagten vor Gericht, wie auch die Bewertung durch die Öffentlichkeit den entscheidenden Ausschlag geben, von was ein Gericht im Ergebnis überzeugt ist.

Die Vorsitzende des BGH-Senats hat auch betont, man könne dem Täter nicht in den Kopf schauen. Und müsse/dürfe deshalb objektive Kriterien zur Bestimmung des subjektiven Tatbestandes heranziehen. Ich hatte schon ausgeführt, dass sich ihre Worte so anhören, als habe der BGH das Urteil des LG zwar skeptisch gesehen, letztlich aber dem Tatgericht die Abgrenzungsfrage überlassen.

Ähnlich problematisch sind auch die subjektiven Mordmerkmale, die ebenfalls an äußeren Merkmalen festgemacht werden. Sie können eine Freiheitsstrafe locker verdoppeln. Aber auch "Heimtücke" und "Gemeingefährlichkeit", die in unserem Fall vom LG angenommen wurden, lassen mich eher ratlos zurück. Ich frage mich, ob bei solchen atypischen Fällen und zugleich bedingtem Vorsatz die eigentlich eng auszulegenden Mordmerkmale nicht überdehnt werden.

Eine Reform der §§ 211, 212 StGB, die bekanntlich aus der Ägide von Staatssekretär Roland Freisler aus NS-Zeit stammen und denen eine entpsrechende ideologische Dogmatik innewohnt ("täterbezogenes Strafbild"), ist ja leider gescheitert. Das Vorhaben war auch nicht einfach. Die bundesdeutsche Justiz hat sich so mit diesen Vorschriften arrangiert und identifiziert, dass sich keiner traut, die dazu entwickelten Grundsätze über Bord zu werfen. Eine Befürchtung war immer, es könne nach einer Reform zu viele oder zu wenige Morde geben. Und daran wollte das BMJ eigentlich nichts ändern. Weil es verhältnismäßig wenige vorsätzliche Tötungsdelikte in Deutschland gibt, die entsprechend Aufmerksamkeit erregen, erscheint die Anwendung des § 211 StGB auch adäquat. Die besondere Verwerflichkeit ist in unseren friedlichen Zeiten nicht der Ausnahmefall, sondern eher die Regel.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

24.06.2020 um 13:52
Zitat von monstramonstra schrieb:Diese in der Strafe brutale Grenze zwischen fahrlässiger Tötung (bis 5 Jahre) und Mord (zwingend lebenslänglich) ist im wahren Leben manchmal nur einen Hauch voneinander entfernt.
Absolut.
Wenn ich mich noch richtig an meine rechtshistorische Vorlesung erinnere, stellt gerade Mord einen systematischen Sonderfall dar, der alleine einer traditionellen Betrachtungsweise geschuldet ist.
Systematisch richtig wäre es, eine vorsätzliche Tötung (Totschlag) einfach entsprechend zu qualifizieren (bzw. diese Qualifikation des "besonders schweren Falls" gibt es ja schon. Den kann man bei Bedarf noch genauer differenzieren.). Damit würde man sich eine Menge an Problemen und argumentativen Klimmzügen ersparen.
Zitat von monstramonstra schrieb:Denn hier ist die Gefahr von unechten Fehlurteilen besonders groß, hier können Dinge wie Herkunft, Persönlichkeit und Verhalten des Angeklagten vor Gericht, wie auch die Bewertung durch die Öffentlichkeit den entscheidenden Ausschlag geben, von was ein Gericht im Ergebnis überzeugt ist.
Aber dieses Problem ist quasi unlösbar.
Zitat von monstramonstra schrieb:Ich hatte schon ausgeführt, dass sich ihre Worte so anhören, als habe der BGH das Urteil des LG zwar skeptisch gesehen, letztlich aber dem Tatgericht die Abgrenzungsfrage überlassen.
Letztlich hatte der BGH da keine große Wahl. Ggf. hätte er die inhaltliche Missbilligung der Tatbestandsfeststellung deutlicher zum Ausdruck bringen können. Aber das wäre eher auch Öl ins Feuer gegossen.
Zitat von monstramonstra schrieb:Aber auch "Heimtücke" und "Gemeingefährlichkeit", die in unserem Fall vom LG angenommen wurden, lassen mich eher ratlos zurück.
Mich im Grunde auch. Ein sonstiger "niedriger Beweggrund" ist in meinen Augen argumentativ gut haltbar. Und ein Mittel kann durch die Art seiner Anwendung schon auch gemeingefährlich werden - aber da wäre bei einem Auto tatsächlich die Abgrenzung zu klären. Ein Auto ist im Grunde immer gefährlich. Wir reden von mindestens 1,5 Tonnen Stahl, die mit hoher Geschwindigkeit bewegt werden können. Viel gefährlicher geht kaum. Aber ein Auto ist eben auch eine ausgesprochen sozialadäquate Gefahr - da lässt sich eine Gemeingefahr nur schwer begründen. Und Heimtücke halte ich für völlig konstruiert. Klar war das Opfer arglos - aber das ist der typische Fall bei einem Verkehrsunfall. Und vor allem müsste die Arglosigkeit vom Täter bewusst ausgenutzt werden. Wann genau soll sich hier der notwendige Vorsatz gebildet haben?
Zitat von monstramonstra schrieb:Eine Befürchtung war immer, es könne nach einer Reform zu viele oder zu wenige Morde geben.
Wie gesagt, der Begriff "Mord" muss ja nicht unbedingt im Strafgesetz bleiben. Und die von den Gerichten entwickelten Grundsätze wären ja weiterhin voll anwendbar. Es ändert sich ja an der Sache selbst nichts. Es wäre nur systematisch sauberer.


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24.06.2020 um 17:42
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Der "terminus technicus" ist Falschfahrer. Aber Geisterfahrer ist halt der passende Begriff aus der Umgangssprache. Und das sollte auch genannt werden, es konkretisiert doch sehr gut, was passiert ist. Würde man den Sachverhalt anders ausdrücken, müsste man dieses eine Wort mit einem ganzen Satz ersetzen.
@kleinundgrün

Falschfahrer finde ich viel passender.
Unter Geisterfahrer stelle ich mir vor, dass jemand aus Unaufmerksamkeit- oder weil er ein schlechter Fahrer ist etc. in den Gegenverkehr geraten ist.
Wenn in einem Artikel stünde: "Ein Geisterfahrer steht in einem Mordprozess vor Gericht", würde ich mich sehr wundern. Wenn dann erläutert wird, er ist in suizidaler Absicht in den Gegenverkehr gerast- also vorsätzlich- entsteht ja ein ganz anderes Bild.

Ist ja nicht so wichtig, hier im thread. Nur ganz generell: Mit Worten erschaffen wir ganze Bilder.

Die Autofahrer, um die es hier im thread geht, hatten nicht die Absicht (den Vorsatz), Menschen zu töten.
Gleiche Waffe, gleiche Wirkung, unterschiedliche Stimmungslage beim Täter.
Hier Übermut, Suche nach dem Kick - da Todeswunsch.


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25.06.2020 um 08:29
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Die Autofahrer, um die es hier im thread geht, hatten nicht die Absicht (den Vorsatz), Menschen zu töten.
Absicht und Vorsatz sind nicht deckungsgleich (juristisch betrachtet, allgemeinsprachlich mag das so sein). Das ist das Verhältnis wie Äpfel zu Obst.
Absicht ist nur eine Teilmenge von Vorsatz. -> Wikipedia: Vorsatz (Recht)#Grade des Vorsatzes


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26.06.2020 um 07:25
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Absicht und Vorsatz sind nicht deckungsgleich (juristisch betrachtet, allgemeinsprachlich mag das so sein). Das ist das Verhältnis wie Äpfel zu Obst.
Absicht ist nur eine Teilmenge von Vorsatz. ->
@kleinundgrün
Stimmt, es gibt verschiedene Abstufungen.

Spielt in diesem Fall keine Rolle. Dem verurteilten Fahrer wird geglaubt, dass er nicht töten wollte.
Dennoch hat er den Tod des anderen Autofahrers zu verantworten.


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

26.06.2020 um 09:37
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Spielt in diesem Fall keine Rolle. Dem verurteilten Fahrer wird geglaubt, dass er nicht töten wollte.
Dennoch hat er den Tod des anderen Autofahrers zu verantworten.
Die "Verantwortung" für den Tod des Opfers ist hier allerdings nie das Problem gewesen.

Wenn Du z.B. an einer Kreuzung kurz unaufmerksam bist und dadurch ein anderer Verkehrsteilnehmer stirbt, bist Du ja auch verantwortlich für dessen Tod. Aber in diesem Fall (natürlich je nach konkreter Situation, Vermeidbarkeit etc.) wird nur eine fahrlässige Tötung im Raum stehen. Du hast getötet, aber eben ohne diesbezüglich einen Vorsatz zu haben.

Bei dem "Raserfall" ging es gerade darum, ob das "Rasen" (und nur diese Handlung!) schon einen Tötungsvorsatz beinhaltete. Also ob bei dem viel zu schnellen Fahren unter diesen Umständen der Täter wusste und wollte, dass ein Mensch stirbt.
Wenn man das mal ganz laienhaft betrachtet, ist klar, dass er es natürlich weder wusste noch wollte. Er wollte sein Rennen fahren und sein Ego streicheln. Und zwar auf Kosten eines stark erhöhten Risikos für andere.

Ich finde, da sieht man die Problematik der Situation. Ist es Mord, wenn ich aus niederen Beweggründen ein abstraktes Risiko erhöhe und sich diese Risikoerhöhung dann auch realisiert?


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Verurteilung wegen Mordes für Raser

26.06.2020 um 11:14
Zitat von kleinundgrünkleinundgrün schrieb:Ist es Mord, wenn ich aus niederen Beweggründen ein abstraktes Risiko erhöhe und sich diese Risikoerhöhung dann auch realisiert?
Das LG Berlin - bestätigt vom BGH - sagt:

Die durch das risikoerhöhende Verhalten verursachte objektive Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts sei entscheidend. Das sei nicht bei jeder Form des "Rasens" so, sondern nur bei in Sonderfällen, in denen das Risiko so gesteigert werde, dass die Realisierung vorsätzlich (bedingt) in Kauf genommen wird. Wer mit 130 km/h über den Ku'Damm rast und mehrere rote Ampeln überfährt, der rast nicht des Nachts auf einer leeren Landstraße. Und gleicht auch nicht dem Autofahrer, der beim Rechtsabbiegen aus Unachtsamkeit einen Fahrradfahrer umfährt und tötet. Der Fahrer weiß, am Ku'Damm ist auch Nachts viel los, Fußgänger, Radfahrer, kreuzende Autos. Und der das weiß, der will zwar keinen Unfall, denkt sich aber "Ist mir doch egal" oder "dann ist es halt so". Und so sei das hier gewesen, so das LG Berlin.

Das lässt sich alles hören, ist auch gut vertretbar. Das ist nicht rechtsstaatswidrig. Und trotzdem falsch.

Der bedingte Vorsatz verlagert sich also in Richtung des wissentlichen Vorsatzes, was den kognitiven Anteil angeht. Lässt aber freilich außer Acht, dass es bei den Fahrern mit den kognitiven Fähigkeiten bei der Gefährdungsbeurteilung nicht so weit her war. Unserer Auffassung haben die Fahrer nicht nur das Risiko falsch eingeschätzt (sonst hätten sie sich nicht hinreissen lassen), sondern - und das ist entscheidend - sie wollten auch nicht die Verwirklichung des Risikos (der voluntative Anteil liegt unterhalb eines "billigend in Kauf nehmens").


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