Karneval ist nicht Karneval.
Als ich klein war (das ist eine Weile her, wir reden von Ende 60er, Anfang 70er), lebten wir auf der Schwäbischen Alp und hatten Fasching und Fastnacht, das war irgendwie eine andere Kategorie.
Wenn an der Weiberfastnacht die Masken (von Dorf zu Dorf verschieden, bei uns waren es Schafe mit großen geschnitzten Schafsköpfen und Schaffell-Anzügen) in die Schule kamen und die Lehrer rauswarfen, war das kein Spaß... die Kinder hatten eine Heidenangst und unsere Lehrerin landete im Erdgeschoss in den Büschen vor dem Fenster. (Sie fand das sehr lustig.)
Danach war für ein paar Tage totaler Ausnahmezustand.
Von wegen Klischees: Das Nachbardorf hatte Hexen als Masken. Man feierte zusammen und am Aschermittwoch tanzten Hexen und Schafe zusammen um einen Scheiterhaufen mit einer brennenden Strohpuppe. Die Anderen waren das Übliche: Prinzessinnen, Prinzen, Cowboys, Indianer, "Mohren", ägyptische Pharaonen und Göttinnen, Clowns, Schornsteinfeger,....
Niemand hätte da irgendwas ernst genommen. Die Obrigkeit wurde noch am Mittwoch aus dem Rathaus geworfen (oder getragen), dann gab es die Reden von der Rathaustreppe in denen man der Obrigkeit Saures gab, und danach war alles symbolisch zu verstehen, nichts so wie es aussah. War man Indianer, um sich über Indianer lustig zu machen, oder weil man deren freie Lebensart feiern wollte? Waren die Hexen die Bösen, oder die Guten, deren Verbrennung zuletzt demonstrativ betrauert wurde? Waren die Prinzessinnen die Attraktiven oder die Doofen, die auf einen Prinzen warten mussten?
Karneval ist nicht so dämlich platt, wie manche denken - außer man macht ihn dazu.
Alte Berliner wie
@Warhead haben keinen Bezug dazu. Einer der Friedrichs fand das Treiben zu Obrigkeits-kritisch und hat es bei Androhung (und unter Ausübung) drakonischer Strafen verboten. Daraufhin haben die pragmatischen Preußen beschlossen, dass Karneval sowieso doof ist, und es nichtmal mehr versucht.
Hach, wir sind ja so gebildet, wir brauchen den Mummenschanz nicht. Dabei war es nie nur Geblödel, sondern immer das Ventil, Anarchie für ein paar Tage.
(Wenn ich dann mal Zeit habe, suche ich Quellen dazu raus. Ich habe das aus einem Radiobeitrag von vor ca. 20 Jahren.)
Insofern waren auch stereotype Verkleidungen eben nicht nur blöd, sondern eine Theaterrolle. Und wer wollte dem Theater verbieten, den Othello oder den Sultan auf der Bühne darzustellen?
Blackfacing hat den den USA tatsächlich eine andere Tradition. Das wird nicht lustig gefunden, weil es in unmittelbarem Zusammenhang mit der Diskriminierung der Schwarzen gesehen wird (der schwarz geschminkte, weiße Schauspieler spielte immer einen totalen Idioten).
Wir würden uns auch nicht als Juden mit großer Nase und Schläfenlocken verkleiden und erwarten, dass das irgendwer lustig findet.
Man muss Verkleidungen aber in kulturellem Zusammenhang sehen, und hier hatte der "Mohr" eine andere Bedeutung. Das konnte natürlich oft ein Sklave sein, aber eben auch der "Mohrenkönig" mit Harem und allem Pipapo, und der "Sarottimohr" wurde mit vielen mit dem "Kleinen Muck" gleichgesetzt.
Wikipedia: Die Geschichte von dem kleinen MuckHeute ist das alles komplizierter: Möchte man einen Sultan darstellen, müsste man schon klarstellen, ob das ein demokratisch gesinnter Sultan ist, oder ein Diktator. Möchte man den Frauenfeind veräppeln, oder sehnt man sich einen Harem herbei? Möchte man sich einmal als Herrscher von Allahs Gnaden fühlen, oder als Reform-Sultan für eine monarchistische Demokratie demonstrieren?
Die Antwort ist: Nichts von allem. Es ist Fasching. Wenn man nicht die ureigensten gesellschaftlichen Tabus bricht, kann man machen was man will.
Manchmal glaube ich, wenn man heute in Berlin zu Fasching jemanden wirklich schocken will, muss man als blutendes Steak auftreten. Bei all den Vegetariern...