@miauz Noch mal aus meinem Blog hervor gekramt:
Ich arbeite seit einiger Zeit ehrenamtlich in der Betreuung von Flüchtlingen in meinem Landkreis. Nach meinen Erfahrungen bieten die Menschen, um die ich mich kümmere, einen Querschnitt durch alle Gesellschaftsschichten. Es sind Intellektuelle dazwischen, Unternehmer, Künstler - aber auch Handwerker, Arbeiter, Hausfrauen und Bauern. Das Spektrum reicht vom mehrsprachigen Universitätsprofessor bis zum analphabetischen Hirten. Also ungefähr das, was hier schon so seit Generationen in Deutschland lebt und arbeitet.
Möglicherweise ist hier, hoch oben im Norden, kurz vor Dänemark und Nordpol, manches anders als andernorts. Möglicherweise sind die Menschen solidarischer, weil man das wird, wenn einem seit Generationen hin und wieder Haus und Hof, Frau und Vieh vom Meer weg gespült oder vom Sturm weg geblasen werden. Möglicherweise sind die Menschen toleranter, weil man das wird, wenn man seit Generationen zwischen Deutscher und Däne sein hin- und hergerissen wird. Ich kann es nur vermuten, denn ich weiss es nicht.
Was mir aber hier auffällt, ist die grosse Akzeptanz und Unterstützung von Flüchtlingen aus allen Herren Ländern. Grob überschlägig komme ich, wenn ich an Fortbildungsveranstaltungen, Erfahrungsaustausch und lokale Unterstützerrunden denke, auf eine annähernd vierstellige Zahl von ehrenamtlichen, freiwilligen, unbezahlten "Supportern". Das ist viel für einen dünn besiedelten Landkreis, aber manchmal etwas wenig, wenn man die Fläche von Nordfriesland bedenkt. Flüchtlinge werden nach einem bestimmten Schlüssel verteilt - und dann hocken sie hier oben unter Umständen in irgendeinem maroden Häuschen in einem abgelegenen Koog oder sogar auf einer Insel. Da ist Unterstützung nötig und wird gern gegeben und dankbar angenommen.
Die Herkunft und Motivation der Unterstützer ist ebenso bunt wie die derjenigen, die hierher geflohen sind. Neulich habe ich mal ein paar Leute gefragt, warum sie tun, was sie tun und die Gespräche mit ihnen aufgezeichnet.
Vor allem ältere Menschen erinnern sich noch sehr gut an die Zeit, als sie als Kinder oder Jugendliche gegen Ende des Krieges unter unglaublichen Strapazen und furchtbaren Erlebnissen aus dem Osten des untergehenden Dritten Reiches auf dem Seeweg in Schleswig-Holstein gelandet sind. Mit nichts als dem, was sie am Leibe trugen, traumatisiert, teilweise verletzt, ausgehungert kamen sie auf dem Seeweg, sofern sie nicht unterwegs in der eiskalten Ostsee ertranken. Stichwort "Wilhelm Gustloff" und viele andere Schiffe. Sie wollen etwas von dem zurück geben, was sie damals erfahren haben.
Dann gibt es nicht wenige religiöse Menschen, Muslime und Christen, die aus praktischer Nächstenliebe handeln. Schliesslich ist davon in den jeweils als heilig betrachteten Schriften dieser Aberglaubensclubs sehr oft die Rede. Wenn dem auch die Praxis folgt, dann kann es nur gut sein.
Es gibt auch so manche/n, die/der sich von Nachbarn, Freunden, Bekannten, Kollegen, Vereinsmitgliedern "anstecken" liess, etwas zu tun.
So haben wir eine bunte Mischung von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Ob es sich nun um Mitglieder von Kirchen- oder Moschee-Gemeinden handelt, um Parteimitglieder von CDU, SPD, FDP, Grüne, Linken oder SSW, um Gewerkschafter, Landfrauen, Pfadfinder, Sport- oder Heimatverein oder ganz "normale" unorganisierte BürgerInnen.
Das Alter ist ebenso bunt gemischt wie die Berufe. Es reicht vom Grundschüler bis hin zum Rentner, vom Unternehmer bis zum Arbeitslosen, vom Landwirt bis zum Akademiker.
Die Arbeit ist nicht einfach, manchmal anstrengend, manchmal frustrierend, manchmal sogar lustig - und eigentlich immer interessant. Da ist juristische Beratung erforderlich, ebenso Hilfe im Alltag, Behörden- und Arztbesuche sind zu begleiten, da sind amtliche Bescheide zu übersetzen und Einkaufstouren zu organisieren, da müssen Psychologen vermittelt werden oder Kinder betreut werden.
Und ja, es entstehen sogar Freundschaften, über Sprach- und Kulturbarrieren hinweg. Nicht immer, aber immer öfter. Natürlich gibt es auch schwarze Schafe in jeder Hautfarbe, Menschen, mit denen man weniger gut zurecht kommt, die Probleme mit einem haben oder die Probleme bereiten. Ganz so, wie es einem mit Eingeborenen auch geht.
"Ju muss wat eat, mien Jung. Ju are so a little Spiddelfips!" radebrecht die gestandene Landfrau auf den schlanken Eritreer ein und setzt ihm noch ein Stück Kuchen vor - und ein Stück Kuchen deckt hier oben locker den Wochenbedarf an Kalorien. "What is Spiddelfips?" fragt mich der junge Mann. "In the local language it means that you are a very thin man. Hilde said you have to eat more." "Hilde, Du schallst den Jung nich mästen. De is doch keen Farken." Seit diesem Intermezzo heisst der Mann im Dorf nur noch "Spiddelfips".
Natürlich gibt's auch die anderen Erlebnisse. Jungs aus Libyen haben den in ihrer Unterkunft stehenden Fernseher zu Geld gemacht, bzw. zu Shit und wollen mir und dem Sozialzentrum weismachen, dass der geklaut worden sei. Netter Versuch, aber auf Granit gebissen: "No new TV-Set!" Schön zu wissen, dass die Herren Wüstensöhne da auch nicht besser sind als Eingeborene. Solche haben vor vielen Jahren auch den Fernseher zu Drogen gemacht. Allerdings nicht ihren, sondern meinen, weil sie in unserer WG untergekommen waren.
Inzwischen treffen sich bei uns zu Hause in lockerer Runde Menschen aus Afghanistan, Albanien, Eritrea, Irak, Nigeria, Somalia, Syrien und Russland. Wir kochen und essen zusammen, wir reden und spielen miteinander. Kurz: Wir lernen voneinander und einander kennen.
Das kann schon mal zu Kulturschocks führen, wenn ein Mann aus Somalia plötzlich ein Geschirrhandtuch in der Hand hat und zu hören bekommt: "In Germany man have to do all the housework!" Oder wenn eine verfolgte Christin aus Nigeria plötzlich neben einem Muslim aus Syrien sitzt. Auch schön: Die Gesichter einiger, als meine älteste Tochter ihre Ehefrau vorstellte.