Disclaimer: Aufgrund der allgemeinen Trends der letzten Jahrzehnte bei 'Lesewilligkeit' fühle ich mich fast schon genötigt zu schreiben, auch oder gerade an stille Leser gerichtet: Wem das schon zu viel Text ist, der dann auch gerne das direkt unten stehende Zitat lesen und dann ganz zum Ende des Posts scrollen und mein Kernfazit lesen.
Wald schrieb:Die NATO ad acta legen, wäre schon seit vielen Jahren angebracht.
Wieso? Aus Sicht eines Pazifisten oder Putin-Unterstützers vielleicht. Für Letztere wohl unter der Prämisse, dass man leichteres Spiel hat, da eine (militärische) "Kernopposition" bzw. ein 'adversary' wegfällt. Und man mehr schalten und walten könnte, bzw. gewisse militärische Optionen einfacher oder überhaupt möglich wären, gegenüber gewissen Breitengraden.
Ich meine, lassen wir mal das einseitige (heißt, nur teils berechtigt) Bashing als "NATO Kriegsmaschine" aussen vor, ehe es genannt wird: Aus westlicher Sicht wäre es Unfug, die NATO loszuwerden. NATO Bündnismitglieder bestehen aus vielen kleineren bis größeren Staaten. Es ist ein Garant für gegenseitige Sicherheit. Mögen etwaige Auslandseinsätze, die mehrere NATO-Bündnispartner betreffen, nicht reibungslos oder lupenrein sein: Die defensive Komponente ist es meines Erachtens definitiv.
Es ist auch abstrakt tatsächlich etwas, das Kriege - zumindest konventionelle Kriege - zwischen Ländern reduzierte und reduziert. Sowohl nach innen und nach außen. Es gibt weniger "Großkriege". Man wird sich bei pol. Differenzen nicht militärisch die Köpfe einschlagen wenn man im gleichem Militärbündnis ist, oder in der gleichen politischen Union als anderes Beispiel. Zugleich wird man anderen nicht die Köpfe (so leicht) einschlagen, wenn deren Freunde dann alle ankommen und sie verteidigen - und einem ggf. dann danach die Hucke vollhauen.
Das Potential größerer Kriege besteht auf die ewige Zukunft gerechnet immer irgendwie - meines Erachtens haben wir aber (Kalter Krieg etwas ausgeklammert) nach dem 2.WK durch Neuordnung globaler Verhältnisse und durch die internationale Kooperation in vielen Bereichen aber etwas erreicht, dass friedensfördernd wirkte. Das ist auch etwas, dass getreu dem "Großen Filter" (bzw. "great filter", ich verweise auf die Suchmaschine) etwas ist, das nicht zu verachten ist - gerade unter der Prämisse von Massenvernichtungswaffen.
Nein, da steht nicht, dass alle Konflikte sowie Konfliktpotentiale negiert werden. Da steht, dass wir weniger Konflikte und Konfliktpotentiale erlebt haben und erleben. Vielleicht ist selbst der KK mit seiner bipolaren Weltordnung, wo sich zwei ideologische Blöcke gegenüberstanden, ein wenig Ausdruck davon, denn hätte es auf zumindest westlicher Seite keinen starken Einheitsblock (ob man ihn verdammen will oder nicht ist eher in dem Kontext irrelevant), so hätte es gut möglich sein können, dass nach dem 2. WK ein weiterer Konflikt begonnen hätte, wenn die Kommunisten nach dem Rest von Europa gegriffen hätten. Man kann das gerne anders rum auch betrachten, ich halte es aber für unwahrscheinlicher, dass "die Kapitalisten" oder "der Westen" nach Osteuropa gegiert hätte - die waren weniger ein "Hivemind" und bestanden aus vielen Akteuren, man hatte nach dem Krieg wohl eher andere Sorgen. Die Sowjets waren da einheitlicher, zentraler unterwegs. Vielleicht kein gänzlicher "Hive Mind" - aber definitiv näher dran, finde ich.
Da wir zudem den KK überlebt haben und nicht im worst of all cases den Planeten eingeäschert haben (und heute zudem zwischen Supermächten mit Nukleararsenal so etwas wie "mutually assured destruction", also frei übersetzt "sichere gegenseitige Zerstörung" haben) bin ich guter Dinge, dass wir noch viele Jahrzehnte relativen Frieden dieser Art bewahren können.
Ich schrieb bereits, dass auch große Kriegsgefahr immer besteht. Der Kalte Krieg trieb es ja auf die Spitze, beispielhaft. Rütteln wir an aber heute an der Balance der Dinge, so rückt das Potential so wie auch die Wahrscheinlichkeit von Kriegen wieder in den Vordergrund.
Da kann man abstrakt, global wie auch aus "westlicher Sicht" betrachtet kein Interesse dran haben.
Das kann man zum Beispiel mit ganz plakativen Fragen bekräftigen wie: "Was, wenn eine Regionalmacht imperialistische Züge entwickelt und nach Expansion auch unter Waffen strebt?" Nehmen wir einfach Russland als plakatives Beispiel. Ex-Sowjetstaaten "up for grabs", wie der Engländer sagen würde. Wollen diese oder andere Länder vielleicht gar nicht, historisch oder anderweitig bedingt, z.B. ideologisch. Könnten sie im Zweifel aber nichts gegen tun.
Wir können aber auch gerne ein "innerwestliches" Beispiel nehmen. Würde man die NATO abschaffen, könnte eine Verkettung von Ereignissen auch andere Bündnisse oder Unionen - etwa politischer Art - einknicken lassen. Es könnte fast auf ein Niveau des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts absacken. Ausschließen kann man es zumindest nicht. Folgt in kommenden Generationen dann noch ein teils radikaler politischer Wandel kann es gut sein, dass sich mittel- bis langfristig ehemals verbündete Länder die Köpfe wieder einschlagen, aus welchen auch imperialistischen Gründen auch immer.
Ausschließen kann man das nicht, wenn gemeinsame Interessen eigenen Interessen weichen, weil ... es viel weniger gemeinsame Interessen (und Absicherungen bzw. Garanten) gibt.
Lange Rede, kurzer Sinn...Das sind alles meine Gedankengänge dazu, die solche Gedanken - also NATO-Abschaffung - aus "westlicher Sicht" bzw. aus Sicht der NATO-Länder usw. als Unfug oder schweren Fehler deklarieren würden. Es würde wenig Sinn ergeben den kollektiven Schutzaspekt opfern zu wollen, wenn man Teil vom Bündnis ist bzw. irgendwo auch abstrakt als Bürger diesen Schutz genießt.
Aus Sicht etwa einer Person die ein großes Zarenreich will oder 'den Westen' als Feindbild sieht natürlich ein Dorn im Auge. Aber das kann mir ja egal sein, weil ich diesen Standpunkt nicht teile.
Ich weiß als Bürger, dass mir die unmittelbaren Nachbarn nicht die Köpfe einschlagen wollen, ich bzw. 'wir' jenen nicht und dass andere, die weiter weg sind, mir bzw. 'uns' auch erst mal nicht die Köpfe einschlagen werden, weil dann alle aufspringen und uns oder die jeweiligen betroffenen Länder verteidigen.
Durchaus dafür bin ich aber mittel- und langfristig, dass Europa (alle EU+NATO Mitglieder in Europa) den Arsch hoch kriegt und die Wehrfähigkeit markant ausbaut und im Kern auch nur dafür vorhält. Es ist bequem, hat aber Tücken maßgeblich vom Land hinterm Teich abhängig zu sein. Lokal gesehen zumindest. Das muss sich ändern, die quasi einseitige Lastenverteilung aufhören.
Das Bündnis wäre auch stärker, wenn die europäischen Länder die Wehrfähigkeit erhöhen und quasi Europa selbst eine Art 'Bollwerk' wird. Das kostet uns Geld, macht uns aber weniger abhängig, die Amerikaner könnten Truppen abziehen und Geld sparen, was im Idealfall in andere militärische oder bestenfalls zivile Bereiche gesteckt wird, von denen der amerikanische Bürger noch mehr profitiert. Soziales, was weiß ich.
Ich komme somit nun erneut zur Frage des Thread-Themas und meinem Kurzfazit:
Ein sichereres Europa ... am besten durch sich selbst - ohne NATO Austritt.