Ich habe gerade ein Interview im Tagesspiegel entdeckt, das ich sehr interessant finde.
Auch wenn man de These des Autors nicht vollkommen folgen will, ist das Diskussionsstoff.
Ich beschränke mich auf Passagen, in denen es um Trump geht.
US-Historiker Snyder im Interview
"Moskau hat den Präsidenten der USA ausgewählt"Der amerikanische Zeithistoriker Timothy Snyder spricht über die Ideologie Wladimir Putins, dessen Einfluss auf den Westen und die Bedeutung der Zeit.
Herr Snyder, in Ihrem neuen Buch "Der Weg in die Unfreiheit" schreiben Sie der Geschichte große Macht über die Politik zu. Inwiefern treibt die Geschichte gerade die Gegenwart?
...Unser Geschichtsverständnis geht der Politik voraus. Wir leben damit und darin, ohne es zu bemerken. Das ist bei wirkmächtigen Ideen immer so: Wir halten sie für selbstverständlich, aber sie verändern trotzdem die Art und Weise, wie wir die Welt sehen. In meinem Buch versuche ich, unser Geschichtsverständnis sichtbar zu machen. Ich glaube, das hilft zu verstehen, warum im Moment alles so seltsam, so unheimlich wirkt: Wir wechseln gerade von einem Verständnis von Zeit zu einem anderen.
Die Politik der Unvermeidbarkeit betrachtet die Geschichte als etwas, dass linear von der Vergangenheit zur Zukunft verläuft. Es ist eine deterministische Sichtweise.
Die Zukunft wird demnach so sein wie die Gegenwart – nur besser. In den USA sieht dieser Glaube so aus: Die Geschichte ist vorbei, die Demokratie ist für immer etabliert. Es gibt keine Alternativen, der Markt setzt die Demokratie um und schafft immer bessere Lebensbedingungen für alle. In Wahrheit ist dieses Geschichtsverständnis aber schlecht für die Demokratie. Wenn wir denken, alles wird gut, egal, was wir tun, fehlt ein Sinn für Verantwortung. Irgendwann hören die Leute außerdem auf, die Geschichte von der automatisch besseren Zukunft zu glauben. Dann gibt es oft einen Wechsel zu dem, was ich die "Politik der Ewigkeit" nenne.
Was verstehen Sie darunter?Die Politik der Ewigkeit stellt sich die Zeit nicht als zukunftsgerichtet und linear vor, sondern als einen Kreis, der immer wieder zur Vergangenheit aufschließt.
Donald Trumps Slogan zum Beispiel heißt "Make America Great Again", again (wieder).Der Referenzpunkt ist ein imaginiertes Ideal in der Vergangenheit. In dieser Sichtweise ist die Zukunft nicht vorhersagbar, wie in der Politik der Unvermeidbarkeit, sondern sie verschwindet einfach völlig. Auch das ist schlecht für die Demokratie, denn sie basiert darauf, aus Fehlern zu lernen und Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.
Was macht die Geschichte so wirkmächtig? Warum nutzen Politiker wie Trump oder Putin nicht nach vorn gewandte, utopische Narrative, um ihre Politik zu begründen?
Das Interessante am 21. im Vergleich zum 20. Jahrhundert ist, dass wir keine Zukunft mehr haben. Vor 100 Jahren gab es leninistische und faschistische Utopien. Die Menschen hingen der Idee an, dass die Zukunft sich von der Gegenwart stark unterscheiden würde. Heute ist der Leninismus tot. Der Faschismus ist noch nicht ganz tot, aber die heutigen Faschisten haben nur sehr wenige Ideen. Im 20. Jahrhundert existierte faschistische Kunst, Architektur, Musik. Heute starren die Faschisten den ganzen Tag ins Internet und schreiben immer wieder dasselbe. Es gibt sehr unterschiedliche Wege, mit dieser Zukunftslosigkeit umzugehen. Ein Weg ist die Politik der Unvermeidbarkeit. Sie sagt, gut, wir haben keine große Erzählung mehr, also sagen wir einfach: Die Zukunft ist wie die Gegenwart, nur von allem etwas mehr. Die heutige Rechte hingegen sagt: Wir reden einfach gar nicht über die Zukunft. Wir halten uns stattdessen an der Idee fest, dass wir Opfer sind.
Wessen Opfer?Donald Trump sieht Amerika als Opfer der Globalisierung, Putin sieht Russland als Opfer des Westens – das Prinzip ist das gleiche. Vertreter der „Politik der Ewigkeit“, sehen sich als Opfer, weil es in ihrer Sichtweise keine Zukunft gibt, die sie beeinflussen können. Es gibt zum Beispiel einen stärker werdenden Widerstand gegen die Globalisierung – scheinbar ohne dass es eine Alternative dazu gibt. Beschreibt man sich als Opfer, muss man dann auch gar nicht über die Zukunft sprechen. Das ist eine der größten Gefahren für die liberale Demokratie weltweit.
Ein Opfer zu sein, ist doch aber demütigend. Warum empfinden manche Menschen das als attraktives politisches Konzept?
Man gibt die Verantwortung für den Status quo ab.
Donald Trumps Position zum Beispiel lautet: Ich bin zwar der Präsident des mächtigsten Landes der Erde, trotzdem bin ich jeden Tag ein Opfer, weil mich die Medien kritisieren. Und weil ich ein Opfer bin, ist alles, was ich tue, gerechtfertigt. ...
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Gibt es einen dritten Weg zwischen der Politik der Unvermeidbarkeit und der Politik der Ewigkeit?Die Alternative ist eine Politik der Verantwortung, die in längeren Zusammenhängen denkt. Wenn wir zu sehr in der Gegenwart gefangen sind, können wir nicht einmal fünf oder zehn Jahre vorausdenken. Dazu müssen wir aber fähig sein. Sonst verlieren wir die Zukunft. Dafür braucht man auch ein Bewusstsein von Zeit und Geschichte. Es war ein Fehler, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ein „Ende der Geschichte“ auszurufen. Geschichte ist eine Form des politischen Denkens.
https://www.tagesspiegel.de/politik/us-historiker-snyder-im-interview-moskau-hat-den-praesidenten-der-usa-ausgewaehlt/23238252.html