Passt ziemlich gut zu meiner Einschätzung:
Wie die Physikerin Merkel zur Metaphysikerin wurde
Gibt es den Plan B?
Gegenwärtig sieht nichts danach aus, dass die Physikerin die Dinge "vom Ende her" betrachtet. Seit Monaten besteht das politische Konzept der Krisenbewältigung aus Hoffen und Harren, was bekanntlich manchen zum Narren macht. Nicht die auch der Physik zugrunde liegenden Grundrechenarten bilden hier die Basis politischer Entscheidungen, sondern das Wunschdenken.
Die Politik ist den Schritt von der Physik zur Metaphysik gegangen.Dabei sind die an den Entscheidungsprozessen Beteiligten trotz ihrer faktischen Statistenrolle zuweilen durchaus klarsichtig. So beantwortete Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine Frage der "Welt am Sonntag" (13.12.2015) wie folgt: "So leicht sollten wir die Errungenschaften von Schengen nicht aufgeben. Aber der Schengenraum kann ohne Grenzkontrollen dauerhaft nicht weiterbestehen, wenn der Schutz der Außengrenzen nicht funktioniert. Die Sicherung der Außengrenzen und die Verhandlungen mit der Türkei haben zeitlich und inhaltlich Vorrang."
Das alles klingt in der Abfolge von Konditionen und daraus folgenden Handlungsoptionen logisch – und nach einem Plan B. Den aber weist der Flüchtlingskoordinator im Kanzleramt mit Abscheu zurück. Peter Altmaier deutet in seinen Redeschwällen stattdessen auf alles und jedes und zugleich das Gegenteil davon hin.
Er setzt auf eine wundersame Verringerung der Flüchtlingszahlen durch das im Frühling bekanntlich deutlich schlechter werdende Wetter in der Ägäis, eine vom Himmel fallende Sicherung der Außengrenzen; die göttliche Eingebung von drei Milliarden Euro aus EU-Töpfen an die Türkei, die daraufhin den Deutschen die Last abnimmt; einen globalen Friedensengel, der den Syrienkrieg beendet; europäische Partnerländer, die den Deutschen die durch ihre sperrangelweit geöffneten Grenzen eingewanderten Flüchtlinge und Migranten abnehmen – sowie deutsche Behörden, die all jene schnurstracks in die Heimatländer zurücktransportieren, die keinen Anspruch auf Asyl oder Bleiberecht haben.
Nur keine eigenen Maßnahmen bitte, die schlechte Bilder liefern könnten – wenn sie dann später in Köln und anderswo doch entstehen, sind andere schuld.
Zugleich werden Altmaier und andere Regierungssprechmaschinen nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Grenzkontrollen nur mit Mauer und Stacheldraht à la Honecker möglich sind, wodurch jedes europäische Wirtschaftsleben, jede Freizügigkeit erstickt würde. So scheitert Europa mal wieder: erst am gescheiterten Euro, dann am gescheiterten Schengen.
Man hört nicht auf seine Sicherheitsbehörden, lehnt Einsatzpläne der Bundespolizei ab und wünscht sich eine umgehende Integration der eingereisten Million. Dass etwa die Hälfte aller bei der Behörde für Migration und Flüchtlinge Registrierten keinen Anspruch auf ein Bleiberecht hat, wird unterschlagen. Irgendwie werden sie sich in Luft auflösen. Oder man pocht auf die zunehmende Zahl der Abschiebungen – die genauer betrachtet im Monat geringer sein dürfte als gelegentlich neue Flüchtlinge am Tag dazukommen.
Es ist eine wunderliche Art virtueller Politik, die zu beobachten ist. Doch die Realität lässt sich auf Dauer nicht ausblenden. Auch nicht hinter den Betonmauern des Kanzleramts.
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article151371642/Wie-die-Physikerin-Merkel-zur-Metaphysikerin-wurde.html