Deepthroat23 schrieb:Warum beschädigt das Abschaffen der EU unsere Demokratie?
Kannst du das mel näher ausführen?
Berechtigte Frage. Wenn Bayern seine Grenzen zumacht, sich von der BRD trennt und sich wieder zum voll souveränen Freistaat erklärt, profitiert Bayern sogar davon, weil dann die Ausgleichszahlungen mit ärmeren Bundesländern wegfallen. Vielleicht bist du ein so glühender bayerischer Patriot, dass du das sogar ganz gut fändest. Möglicherweise aber doch nicht, wenn du zur Ausreise nach Europa ständig ein Visum brauchst und deinen bayerischen Reisepass vorzeigen musst, und sollte der Fall passieren, dass man den für gefälscht halten könnte, müsstest du vor Experten sogar den bayerischen Sprachtest machen um herauszufinden, ob du tatsächlich Bayer bist oder nicht vielleicht verkappter Preuße. Insgesamt würde das Leben für dich also wohl nicht einfacher, allenfalls innenpolitisch würdest du dich mehr bestätigt fühlen, zumal das Oktoberfest außer ein paar ausgesuchten und geladenen ausländischen Gästen wie zB der deutschen Bundeskanzlerin endlich wieder ein rein bayerisches Volksfest wäre. Der FC Bayern würde die nationale Bayernliga derart über beherrschen, dass auch nach Jahrzehnten noch kein Spiel verloren gegangen wäre.
Die Idee Europa entstand kurz nach dem letzten Weltkrieg, um eine ähnliches Fiasko wie die beiden von Deutschland angezettelten Weltkriege nie wieder möglich zu machen. Europa sollte zu einem friedlichen Kontinent werden, von dem nie wieder Krieg und Unterdrückung ausgehen würde. Endziel wäre ein Staatenbund oder vielleicht sogar ein föderaler Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Europa. Allein die Größe, die Vielfalt der Völker, Sprachen und Kulturen würden Europa zu einem einmaligen multikulturellen und demokratischen Staatswesen machen.
Um dahin zu kommen und den Traum Realität werden zu lassen, wollte man Europa Schritt für Schritt aufbauen und dabei Deutschland so gut einbinden, dass von ihm nie wieder Aggression ausgehen würde. Zunächst ein Kerneuropa in Form einer Wirtschaftsgemeinschaft, und dann nach und nach eine Erweiterung und gleichzeitig Vertiefung. Vertiefung stellte man sich vor als politisches, parlamentarisches, administratives, verfassungsmäßiges und kulturelles Zusammenwachsen der Länder und Völker. Dessen Apparate waren der europäische Rat, die europäische Kommission, das Europaparlament und der eurpäische Gerichtshof.
Expansiv und wirtschaftlich ging es eilig voran. Leider blieb das poltische, parlamentarische und kulturelle Zusammenwachsen mehr oder weniger auf der Strecke. Im Schengen-Abkommen wurden zwar die Grenzen vorübergehend geöffnet und man konnte ohne Passkontrolle von Lissabon bis Warschau fahren. Aber die meisten Staaten hatten es nicht einmal für nötig gehalten, über die Mitgliedschaft in der EU das Volk zu befragen, ebensowenig wie für die Mitgliedschaft in der Währungsunion. Bald schon wuste man, dass Joschka Fischers Traum von den Vereinigten Staaten von Europa, das seine nationalen Souveränitäten überwunden und zu einer Europa-Souveränität verschmolzen hätte, ein Traum bleiben würde, denn aufgrund der weiterhin vorherrschenden nationalen Egoismen würde es nie so weit kommen.
Der demokratische Traum von einem souveränen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Europa, das seine Nationalismen endlich überwunden und seine Identität nicht mehr in der nationalen Staatszugehörigkeit, sondern in der europäischen Staatszugehörigkeit gefunden hätte, blieb ein Traum. Und wie jeder Traum ist er zeitlich begrenzt und wenn man wach wird, stellt man fest, dass man immer noch der alte kleine Egoist ist und nicht der altruistische neue Mensch, als den man sich selbst geträumt hat.
Demokratie ist aus meinem Verständnis nicht eine rein nationale Angelegenheit und kann die guten Zeiten zwar easy, die schlechten Ziten aber nur sehr bedingt, echte Krisenzeiten vielleicht überhaupt nicht überleben und zerbricht an äußeren, vor allem aber inneren Konflikten. Mir ist ein Franzose aus Bordeaux oder ein Spanier aus Sevilla, mit dem ich mich politisch, weltanschaulich und kulturell, etwa bezogen auf gemeinsame Interessen wie Fußball und Musik, lieber als ein Pegidasiast aus Dresden, dessen liebste Freizeitbeschäftigung darin besteht, nationalsozialistische Parolen rauszugrölen, mit ihnen das Internet zu verspammen und Ausländer zu klatschen.
Wenn in Krisenzeiten wie jetzt der innere Frieden fadenscheinig wird und zu zerreißen droht und mehr oder weniger laut darüber nachgedacht wird – so wie in den Posts hier von gestern Abend – Teile des Grundgesetzes zur Disposition zu stellen, weil man sich mit der "Asylantenflut" als Staat überfordert fühlt, obwohl man nach dem Krieg locker bereit war und es auch schaffte mehr als 10 Mio. Flüchtlinge aufzunehmen, das auch noch in wirtschaftlich alles andere als rosigen Zeiten, erkennt man die doppelte Gefahr und Herausforderung: Man ist eventuell sogar bereit, mit Teilen des Grundgesetzes auch Teile der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie aufzugeben, und zwar nicht aus Not, sondern aus finanziellen Gründen, und man ist gleichzeitig bereit, die Idee Europa auf dem Scheiterhaufen der Enttäuschungen aufzugeben und zu verbrennen, weil "diese Idioten uns im Regen stehen lassen und nicht einmal bereit sind kleinere Kontingente zu übernehmen und uns damit die Last abzunehmen" und dabei zu riskieren, dass hier noch bürtgerkriegsähnliche Zustände ausbrechen, wenn es mal 3, 4 oder gar 5 Millionen Flüchtlinge werden sollten.
Sind wir also bereit, die Demokratie aufzugeben für ökonomische Sicherheit und Wohlstand? Ich fürchte ja. Wir lebten also nicht in einer wirklichen, sondern in einer Schönwetterdemokratie. Beim ersten richtigen Unwetter zerbröselt sie wie Blätterteig.
Und nein, das find ich alles andere als lustig.
Zu deinen weiteren Fragen: Ich weiß nicht, warum du mich einen Kommunisten nennst, aber ich muss dir leider bei allen Fragen recht geben, denn es sind auch meine Fragen.
Punkt 2 deiner Grundgesetzänderung werde ich allerdings nicht unterschreiben, weil sie willkürlich und einschneidend ist.
Aber Pegida ist keine Lösung, sondern ein Rückfall in nationalistische Zustände, die wir hoffentlich alle nie wieder wollen. Sonst müsste ich als alter Mann hier noch auswandern. Naja, finanziell könnte ich es vielleicht mit Teneriffa versuchen, da ist es für einen Einheimischen viel billiger und auch das Wetter ist viel schöner als hier. Schließlich bin ich Europäer und kann einigermaßen alle süd- und westeuropäischen Sprachen. Von daher kein Problem.