Brexit und danach?

Nachdem der Guardian/Observer bereits vor einem Jahr dunkle Machenschaften mit fake news und russischen Hintermännern aufgedeckt hat, geraten Facebook und Cambridge Analytica jetzt immer mehr in Verruf. Die Facebook-Aktie fiel um 50 Mrd Dollar. Bei der Anhörung im britischen Parlament im Zusammenhang mit der Beeinflussung des Brexit-Votums schloss der Geschäftsführer Nix nur für die Gegenwart eine Verwendung von Facebook-Daten aus (diese waren zuvor gelöscht worden). Der Finanzier von Leave.EU, Aaron Banks, hatte die Zusammenarbeit zuvor bestätigt.

http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/cambridge-analytica-das-steckt-hinter-der-datenanalyse-firma-a-1198962.html

Zuletzt kam Nix von Cambrdige Analytica auch deswegen in Kritik, da er gegenüber einem Team investigativer Journalisten von Channel 4 vor der Kamera ausgesagt hat, dass er Konkurrenzpolitiker durch Bestechungsversuche und den Einsatz ukrainischer Sexarbeiterinnen kalt zu stellen gedenkt.

Hinweis: Cambridge Analytica ist verschieden von der von Boris Johnson und Michael Gove in Anspruch genommenen AggregateIQ, die ebenfalls die Flutung sozialer Netzwerke mit fake news zum Ziel hatte.

Beitrag von Anaximander (Seite 243)

Der neue blaue britische Reisepass (wir erinnern uns, dass die Einführung des burgundfarbenen auf Thatcher zurückgeht und mit der EU nichts zu tun hat) wird jetzt nicht mehr von einer britischen Firma gedruckt, sondern von einer französisch-holländischen. Als Grund dafür wird der durch den Brexit eingebrochene Pfundkurs genannt.

https://www.theguardian.com/politics/2018/mar/22/contract-to-print-uk-passports-abroad-will-save-120m

Ende des vergangenen Jahres hatte Theresa May die Einführung des neuen Reisepasses als starkes Symbol der durch den Brexit wiedergewonnen Souveränität und Freiheit von der EU bewertet.

Anaximander schrieb:Ende des vergangenen Jahres hatte Theresa May die Einführung des neuen Reisepasses als starkes Symbol der durch den Brexit wiedergewonnen Souveränität und Freiheit von der EU bewertet.

Naja GB hat einen 10 Jahresverrtrag mit den Franzosen .. auch andere nicht EU Staaten lassen da drucken.
Jetzt zivile Verträge aus Nationalstolz aufkündigen sähe noch viel schlechter aus.

Aber imprizip ist das ein Argument gegen die Globalisierung und EU.. wenn du deine Pässe aus Kostengründen nicht mal selber druckst.

Wo kommen eigentlich die Deutschen Pässe her ?

@subgenius

Wo kommen denn die 10 Jahre her? Dem Artikel entnehme ich, dass bisher das britische Unternehmen De La Rue (auch wenn das nicht besonders britisch klingt) die Pässe gedruckt hat.

Kann ich nicht sagen, ich find meine Quelle von heute morgen nicht mehr :(

Der 10-Jahres-Vertrag bezog sich auf den bisherigen EU-Pass, der von der britischen De La Rue produziert wurde:

The post-Brexit passport is likely to be made by Franco-Dutch group Gemalto, after the UK company’s existing 10-year contract, worth around £400m, expires in July 2019.

https://www.independent.co.uk/news/business/news/brexit-british-blue-passport-de-la-rue-share-price-french-company-a8268051.html

Im Datenskandal um Facebook/Cambridge Analytica hat jetzt eine Whistleblowerin, die bis zuletzt eine Führungsposition in Cambridge Analytica innehatte, ausgepackt und den vagen Aussagen von Geschäftsführer Nix widersprochen: Cambridge Analytica hat sowohl mit Leave.EU als auch mit Ukip kollaboriert, um Nutzerdaten zu analysieren und auszunutzen. Anschließend wurde beschlossen, die Vorgänge zu vertuschen.

Die Untersuchungen der britischen Electoral Commission in die Vorgänge dauern an.

https://www.theguardian.com/news/2018/mar/23/cambridge-analytica-misled-mps-over-work-for-leave-eu-says-ex-director-brittany-kaiser

Warum überrascht mich das jetzt nicht?

Bei der Untersuchung der Wahlkommission geht es wohl um die Veruntreuung von Spendengeldern. Auch die Geschäftsräume von Cambridge Analytica wurden per Durchsuchungsbefehl untersucht.

In den weiteren Brexit-News wurde die Leitlinien für die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen gestern beschlossen, man darf vermuten, das letztliche Framework wird ähnlich ausfallen:

The leaders of 27 member states endorsed seven pages of guidelines for a future deal with the UK at a summit in Brussels on Friday morning within “30 seconds”, EU diplomats said. It includes zero tariffs on goods, reciprocal access to fishing waters and cooperation in defence and foreign affairs.

Allem Anschein nach wird das Freihandelsabkommen also nur Zollfreiheit von Gütern, aber ohne hürdenfreien Zugang zu Märkten beinhalten - dies ist im Interesse des UK, vor allem aber im Interesse der EU, für die das UK immerhin ein wichtiger Exportpartner für Güter ist - für Dienstleistungen, schon gar nicht für Finanzdienstleistungen, sind wohl keine Vergünstigungen vorgesehen - dies würde das UK hart treffen. Ebenso wird in der Fischerei letztlich maximal der status quo für das UK angestrebt - dabei war dies ein wichtiger, auch emotionaler Faktor für den Brexit - zuletzt hat Nigel Fararsch demonstrativ ein paar vergammelte Fische von der Themse aus in Richtung Westminster geworfen, um deutlich zu machen, dass er das britische Nachgeben in dieser Frage als Verrat bewertet.

Alles natürlich abhängig von der Nordirland-Frage, also einem Verbleib in Zollunion und Gemeinsamen Markt, wobei die Frage bleibt, ob Theresa May einen Sonderstatus durchsetzen kann, oder sich dies auf das Gesamt-UK bezieht (sie hat sich bereits schriftlich darauf verpflichtet).

Fragen der Verteidigung und Außenpolitik sollen dagegen getrennt verhandelt werden, da Theresa May hierin ihre Trumpfkarte sieht.

Die Übergangsperiode bis Ende 2020 wird außerdem wahrscheinlich nicht ausreichen, es ist daher zu erwarten, dass mit der neuen Haushaltsperiode ab 2021 gleich mal die Beiträge für die Briten deutlich erhöht werden (und der Britenrabatt fällt weg, das UK kann hier ja nicht mehr mitentscheiden):

However, Philippe Lamberts, a Belgian MEP who co-leads the Green group, voiced scepticism shared by some European diplomats in private. “Who can believe that within 21 months you can complete and then ratify a full association agreement,” he told the Guardian. “That is impossible.”

Lamberts said he expected the EU to make provision in the withdrawal agreement to extend the transition, but “they want to extract a price for that concession”.

https://www.theguardian.com/politics/2018/mar/23/eu-approval-of-brexit-blueprint-comes-with-irish-border-warning

Neue Details aus dem Datenskandal sind jetzt ans Licht gekommen.

In der Öffentlichkeit erschienen die Kampganen von Nigel Fararsch (Leave.EU) und die offizielle von Borat Johnson und Michael Gove (unterstützt von der DUP), Vote Leave sowie die Unterabteilung BeLeave, völlig unabhängig voneinander zu agieren. Vote Leave und BeLeave investierten dabei überwiegend in AggretateIQ, um soziale Medien mit fake news zu fluten und beeinflussbare Wähler zu identifizieren, die desinformiert werden sollten. Wahrscheinlich wurden dabei in krimineller Weise Regelungen für Wahlkampfspenden missachtet.

Jetzt liegen dem Observer Insider-Informationen, einschließlich Schriftverkehrs, vor, dass AggregateIQ in Wahrheit der kanadische Ableger von Cambridge Analytica gewesen ist. AggregateIQ hatte zu der Zeit keine eigene Internetpräsenz oder war sonstwie für die Öffentlichkeit erreichbar als über SCL Elections Limited, deren Vorstand Alexander Nix (Geschäftsführer von Cambridge Analytica) ist. Es wurde sowohl die gleiche Software als auch die gleichen Daten zugrundegelegt. Schon zuvor war bekannt geworden, dass von dort aus weitere Verbindungen bestehen etwa zur russischen Mafia, zu Trump, und zu den rechtspopulistischen Breitbart News ( Beitrag von Anaximander (Seite 215) )

https://www.theguardian.com/uk-news/2018/mar/24/aggregateiq-data-firm-link-raises-leave-group-questions

Es wird allgemein angenommen, dass ohne AggregateIQ/Cambridge Analytica das Referendum nie für den Brexit ausgegangen wäre.

Ein weiterer Whistleblower meldet sich im Datenskandal zu Wort. Vote Leave (Borat Johnson und Michael Gove) hatte bereits zwei Wochen vor dem Referendum das gesetzlich erlaubte Spendenvolumen von 7 Mio Pfund ausgeschöpft. Zu der Zeit sahen die Prognosen eine Niederlage und Votum für die EU voraus. Anschließend hat Vote Leave die unerfahrene Studentengruppe BeLeave ausgenutzt und ihnen fast 1Mio Pfund zugeschanzt. Die Gruppe hat das Geld allerdings nie bekommen, das vielmehr direkt an AggregateIQ ging und von Vote Leave kontrolliert wurde. Neben BeLeave haben noch weitere Gruppen Gelder von Vote Leave bekommen, die ebenfalls an AggregateIQ gingen. Damit ist es gelungen, beeinflussbare Wähler zu identifizieren und mit fake news zu beeinflussen. Diese Spendenaffäre hat maßgeblich zum Sieg der Brexiteers beigetragen:

He’s also been very specific about the pivotal role played by AIQ. The firm’s website featured a quote from Cummings about Brexit: “We couldn’t have done it without them.” This was removed from the site this week. AIQ told the Observer that “the services it provided to Vote Leave were in accordance with instructions given by Vote Leave”, and “the services provided to BeLeave were in accordance given by BeLeave”.

The final weeks of the Brexit campaign were the most crucial. On his blog, Cummings says they code-named the period “Waterloo” and ramped up its spending, bombarding the small sliver of people it had identified as “persuadable” with every kind of ad. And it worked. Cummings’s campaign was a triumph. It had overcome all the odds. There’s no doubt that he won the war of the internet.

Anschließend wurden die Studenten mit Anwälten unter Druck gesetzt, den Vorgang zu verheimlichen, als Zweifel über die Unabhängigkeit von BeLeave und den anderen Gruppen zu Vote Leave aufkamen. Sie wurden auch dazu gedrängt, belastendes Datenmaterial zu löschen.

https://www.theguardian.com/uk-news/2018/mar/24/brexit-whistleblower-shahmir-sanni-interview-vote-leave-cambridge-analytica

BoJo (der wegen nachgewiesener Lügen zuvor mehrfach seine Arbeitsstelle als Journalist verloren hat) verteidigt sich, indem er die Vorwürfe "völlig albern" nennt.

Der Staatsbeamte, der im Brexit Department die Aufgabe hatte, eine Lösung für die Grenzfrage in Nordirland auszuarbeiten, hat seinen Job jetzt hingeschmissen. Er hat jetzt eine neue Aufgabe als Privatsekretär von Prinz William übernommen.

https://www.theguardian.com/politics/2018/mar/26/simon-case-brexit-irish-border-prince-william-private-secretary

Britische Abgeordnete (MPs) werden morgen beraten, ob die neuen Anschuldigungen zu einer weiteren Untersuchung in die Aktivitäten von Vote Leave führen werden. Anwälte sind der Meinung, dass ein case vorliegt. Es geht dabei nicht um fake news als solche, sondern um die Deklarierung von Wahlkampfspenden bzw. um die Frage, ob zwischen Vote Leave, BeLeave und weiteren Gruppen eine Koordination vorlag.

https://www.theguardian.com/politics/2018/mar/26/vote-leave-members-may-have-committed-criminal-offences

Stephen Parkinson, der heute Regierungsberater von Theresa May ist, hat bei der Koordinierung der Gruppen eine wichtige Rolle gespielt. Er wirft jetzt dem Whistleblower von BeLeave, Shahmir Sanni vor, dass dieser aus niederen Motiven, nämlich aufgrund der beendeten Beziehung zwischen beiden, an die Presse gegangen ist. In Wirklichkeit sei die finanzielle Beratung nur im Zusammenhang der romantischen Beziehung erfolgt. Dieses öffentliche Outing durch einen Mitarbeiter der britischen Regierung stellt für Sanni ein Problem dar, da er aus Pakistan stammt, seine Familie bislang nichts über seine sexuelle Orientierung wusste und die verbleibende Familie in Pakistan, wo Homosexualität verboten ist, in Gefahr ist. Man kann vermuten, dass das öffentliche Outing somit als Racheaktion erfolgte. Theresa May hält an Parkinson als Berater fest.

https://www.theguardian.com/commentisfree/2018/mar/26/being-outed-by-downing-street-is-breathtakingly-wrong

Die heutige Anhörung von Wylie, dem Whistleblower von Cambridge Analytica im House of Commons, hat zu folgenden Ergebnissen geführt (die zuvor von namhaften Zeitungen, wie Guardian, Channel 4 News, New York Times usw. verifiziert wurden):

- sein Vorgänger wurde in Kenya vergiftet in einem Hotel aufgefunden worden, nachdem ein Auftrag misslungen ist. Allerdings erst nach 24 Stunden, da die Polizei bestochen wurde
- die Muttergesellschaft SCL Elections Lmtd hatte zuvor einen Auftrag in Nigeria, bei dem private Daten (medizinische Details und privater Schriftverkehr) des Präsidentschaftskandidaten gehacked wurden. Anschließend wurden im Internet Bilder verbreitet von Menschen, die zerstückelt oder lebendig verbrannt wurden, um Wähler zu verunsichern und zu beeinflussen.
- Einige der damaligen Mitarbeiter in Nigeria arbeiten jetzt für die britsche Regierung.
- Hacking zählt zu den üblichen Arbeitsvorgängen
- Cambridge Analytica und AggregateIQ haben die ihnen vorliegenden Daten untereinander geteilt, darunter auch Facebook-Daten, aber wohl auch Daten der Versicherungsgesellschaft von Aaron Banks (Eldon Insurance).
- Vote Leave, BeLeave, die DUP und Veterans for Britain haben eng zusammen gearbeitet, sie waren teilweise im gleichen Gebäude. Die Studenten von BeLeave haben ihre Anweisungen direkt von Vote Leave bekommen und wurden anschließend von Anwälten eingeschüchtert.
- AggregateIQ hat auf 5-7 Mio Wähler Einfluss genommen, die zuvor als beeinflussbar identifiziert worden. Die "Konversionsrate" liegt bei 5%, damit hat die Kampagne den Ausschlag für den Ausgang des Referendums gegeben. Dazu gehören Personen, die an Verschwörungstheorien glauben, und sich wundern,warum der "online content" nicht in den "mainstream media" gezeigt wird.
- er selbst wurde vor allem von Facebook unter Druck gesetzt, keine Angaben zu machen.
- Cambridge Analytica hat über das gesetztlich erlaubte Budget von Vote Leave hinaus indirekt noch weitere Zuwendungen bekommen.
- Cambridge Analytica arbeitet auch mit Unternehmen zusammen, die dem russischen Geheimdienst nahe stehen.
- Mark Zuckerberg will sich nicht äußern.

https://www.theguardian.com/politics/blog/live/2018/mar/27/tony-blair-tells-tories-to-block-brexit-if-they-want-to-avoid-corbyn-government-politics-live

Die Zahl der von Cambridge Analytica ausspionierten Facebook-Nutzer erhöht sich um 30 Mio auf 87 Mio:

https://www.theguardian.com/technology/2018/apr/04/facebook-cambridge-analytica-user-data-latest-more-than-thought

Jaguar Landrover streicht aufgrund des Brexit 1000 Stellen in den Midlands. Im vergangenen Jahr sind die Autoverkäufe im UK aufgrund des Referendums, des Falls im Pfundkurs und den verteuerten Exporten, um 10% gefallen, während sie in Europa gestiegen sind.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/jaguar-land-rover-streicht-1000-jobs-in-england-als-brexit-folge-a-1202833.html

Die Verkäufe von JLR im UK sind in Folge des Brexit sogar um 26% gefallen.

https://www.theguardian.com/business/2018/apr/13/jaguar-land-rover-to-announce-1000-job-cuts-next-week

Theresa Mayhem hat eine wichtige Abstimmung im House of Lords verloren: mit klarer Mehrheit votierten die Lords für eine Ergänzung zum EU-Austrittsgesetz, wonach sie Optionen darlegen muss, dass das UK auch nach dem Austritt noch in der Zollunion verbleibt, womit auch die Nordirland-Frage geklärt wäre.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/theresa-may-erleidet-brexit-niederlage-im-oberhaus-a-1203638.html

Wir wohl keinen richtigen Brexit geben.

Das Unterhaus kann das aber wieder kippen.
Die Frage ist nur, ob May da eine Abstimmung riskieren wird.

@sigbert

Im Unterhaus gibt es allerdings auch keine Mehrheit für ein Verlassen der Zollunion. Und schon gar nicht einen machbaren Vorschlag für Nordirland.

Exit vom Brexit auf Raten.