Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass sehr viele Muslime ein Gewaltproblem haben. Dementsprechend sitzt die Messlatte sehr tief, extreme Taten fallen viel heftiger aus. All die positiven Aussagen, die man aus dem Koran bezüglich eines Menschenlebens ableitet, sind nichts als leere Lippenbekenntnisse. Zitate, die man herauskramen kann bei Bedarf. Sie sind auf dem Papier vorhanden, gelebt werden sie nicht. In den muslimischen Ländern sterben jeden Tag Menschen auf tragischste Weise. Ich meine damit nicht die Verluste durch westliche Bomben, sondern durch Gewalt, die sich die Menschen gegenseitig antun. Durch Arbeitsunfälle, die einfach so hingenommen werden, für die keiner zur Verantwortung gezogen wird.
Durch die Hand des Bruders, weil irgendein Ehrgefühl verletzt wurde oder wegen einer anderen banalen Nichtigkeit.
Keines dieser eben genannten Umstände bringt die Muslime auf die Palme, es finden keine Demonstrationen statt. Es geht kein Aufschrei durch die muslimischen Gesellschaften. Da ist ein Ungläubiger, der enthauptet wird, nicht der Rede wert. Muslime können sich auch nicht mehrheitlich gegen die Tat des Terroristen aussprechen, weil für die meisten die Blasphemie, erzeugt durch die Karikaturen, wahrscheinlich schwerer wiegt.
Meiner Meinung nach liegt das Problem nicht nur bei den Extremisten. Das Problem betrifft alle Muslime in allen Gesellschaften. Die Muslime können sich nicht neu definieren, der Glaube kann durch die statische Haltung nicht aufleben. Er verrottet immer mehr. Es geht immer nur um die Bedürfnisse von Gott oder dem Propheten. Die Bedürfnisse des Menschen sind nichts. Dabei ist es der Mensch, der den Glauben braucht. Deshalb kann ich Macron beipflichten, wenn er sagt, dass der Islam in der Krise ist. Nur hat diese Krise das Potenzial uns alle in den Abgrund zu reißen.
Viele machen sich die Mühe um differenzierter an die Sache ranzugehen. Das ist an sich auch richtig, aber nicht in jedem Punkt ist alles eindeutig voneinander trennbar. Es ist eben nicht nur der Salafist ein Anhänger des islamischen Gottesstaates. Sie sind radikaler in ihren Ansichten und öffentlichkeitswirksamer. Die meisten gläubigen und praktizierenden Muslime werden aber mindestens Probleme damit haben sich gegen einen Gottesstaat auszusprechen. Insbesondere in Zeiten wie diesen, wo konservative Werte erneut unter den Menschen verbreitet werden.
Demonstrationen von Muslimen finden aktuell im Ausland statt, wahrscheinlich ist die Info hier in D oder auf Allmy noch nicht angekommen. Allerdings geht es in diesen Demos nicht um die abscheuliche Tat des Terroristen, die Leute regen sich über die Karikaturen auf, die auf das Hotelgebäude in Frankreich projiziert wurden.
Während ich diese Zeilen schreibe wettert Erdogan wieder gegen den Westen, er sagt, dass das Leben als Muslim im Westen immer schwieriger werde. Er schmeißt wieder mit Worten wie Faschist und Nazi um sich. Er greift Macron an, schimpft gegen Merkel, weil eine Razzia in einer Berliner Moschee durchgeführt wurde wegen Veruntreuung von Coronageldern. Man kann jetzt schon davon ausgehen, dass sehr viele Erdogan-Anhänger dem beipflichten werden. Wir machen uns hier wieder (zu Recht) Gedanken darüber, dass wir nicht verallgemeinern und pauschalisieren dürfen. In meinem muslimischem Umfeld kann ich eine solche Bestrebung jedoch nicht feststellen.
Wo sind die hiesigen Menschen, die sagen: "Moment mal, es sind nicht alles Faschisten oder Nazis in Europa. Da gibt es viele gute Leute. Mein Leben als Muslim ist hier eigentlich nicht schlecht, Herr Erdogan sie haben Unrecht!" Es fühlt sich eher an wie ein Kampf gegen Windmühlen. Differenzierte Ansichten sind gut, jedoch sollte man nicht vergessen, dass Muslime stets bestrebt sind eine homogene Gruppe zu bilden. Das erkennt man daran, dass Leute, die aus der Reihe tanzen, ausgegrenzt werden.
Auf den von
@paranomal verlinkten Artikel bin ich auch aufmerksam geworden. Der Autor spricht mir aus der Seele und er kann die Situation viel besser beschreiben, deshalb zitiere ich den Artikel ebenfalls.
Dabei kann ich nicht die Augen davor verschließen, was wir in unseren muslimischen Gemeinschaften unwidersprochen hinnehmen und als wiederkehrende Verhaltensmuster akzeptieren. Es geht nicht darum, dass Gewalt ausdrücklich befürwortet wird, aber sehr wohl gibt es unter Muslimen eine unkritische Haltung zur Gewalt und eine Militanz des Denkens und Glaubens, die nicht mehr hinterfragt wird und nicht als Widerspruch zum Islam wahrgenommen wird.
In unseren muslimischen Gemeinschaften hat Gewalt einen viel zu häufig akzeptierten, als gesellschaftliche Normalität hingenommenen Platz. In der Kindererziehung, im Verhältnis von Mann und Frau oder als Muster kollektiver, politischer oder identitärer Auseinandersetzungen.
Weit verbreitet ist zum Beispiel in der religiösen Pädagogik noch die Vorstellung von Autorität und Unterordnung, die im Zweifel auch mit körperlicher Züchtigung einhergehen kann – die körperliche Herrschaft über das physisch unterlegene Kind wird als legitim angesehen. Oder suchen muslimische Frauen, die seelische oder körperliche Gewalt in der Ehe erfahren, Rat bei muslimischen Gemeinden und Verbänden, kommt es nicht selten vor, dass ihnen Geduld und stillschweigendes Ausharren empfohlen wird. Nicht die Gewalt des Mannes gilt als religiöse Verfehlung oder gesellschaftliches Stigma, sondern vielmehr der Status einer geschiedenen Frau.
Relativierung des Lebensrechts
In den muslimischen Dachverbänden ist nicht selten die Vorstellung verbreitet, die eigenen Gemeinschaften seien Festungen des Islam in einem antimuslimischen Europa; seien wehrhafte Wagenburgen des Anstandes und der Moral in einer ethisch verderbten Gesellschaft, die sich dem Hedonismus, der Promiskuität, der Homosexualität und ganz allgemein der Lasterhaftigkeit hingegeben hat. Weil die Außenwelt derart schädlich ist, ist der innere Zusammenhalt besonders wichtig.
Zur Rhetorik gehört deshalb häufig die Reminiszenz an die Schlacht von Uhud im Jahre 625. Sie gilt als metaphorische Warnung vor Pflichtvergessenheit und Leichtsinn. In dieser historischen Schlacht standen die muslimischen Kämpfer in Medina kurz vor einem Sieg gegen ihre Angreifer. Jedoch verließen die muslimischen Bogenschützen, getrieben von der Aussicht auf reiche Beute, eine strategisch wichtige Anhöhe und verloren damit den sicher geglaubten Sieg. Die Verbandsfunktionäre werden nicht müde, das Bild der Uhud-Bogenschützen zu beschwören, wenn sie die eigenen Reihen schließen und zur bedingungslosen Loyalität aufrufen wollen.
Wenn eine solch militarisierte Sprache gepflegt und historische Schlachten zitiert werden, um zu demonstrieren, dass man bald auch in Deutschland siegreich sein werde, dann muss man sich nicht wundern, dass es in hiesigen Moscheegemeinden nicht als pädagogische Entgleisung wahrgenommen wird, wenn Kleinkinder mit Uniform und Spielzeuggewehr unter dem Applaus ihrer begeisterten Eltern an Inszenierungen von historischen Kriegen und Tod teilnehmen.
Bis heute ist das Verständnis von Erfolg und Macht mit der Eroberung ehemals muslimisch beherrschter Gebiete oder Symbolbauten verwoben. Eine besondere Funktion erfüllt dabei die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Ihre regelmäßig geforderte "Befreiung" richtet sich gegen Juden, die im Rahmen antisemitischer Stereotype als übermächtiger Feind und Ränkeschmied imaginiert werden.
Quelle: zeit.deEine theologisch-philosophische Auseinandersetzung mit Glaubensfragen fehlt bei den Muslimen, weil diese nur durch die Obrigkeit beantwortet werden dürfen. Der folgende Abschnitt ist dafür umso schöner. Ein Beispiel für eine philosophische Haltung gegenüber dem Thema Gewalt, Überlegenheit und Unterwerfung:
Vernichtung statt Anerkennung
Jemand, der Gewalt gegen andere ausübt, will diesen mittelbaren Wahrheitsbeweis nicht antreten. Er will der Herausforderung, in einer widersprüchlichen Welt gläubig zu sein, durch die Vernichtung des anderen ausweichen. Ein wahrhaft gläubiger Mensch kann sich indes nie im Besitz einer vollständigen Wahrheit– und damit im Zustand der Vollkommenheit – wähnen. Vollkommenheit ist ein göttliches, kein menschliches Attribut.
Wer sich als Muslim im täglichen Gebet nur Gott hingibt und sich nur vor ihm beugt, im Gebet geradezu körperlich, darf eigentlich von keinem anderen Menschen erwarten, dass dieser sich der Glaubensüberzeugung und der Meinung eines Muslims zu beugen habe.
Wer aber in Kategorien von Überlegenheit und Unterordnung glaubt, ist anfällig dafür, andere Menschen abzuwerten. Jene, die einen solchen Weg einschlagen, können irgendwann auch zu der Überzeugung gelangen, dass menschliches Leben unterschiedlich viel wert ist, je nachdem, was einer denkt und meint.
Wir müssen als Muslime deshalb aufhören, andere Lebensweisen und Glaubensauffassungen in eine Rangfolge der Glaubwürdigkeit oder Werthaltigkeit einzuordnen. Wir müssen aufhören, solche Abwertungs- und Ausgrenzungserzählungen in unseren Gemeinschaften zu dulden. Wir müssen aufhören, Rassismus, Antisemitismus und Misogynie als hinnehmbare Haltung, ja gar als kollektive Identitäten stiftende Merkmale eines "normalen" oder "guten" Muslims wahrzunehmen.
Der Islam ist eine Idee davon, was Gott und was der Zweck seiner Schöpfung sein mögen. Wir Muslime entscheiden täglich darüber, wie wir diese Idee leben und damit auch darüber, ob sie uns zur Gewalt oder zum Frieden führt.
Quelle: zeit.de