Russland das Buhland... aber warum?
07.12.2014 um 22:58Putins Russland macht ihnen Angst: Polnische Intellektuelle haben in einem offenen Brief an Europa appelliert, sich Russlands Präsident Wladimir Putin stärker zu widersetzen. Ein Gespräch mit einer der Unterzeichnerinnen, der Autorin Olga Tokarczuk.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind eine Unterzeichnerin des offenen Briefes "Danzig 1939, Donezk 2014", der von zwanzig polnischen Intellektuellen unterschrieben und unter anderem in der "Gazeta Wyborcza", "The Economist" und "Die Welt" publiziert wurde. Darin appellieren Sie an die Europäer, sich Putin stärker zu widersetzen. Wie sehen die Polen Putins Russland?Quelle: Spiegel
Tokarczuk: Ich habe darüber nachgedacht, ob in Polen nach wie vor eine Russophobie herrscht. Und ich glaube, das ist so. Es ist, als würde dieses alte Paradigma von Russland als Land des Barbarismus wiederkehren, als Land, das nicht zivilisiert ist - im Sinne von Zivilisation, die der Westen hervorgebracht hat. Die Polen denken zum Beispiel, dass es in Russland keine Demokratie gibt. Diese russische Demokratie ist nur zur Schau da, sie ist oberflächlich. Im Grunde genommen funktionieren dort ganz andere Mechanismen als in Europa: Imperialismus, Großmachtdenken, Kolonialismus. Wenn Sie heute die Polen fragen, wie sie das sehen, würde der Großteil das so beantworten.
SPIEGEL ONLINE: Wie erleben die Polen Angela Merkels Verhalten in der Ukraine-Krise?
Tokarczuk: Viele Polen sind enttäuscht von der deutschen Position. Die Erinnerung an den Hitler-Stalin-Pakt kommt zurück, die Erinnerung an die Aufteilung Polens, die daraus resultierte. Nach dem Motto: Da wird etwas über unsere Köpfe hinweg entschieden, wir werden nicht als Partner dieser zwei mächtigen Staaten gesehen. Jetzt kommt diese Erinnerung an die Situation von 1939 wieder, als die Verträge mit Engländern und Franzosen, die uns schützen sollten, überhaupt nicht gegriffen haben. Man muss sich daran erinnern, dass damals, als das Deutsche Reich Polen überfiel, die Polen auf die Hilfe ihrer Verbündeten hofften. Und die kam nicht. Dieses Trauma, alleingelassen zu werden, ganz ohne Hilfe, ist in der polnischen Mentalität als sehr schmerzvoller Verrat gespeichert. Das wirkt noch heute nach.