SvenLE schrieb:Kannst du das bitte erklären? Ich kriege gerade die Fäden nicht zusammen.
Das soll heißen, dass zwei Risikofaktoren schlechter sind als einer.
Wenn man sich in der Vergangenheit nun mal entschieden hat, weiter auf russisches Gas zu setzen - so falsch diese Entscheidung im Nachhinein auch gewesen sein mag - dann ist es eine logische und konsequente Fortsetzung, eine Pipeline durch die Ostsee zu bauen.
Der russisch-ukrainische Gasstreit hat gezeigt, dass auch ein europafreundlicher Präsident wie Juschtschenko die Gasversorgung in Westeuropa in Bedrängnis bringen kann. Da muss noch nicht einmal Feindseligkeit gegenüber Europa im Spiel sein. Das ist eine Tatsache, wie der oben verlinkte Artikel belegt.
Für den Endverbraucher ist es aber völlig egal, wer ihm das Gas abdreht, das heute so aggressive, verbrecherische Russland, oder die harmlose Ukraine. Er will nicht kalt duschen. So unterschiedlich die Verantwortlichen und ihre Motive sind, das Ergebnis ist dasselbe. Da kann man sich über den Vergleich noch so sehr künstlich empören.
Da man den Lieferanten nicht wechseln will, umgeht man eben die Transferländer. Ein Risikofaktor ausgeschaltet.
Übrigens schon 1990 betrug der Anteil von russischem Gases am deutschen Verbrauch nahezu 50%. Diese Abhängigkeit besteht also schon seit Jahrzehnten und keine Bundesregierung seither fühlte sich berufen, diesen Missstand zu ändern. Im Prinzip war Deutschland schon immer erpressbar, ob mit oder ohne Nord Stream 2. Deswegen verstehe ich nicht, dass man sich gerade an dieser Pipeline so aufhängt. In meinen Augen ist sie völlig unbedeutend.
Auch kauft ja nicht die Bundesregierung selbst das Gas - soweit ich das sehe , sind das die Energieversorger. Das sind Privatunternehmen oder Aktiengesellschaften, die sich vor allem ihren Investoren verpflichtet fühlen. Das mag man bedauern, ist aber so. Und da wundert man sich, dass die beim billigsten Anbieter einkaufen, um die größten Profite zu machen? Das wäre eine reichlich naive Vorstellung.
Natürlich kann eine Bundesregierung "Rahmenbedingungen setzen". Aber wie sähe das aus? Importzölle auf russisches Gas z.B? Nun ja, wir sehen ja welches Theater hierzulande gerade veranstaltet wird, wenn es um die steigenden Energiepreise geht. Alles jammert, keiner will zuerst verzichten, keiner will viel zahlen. Da frage ich mich, welche Bundesregierung es in der Vergangenheit gewagt hätte, dieses Fass aufzumachen. Wenn man also nach Schuldigen an der derzeitigen Misere sucht, dann sind das nicht nur die Politiker, dann sind das im Prinzip wir alle, die gut mit dem billigen Gas gelebt haben.
SvenLE schrieb:Mag ja sein und ich bin bei Dir. Grundsätzliche Frage: Warum und wieso hat man die Parteien gewählt?
Weil niemand (oder fast niemand) in der Vergangeheit seine Wahlentscheidung davon abhängig gemacht hat, ob wir durch das russische Gas erpressbar geworden sind, oder jemals waren.
SvenLE schrieb:Ein weiteres Problem ist, das der deutsche Michel nicht versteht, wie der Preis für Öl- und Gasrechnung zustande kommt. Das 1+1 verstehen die wenigsten!
Ja, dann erkläre es doch bitte einfach. Es würde mich ernsthaft interessieren, wenn du dazu Informationen teilen könntest.
Und noch etwas: es hat sich ja wohl herausgestellt, dass Deutschland von sich aus das Gasgeschäft nicht beenden kann, ohne in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten. Also ist man froh über jeden Kubikmeter Gas, den Putin uns noch zugestehen will, auch wenn es jetzt 60% weniger sind, als vereinbart. Ich denke, von russischer Seite wird man den Gashahn noch früh genug zudrehen, spätestens im Winter, wenn es richtig weh tut.
Aber manchmal liegt das gar nicht in der Verfügungsgewalt von Menschen. Wenn jetzt in diesem Krieg die Jamal-Pipeline nachhaltig beschädigt werden sollte, z.B. durch eine fehlgeleitete Rakete, dann ist man vielleicht froh, wenn man eine Ausweichstrecke hat, z.B. durch die Ostsee. So ist denn innerhalb einer schlechten Strategie, die Entscheidung Pipelines durch die Ostsee zu bauen, noch eine der besseren.