outofhere schrieb:Ich kritisiere Demokratie in Bezug auf Monarchie und selbst da schneidet Demokratie schlecht ab.
Demokratie ist wie jede Ideologie eine Idee. Ideen lassen sich am Schreibtisch hübsch durchspielen und ausformulieren. In der praktischen Anwendung sieht die Sache dann meistens aber ganz anders aus.
Solange sich alle anderen um die wichtigen Dinge streiten, lasse ich mir diese Sätze mal auf der Zunge zergehen ... das wäre in all seiner grandiosen Unsinnigkeit ein Thema für einen neuen Thread.
Aber das ist ziemlich OT, deshalb zurück zum Thema:
Ich habe das schleichende Gefühl, dass inzwischen bei einigen die Meinung vorherrscht, die Öffentlichkeit und Presse sei komplett links unterwandert und jegliche konservativ-angehauchte Äusserung würde seit 1968 mit Nazikeulen plattgemacht.
Mein Eindruck ist anders.
Auch in der Vergangenheit war es nicht so, als würden linksliberale oder linke Äusserungen nur abgenickt, egal bei welchem Thema. Immerhin wurden die AKWs gebaut, Kohl hat eine halbe Ewigkeit regiert, die Republikaner kamen zeit- und stellenweise über 10%, ..........
Das allgegenwärtige "Dann geh doch nach drüben" ersetzte das heutige "Gutmensch", vom Strassenrand musste man sich bei Demos "Ihr gehört alle vergast" anhören - in intellektuelleren Diskussionen fanden sich zugegebenermassen etwas geschliffenere Formulierungen. Rabulistik in nun wirklich keine Entdeckung der Linken ... Ist ja nicht so, als hätte man nicht schon damals seine Feindbilder und Floskeln zu pflegen gewusst.
Es ist bloss so, will mir scheinen, dass die Ideologien immer mehr um Abgrenzung ringen, je mehr man sich politisch-inhaltlich annähert, gerade im gemässigten Lager.
Man endeckt das linksfaschistische im linken und das nationalsozialistische im rechten Lager, was es nicht einfacher macht .... dazu die so ziemlich allen Lagern gemeinsame Israelkritik, offen oder weniger offen, aus den unterschiedlichen Gründen ... da will auseinanderdividiert werden, warum wer wen kritisiert.
Eigentlich lustig, wie alle sich um Abgrenzung abstrampeln. Und dabei selbst vorauseilend in die Falle tappen, wie zum Beispiel Grass, der in seinem Gedicht Israel "beim Namen zu nennen sich untersagt", um einen angeblich verschiegenenTatbestand anzuprangern, der aber allen bekannt ist, und unterstellt, die Benennung des Tatbestandes würde mit "Antisemitismus" bestraft - als würde es nicht davon abhängen, wie und in welchem Zusammenhang und Inhaltes die Kritik geäussert wird.
Als könnte man nicht zwischen Israelkritik und Antisemitismus unterscheiden.
Solche Kapriolen schlägt ein Dichterherz ...
Dann rafft er sich ja doch ein paar Zeilen später noch auf zu Tatbestands-und Ländernamennennung, um Israel zur schlimmsten Kriegsgefahr im Mittelmeerraum zu erklären. Wozu dann das vorangestellte Geraune? Um seine "Offenheit" umso mutiger erscheinen zu lassen, nachdem er seine Gewissensqualen und die zu erwartende Strafe aufgezählt hat.
Und um wen geht es ihm eigentlich?
"Nur so ist allen,
(...)
und letztlich auch uns zu helfen."
Um "uns" geht es, die Deutschen, die Schuld, eine mutmassliche neue Schuld durch Lieferung der U-Boote. Es geht nicht um Israel, sondern darum, ob man als Deutscher Kritik üben darf. Kritik an dem Land, das Waffen kauft - und nicht an dem Land, das scheinbar dazu erpresst wird, Waffen zu liefern. Kritik an dem Land, das die Waffen vielleicht einsetzen wird ... nicht an dem Land, das sie entwickelt und massgeschneidert hat.
Und was bekümmert ihn daran am meisten?
"Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre. "
Eine (weitere) Schuld auf die Deutschen zu laden, das bekümmert Grass.
(Als würde nach einem Atomkrieg im Mittelmeerraum sich noch irgendwer dafür interessieren, wer die Waffen-Trägersysteme geliefert hat.)
In dem Text fasst Grass jedenfalls die Not der Deutschen zusammen, sich selbstbewusst zu äussern. Er befürchtet, als Deutscher wegen seiner Kritik als Antisemit gescholten zu werden - dass seine Darstellung der Situation im Nahen Osten und der Rolle Deutschlands sehr einseitig und naiv ausfällt, scheint ihn nicht zu bekümmern.
Insofern passt ja auch der Titel zu dem Stammtisch-Niveau der Argumentation.
Hier haben wir also den Versuch, die schon dräuend über dem Kopf gefühlte Antisemitismuskeule im vorausberechneten Schwung abzufangen. Der grandios misslang.
Deshalb das sicherlich schon etwas abgelutschte Beispiel, weil´s so schön exemplarisch ist.
Hat Grass nun Angst vor einer Keule aus dem rechten oder linken Lager, oder beidem, und warum erwähnt er nicht auch gleich noch eine Furcht vor Beifall von Seiten der Nazis, um das Bild des unschuldig Fehlinterpretierten, Missverstandenen, Vorausverurteilten abzurunden?
Vielleicht wäre das Thema etwas entspannter, wenn sich Deutschland nicht vorwerfen lassen und selbst vorwerfen müsste, dass die Aufarbeitung der Taten des Naziregimes nur zögerlich in Gang kam. Wenn überhaupt.
Unter anderem schrieb ja Grass selbst davon in der "Blechtrommel" und anderen Romanen ... und scheint auch selbst seine Probleme damit gehabt zu haben.
Die Frage ist: warum äussert man sich überhaupt öffentlich, wenn man dann befürchtet, unfair angegriffen zu werden? Entweder weiss man den Angriff als unfair zurückzuweisen, oder kann ihn inhaltlich widerlegen. Gerade ein Grass, der sonst nicht gerade über seinen Füller stolpert, sollte sich mit Worten wehren können. Aber das kann er ja nicht mehr, denn seine letzte Kraft hat er ja "gealtert und mit letzter Tinte" für den Text aufgebraucht und entzieht sich seitdem folgerichtig der Diskussion.