@fraterport Danke, für die netten Worte.
fraterport schrieb:Dann wäre die nächste Frage: Ist das Fehlen von Individualbewusstsein / Ego = Allumfassendes?
Das muss nicht zwingend so sein, es kann auch eine Pathologie im Spiel sein. Das müsste man klären, kann man aber auch.
fraterport schrieb:Es gibt ja genügend Menschen, die solche Gefühle in tiefer Meditation beschreiben. Sie nennen es glaube ich "ozeanische Versenkung", oder so ähnlich. Setze ich jetzt als weiteres Axiom, dass ich den Leuten mal glaube, dass sie das so empfunden haben, stellt sich die nächste Frage: Ist das letztlich nur ein Gedanken/Emotionstrick, der ihnen von ihrem individuellen Bewusstsein gespielt wird, nach dem Motto: Du willst es erleben, gut. Tue ich Dir den Gefallen.
Da sind mehrere Ebenen im Spiel.
Zum einen: Fragen wir, ob es sei der beschriebene "Trick" sein könnte.
Ich meine eher nein, denn über den reinen Willen kann man nicht so viel erreichen. Versuch mal einschlafen zu wollen.
Zum anderen: Auch in der Meditation muss man loslassen. Der Aspekt des Willens ist insofern mit drin, dass man immer wieder meditiert, aber Meditation selbst ist (kommt auf die Art an) oft eine Haltung der Offenheit, bei der man sich auf nichts speziell fokussiert und versucht nichts festzuhalten.
Eine Einheitserfahrung erzwingen zu wollen, ist mir noch nicht gelungen, obwohl ich Einheitserfahrungen kenne. Es gibt Übungen, in deren Folge sie oft bis sehr oft auftreten, aber auch hier gibt es keine Garantie.
Und dann: Wenn man noch nie eine Einheitserfahrung hatte, wie soll man sich die vorstellen, so dass es sich am Ende um die beschriebene Selbstsuggestion handelt? Man weiß ja gerade nicht, wie sich das anfühlt, was sollte man da simulieren.
Zumal du viele finden wirst, die dir sagen werden, dass ihre Einheits- oder Gipfelerfahrungen letztlich völlig anders waren, als sie sich hätten vorstellen können. Das spräche gegen die These.
Die dritte Ebene: Wenn es sich bei diesen Erfahrungen "nur" um etwas handelte, was sozusagen in mir stattfindet, wäre das überhaupt problematisch oder negativ?
Erleuchtung ist ja nichts anderes als ein Art des Welterlebens, insofern zutiefst subjektiv. Ein Problem gibt es da nicht, nur, dass einige denken, subjektiv sei irgendwie schlecht oder minderwertig.
Meistens liegt diese Einstellung an einer ungenügenden Reflexionsleistung der Kritiker.
Wie will man denn irgendwas erleben, wenn nicht mit dem oder durch das Ich, also subjektiv.
Immer allein im Bannkreis der eigenen Vorurteile, Ansichten, Weltsichten, Präsuppositionen?
Es gibt keine primäre Objektivität in der Welt und dann wird man auf einmal subjektiv, sondern man erschließt Welt immer vom Subjekt her und an der Wurzel liegt eher eine Form der Intersubjektivität. Es ist nicht zufällig dass Kinder deutscher Eltern die deutsche Sprache und die deutschem Lebensgewohnheiten, Praktiken, Denkweisen erlernt.
Das ist ein Resultat der Intersubjektivität, dass unsere Mitwelt uns prägt, zunächst bis ins Innerste dessen, was wir für unser Ich und unsere ureigendsten Ansichten halten. Die Wende kommt dann eventuell später.
fraterport schrieb:Aber selbst dann würde sich Allumfassendes und Individualbewusstsein noch ausschließen. Man könnte nur mit entsprechender Übung mal kurz in das Allumfassende switchen, einen kurzen Blick dessen erhaschen, was uns als Menschen zumindest dauerhaft verwehrt bleiben muss. Denn wir sind mit der "Festplatte Körper" verbunden, und der meldet sich früher oder später und spätestens dann ist das Individualbewusstsein wieder da.
Ich glaube auch, dass man ohne Individualbewusstsein nicht durchs Leben kommt und dass das immer bleiben wird, gleich wie erleuchtet jemand ist.
Aber da ist ein Glaubenssatz drin, den ich so nicht teile, der ausformuliert lautet: Wer einen Körper hat, kann kein allumfassendes Bewusstsein haben.
Bei mir ist der Groschen gefallen, als ich mal von den verschiedenen Aspekten der Gottheit las, die es im tibetischen Buddhismus gibt. Gütige, zornige, friedvolle ... Als Mensch hast du immer ein bestimmtes Temperament und wenn du ehedem cholerisch warst, wirst du möglicherweise, wenn du deiner Erleuchtung gewahr wirst noch immer den zornigen Aspekt der Gottheit vertreten.
Hier kommt dann unser Ego ins Spiel und sagt: "Moment, zornig und erleuchtet, das geht doch wohl nicht zusammen." Erleuchtung ist allumfassende Offenheit und gerade keine Einschränkung. Das zu kapieren ist nicht schwer, bringt aber unser Klischeebild ins Wanken.
Das führt in der Konsequenz manchmal zu merkwürdigen Zuspitzungen in denen jemand implizit behauptet er wüsste alles udn gleichzeitig nichts über Erleuchtung.
Ausbuchstabiert liest sich dass dann so: "Ich bin nicht erleuchtet, dazu bin ich noch viel zu zornig (ängstlich, nervös, unbeherrscht, geil, schüchtern ...)" Da ist jemand der haargenau weiß, wie ein Erleuchteter zu sein, jedenfalls mindestens, wie er nicht zu sein hat.
Und weil man das zu wissen meint, schreibt man sich den Zustand der Nichterleuchtung zu und urteilt damit einerseits als Kompetenter der sich selbst die Kompetenz zum Thema abspricht.
fraterport schrieb:Für mich ist diese Frage letztlich auch gleichbedeutend mit der nach Gott. Ich weiß, ihr wollt den rauslassen, und ich meine nicht die konventionellen Vorstellungen von Gott, sondern wenn es diese allumfassende Verbundenheit gäbe, dann wäre das für mich Gott. Und man könnte zumindest auf einen Sinn hinter unserer Existenz hoffen. Auch, wenn ersteres letzteres nicht impliziert.
Was aber, wenn du auf einen großen Sinn verzichten könntest und erfährst, dass dennoch nichts fehlt? Ich habe mal im Radio eine Kritik zu Sloterdijks Buch "Die schrecklichen Kinder der Neuzeit" gehört, ein düsteres Buch von Sloterdijk. Der Rezensent endete mit einem Zitat Chögyam Trungpas, das man Solterdijk als Kur gegenüberstellen könne und sinngemäß sagte: "Die schlechte Nachricht ist, dass wir uns in einem unausgesetzten Fall, ohne Fallschirm befinden. Die gute: Es gibt keinen Boden."
Natürlich gibt es Sinnstiftungsprojekte und wenn sie tragen, ist alles in Butter, aber es gibt zig Strömungen (hier vor allem die Existentialisten) die die Vorläufigkeit all dieser Projekte aufzeigen.
Doch die Frage ist, ob einen das mürbe machen muss.
Das Jetzt ist keine abstrakte Größe außerhalb der Welt sondern einfach unsere Möglichkeit immer und immer und immer wieder im Leben, im Hier und Jetzt anzukommen. Was fehlt hier? Nichts.
Natürlich hat ein bestimmter Aspekt des Ego da sofort Einwände und eine mehrseitige Liste, was alles fehlt und besser sein könnte, aber das ist nicht gemeint.
Niemand kann es verhindern, dass du jetzt im Moment ankommst und das gilt in jedem und für jeden Moment. Es geht immer und man muss sich dabei nicht heilig oder erhaben fühlen. Man bleibt einfach bei dem was ist. Diese Konstrukte, was alles ganz schrecklich ist, sind ja schon Anhaftungen, Projektionen mit denen man das Jetzt wieder verlässt und bein Gestern oder Morgen ist. Vielleicht bleibt beim Jetzt nur der Atem oder das reine Sein - man existiert ja, vielleicht ist es nur der zu gut bekannte Anblick, den man immer hat. Du entscheidest ob du aus etwas eine öde Routine machst oder ein achtsames Ritual ob du auf Halbautomatik fährst oder klar und wach bist.
Und ich glaube, dass die Momente der Halbautomatik nicht schlecht oder böse sind, denn du hast ja jederzeit die Wahl dich mit dem Jetzt, dem Moment zu verbinden, immer wieder. Wenn sich das heilig anfühlt, gut, wenn nicht, auch gut.
Oft ist Heiligkeit eher ein Hindernis, wie eine lästige Fliege. Man muss den Aspekt des Besonderen hinter sich lassen.
fraterport schrieb:Jetzt möchte ich noch auf einige Gedanken eingehen, die mir beim lesen so gekommen sind. Zunächst mal zum freien Willen. Man kann ja und wohl auch erforschen, ob sich im Gehirn schon Millisekunden, bevor man mit dem Bewusstsein eine Entscheidung trifft, biochemische Veränderungen stattfinden, nur widerlegt das für sich genommen für mich nicht den freien Willen. M. E. hat man damit nur festgestellt, wie die Willensfindung funktioniert, aber letztlich ist doch wiederum die Frage: wer setzt die der bewußten Willensentscheidung vorgelagerten biochemischen Impulse?
Richtig!
Man muss das Gehirn zu etwas da draußen machen (was aber zufällig unter unserer Schädeldecke sitzt), um auf diese blödisnnige Idee zu kommen, wir seien von unseren Hirn "ferngesteuert".
Ein Kategoriefehler und längst ist klar, dass nicht nur die Biochmie unser Bewusstsein verändert, Psychopharmaka und Wodka beweisen es, sondern dass auch unsere bewussten Entscheidungen unser Hirn verändern, Psychotherapie und Meditation beweisen es.
fraterport schrieb:Wenn ich aber die Verantwortung dafür übernehme, dass ich geschlagen wurde, dann kann ich daraus lernen: Ok, ich wurde geschlagen. Was habe ich falsch gemacht, und was kann ich in Zukunft besser machen, um eine weitere Ohrfeige zu verhindern?
Möglicherweise habe ich aber gar nichts falsch gemacht und der andere ist einfach nur ein Arschloch.
Insofern kann ich lernen Arschlöcher besser zu erkennen und zu meiden, aber mein Verhalten muss nicht fehlerhaft gewesen sein.
Verantwortung für sein Leben hat man immer (gleich was einem zugestoßen ist), wer auch sonst.
Nur ich muss und kann mein Leben leben.
fraterport schrieb:Interessanter finde ich jedoch diese Betrachtung: Es ist eine der ersten NLP-Annahmen, dass sich ein Mensch in der jeweiligen Situation nicht anders entscheiden kann, weil er für sich mit seinem Kenntnisstand die beste Entscheidung trifft. Das finde ich schon schwieriger auszuhebeln.
Das ist ja auch völlig richtig, die Frage ist, spricht diese Erkenntnis eigentlich gegen die Willensfreiheit und falls man meint, das sei so, warum?
Jeder kennt das Gefühl: "Mensch, hätte ich das nur vorher gewusst."
Aber was heißt das genau? 1) und banal: Man weiß nicht alles. 2) Hätte ich andere Informationen gehabt, hätte ich mich anders entschieden. Natürlich. Man legt sein Geld nicht in Aktien an, wenn man weiß, dass diese in 9 Moanten 90% Kursverlsut haben, aber zum Zeitpunkt meiner Entscheidung, dachte man noch, dies sei der Megageheimtipp.
Man muss auch nicht alles wissen, um frei zu entscheiden, man muss nur die Fähigkeit haben, das was man derzeit weiß (und mehr kann man nicht wissen) abzuwägen und zu sagen "... und darum habe ich mir diese chinesichen Biotech-Aktien zugelegt".
Dass sich das als Flop erweist, heißt nicht, dass man nicht vor 9 Monaten durchaus seine guten Gründe hatte.