Trailblazer schrieb:Wenn aber die Beweislage sowieso erdrückend ist, wird nur ein Idiot von Anwalt versuchen, die Zeugen unangemessen in die Enge zu treiben
Ja, das denke ich auch und drum verstehe ich die Vorgehensweise hier auch nicht - und damit bin ich nicht allein. In Frankreich hat das auch für große Empörung gesorgt.
Trailblazer schrieb:Dem Angeklagten gegenüber ist der Verteidiger nicht weisungsbefugt und hat ihm nichts zu verbieten oder zu erlauben.
Nein, das nicht, aber er kann beraten, was die beste Vorgehensweise ist. Der oder die Angeklagte kann den Rat dann annehmen oder nicht.
Trailblazer schrieb:Er hat auch den Ablauf des Verfahrens zu verfolgen und dann, wenn Rechte des Angeklagten, Fristen o.A. verletzt werden, einzuschreiten. Unabhängig davon, ob der Angeklagte wirklich schuldig ist und / oder der Anwalt selbst ihn für schuldig hält.
Ja, das natürlich! Das hat aber nichts damit zu tun, dass man jene Menschen, die selbst kein Verbrechen begangen haben und es nur zufällig mit angesehen haben oder gar zum Opfer geworden sind, auseinandernimmt und diskreditiert!
Dabei werden ja genau die Rechte dieser Personen verletzt, die der Verteidiger für die/den Angeklagte:n wahren soll! Das passt für mich nicht zusammen.
Trailblazer schrieb:Nein, es ist die Aufgabe des Verteidigers - als Gegenpart zum Staatsanwalt -, das bestmögliche Ergebnis - auf der Skala von Freispruch bis zur Höchststrafe - für den Angeklagten herauszuholen und dazu kann es auch gehören, zu versuchen, die vermeintlichen Zeugen in Widersprüche zu verwickeln.
Nicht mit allen Mitteln! Es gibt da Grenzen, die nicht überschritten werden sollen.
Ray. schrieb:Und warum sollte dann ein Anwalt seinen Mandanten weniger verteidigen nur weil er vermutet das er schuldig ist?
Was heißt, vermutet? Ich gehe jetzt schon aus, dass ein:e Angeklagte:r zumindest zum Verteidiger ehrlich ist. Wie soll man sonst eine Verteidigung aufbauen? Wenn jemand den eigenen Anwalt anlügt, ist das sogar ziemlich dämlich!
Nicht weniger verteidigen, sondern realistisch bleiben. Wenn die Beweislage erdrückend ist, wird es nichts bringen, Zeugen und Opfer zu diskreditieren und dann kann man sich das sparen und von vorneherein sagen, dass man da einen Schuldspruch nicht verhindern können wird. Man kann nur versuchen, die Strafe zu mindern. Nur muss man dann eher Mitleid mit der/dem Angeklagten schüren als auf Zeugen oder Opfer verbal losgehen, sonst bringt das nichts. Das würde nämlich den Verteidiger aggressiv und unsympathisch wirken lassen und das wirkt sich dann logischerweise auch auf die/den Angeklagten aus.
Ray. schrieb:Bei den schweren Straftaten ja.
Okay. Ich bin da anderer Meinung, ich denke, dass es da durchaus auch echte Reue geben kann.
Ray. schrieb:Die Beweislage war eindeutig, man wusste um die Rivalität mit dem Opfer, es gab die Zeugin und die Tatwaffe mit allem drum und dran. Die Chance war also gering, aber es war die einzige.
Ein Geständnis und Reue hätten mir nichts gebracht, warum also die einzige noch so kleine chance die ich gesehen habe damit zerstören?
Das hatte ich so vermutet.
Warum denkst du, Geständnis und Reue hätten dir nichts gebracht? Wurde dir dezidiert gesagt, dass das weder am Schuldspruch noch am Strafmaß was ändern würde?
Bei mir als Laienrichterin hätte glaubwürdige Reue und ein Geständnis nämlich durchaus etwas geändert - wahrscheinlich nicht am Schuldspruch, aber am Strafmaß. Bei mir käme das gut an, vorausgesetzt, es wirkt wirklich glaubwürdig und nicht wie Heuchelei.
Ich glaube dir, wenn du jetzt sagst, dass du Reue empfindest. Es wirkt auf mich echt und wahrhaftig.
Wer weiß, vielleicht hätte ich es dir damals auch geglaubt 🤷♀️. Ich kann natürlich nicht für alle anderen (Laien-) Richter:innen sprechen.
Ray. schrieb:Ich musste, das hört sich wahrscheinlich seltsam an, in der Haft erst einmal ankommen.
Das hört sich für mich gar nicht seltsam an, sondern nachvollziehbar. Zu realisieren, dass man jetzt tatsächlich in Haft kommt und sich das Leben komplett verändern wird, ist sicher nicht so einfach.
Ray. schrieb:Bei mir kam das eine Weile nachdem der letzte Rechtsweg abgehandelt wurde. Ich wusste dann, dass es kein Weg mehr daran vorbei gab. Danach musste ich noch meinen Platz im Knast finden, quasi weg von dem ich denken kommen.
Das hat über 10 Jahre gedauert bis ich zum ersten Mal wirklich gemerkt habe was ich für ein Leiden ausgelöst habe.
Auch das finde ich total nachvollziehbar.
Ray. schrieb:Der Weg begann bei meiner Familie, ging dann über die Zeugin. Mit ihr hatte ich zu dem Zeitpunkt auch Kontakt. Das Erzähle ich tatsächlich auch eher selten, meine Schwester weiß es z.b. nicht weil ich mich dafür Schäme. Nach der Tat kam sie nie wieder mit dem Leben zurecht. Sie hat sich letztendlich von ihrem Mann getrennt und hat ihn und ihre Tochter zurück gelassen. Glaube 12 oder 13 Jahre nach der Tat hat sie mir dann geschrieben und zwar alles und ernsthaft sie hat mich gefragt wie es mir geht...
Im letzten Brief schrieb sie, das sie mir verzeiht und das ganze für sich abschließen könnte. Dieser Brief lag bei ihrem Abschiedsbrief...
Das ist und bleibt die wahre schwere der Schuld.
Man hat so unendlich viel Leid ausgelöst wegen nichts... der blöde und unsinnig gekränkten stolz.
Das ist sehr traurig und auch eine schwere Bürde, die du jetzt tragen musst.
Du warst damals eher ein Heißsporn und jähzornig, oder? Ich kenne das Gefühl und weiß, wie destruktiv es werden kann, wenn man einfach nur rot sieht und die Selbstbeherrschung zum Fenster raus geht. Da ist es dann nur ein sehr kleiner Schritt bis zur Anwendung von Gewalt.
Ray. schrieb:Das alles kostet Zeit und einen anderen Blickwinkel. Ich musste für mich auch die Schritte bis zur Tat ganz kleinlich auseinander nehmen vor Reue und der Angst davor jemals wieder in so eine Situation zu kommen. Wen mir jetzt also jemand sagt, dass er das bis zur Verhandlung aufgearbeitet hat... sry das ich bei so etwas von einer Lüge spreche.
Die Aufarbeitung der Tat an sich und wie es dazu kommen konnte, braucht mit Sicherheit Zeit. Allerdings ist der Zeitraum sehr individuell. Bei manchen Menschen geht das wirklich ziemlich schnell.
Oft sitzt man ja auch ziemliche lange in Untersuchungshaft, bis es überhaupt zu einer Verhandlung kommt.
Ich denke aber nicht, dass es zwingend notwendig ist, schon alles aufgearbeitet zu haben, damit man echte Reue empfinden kann. Meinem Empfinden nach ist Reue auch möglich, bevor man alles aufgearbeitet hat. Das ist aber auch sehr individuell bei jedem Menschen.
nairobi schrieb:Der Prozess muss schon stattfinden.
Ein nicht schuldfähiger Täter wird dann meist auf unbestimmte Zeit untergebracht.
Gibt es da keine "Deals"? Geständnis und Gutachten und gleich ins forensisch-therapeutische Zentrum?