Trailblazer schrieb:Ich hatte immer versucht ihn in die "Realität zurückzuholen" und ihm die Absurdität mancher seiner Gedanken vorzudeklinieren. Das hat ihn aber irgendwie noch mehr verunsichert.
Ja, das funktioniert ab einem gewissen Grad an Demenz einfach nicht mehr. Meine Schwiegermutter sucht ja oft ihre Kinder oder sagt, sie hat ihre verstorbene Mutter gesehen. Anfangs hat es noch geholfen, dass man ihr gesagt hat, ihre Mutter sei tot. Jetzt ist die Demenz aber schon weiter fortgeschritten, jetzt nützt das nichts mehr. Ich frage sie daher stattdessen jetzt einfach, wie es ihr damit geht oder was sie dabei empfunden hat. Wenn sie ihre Kinder sucht, beruhige ich sie und sage, dass es den Kindern gut geht und dass alles in Ordnung mit ihnen ist. Wenn sie meint, sie müsse in ein bestimmtes Geschäft, weil da Rechnungen offen sind, dann sage ich ihr, dass ich mich bereits darum gekümmert habe und sie sich keine Gedanken mehr drum machen muss.
Thilda schrieb:So war das bei mir auch. Ich hab einen sehr skurrilen Streit mit meinem Opa gehabt, der mir einen Vortrag darüber gehalten hat, dass man Tabletten niemals mit Alkohol einnimmt und er deswegen bitte ein Glas Wasser von mir möchte und kein Bier. Selbstverständlich bot ich ihm schon die ganze Zeit ein Glas Wasser an und ich versuchte, ihm zu erklären, dass das kein Bier ist, sondern Wasser. Das ging einige Minuten hin und her bis meine Schwester eingegriffen hat, mir das Glas aus der Hand nahm, sich einmal umdrehte und meinem Opa exakt das Glas wieder anbot mit den Worten: „Hier Opa; ich hab dir jetzt ein Glas Wasser geholt.“
Es hat funktioniert und dann hab ich begonnen, mich einzulesen zu dem Thema. Meine Mutter und meine Schwester beherrschen die Validation in Perfektion; mein Vater und mein Bruder lagen die ganze Zeit im Clinch mit meinen Großeltern und ich musste mich sehr zusammenreißen, um in der Art zu kommunizieren. Es half aber ungemein bei der Pflege meiner Großeltern.
Das ist echt eigenartig mit der Kommunikation, das habe ich gestern auch wieder bemerkt. Man denkt, man drückt sich schon glasklar aus, aber trotzdem kommt die Nachricht ganz anders bei der demenzkranken Person an.
Zum Beispiel reichte mir gestern meine Schwiegermutter eine Nickijacke und meinte, die müsse gewaschen werden. Ich sage zu ihr: "Gut, ich wasche sie mit aber zuerst machen wir sie zu." Ich meinte damit, der Reißverschluss solle geschlossen werden. Meine Schwiegermutter schaute mich fragend an und machte die Tür zu. Daraufhin hab ich sie fragend angesehen und gesagt, dass wir die Tür ruhig offenlassen können. Sie sagte dann zu mir: "Aber du hast doch gerade gesagt, ich soll sie zumachen."
Wir haben also komplett aneinander vorbeigeredet: ich sprach von der Jacke, sie hat verstanden, dass ich von der Tür spreche. Das ist für mich nicht logisch, da die Tür in der gesamte Unterhaltung kein einziges Mal vorkommt und für einen gesunden Menschen der Kontext ziemlich sicher klar wäre. Aber meine Schwiegermutter ist eben nicht mehr gesund und ihre Wahrnehmung ist dadurch eine andere und darauf muss ich mich jetzt einstellen. Das nächste Mal werde ich präziser formulieren: "Wir machen vor dem Waschen den Reißverschluss der Jacke zu."
Solche Missverständnisse gibt es öfter und meist liegt es tatsächlich daran, dass ich mich nicht ganz präzise ausdrücke. Das ist auch sonst nicht nötig, da gesunde Menschen ja auch so verstehen, was gemeint ist.
So anstrengend das Ganze auch ist, es ist auch eine Chance, etwas zu lernen und auf Dinge zu achten, die mir sonst wahrscheinlich nie aufgefallen wären, wenn es nicht schlichtweg nötig geworden wäre, mich damit auseinanderzusetzen.