@tonia5 ( ich gehe erstmal nur auf die Aspekte im Dritten Reich ein: )
Der Bezug zur christlichen Neutralität ist ein tief gehendes Thema, das sicher seinen Anspruch in diesem Thread findet.*( siehe Abschlussbemerkung beim * 4 letzten Abs. vom Post)
"Kein christlicher Wiederstand war im Dritten Reich umsonst oder gar fehl am Platz!"
Aus dem warmen Bett der heutigen demokratischen Verhältnisse, mag es ein Leichtes sein, Personen und Gemeinden, die im Dritten Reich für christliche Neutralität bis in den Tod gerade standen, zweifelhafte Beweggründe zu unterstellen.
tonia5 schrieb:
Wie kommst du auf eine derartige Anschuldigung?
Tut mir leid, dann möchte ich Dich bitten, auch zu Deinen Aussagen zu stehen:
Bezüglich der Standhaftigkeit DER Zeugen im Dritten Reich hast Du ( erweitert ) geschrieben:
tonia5 schrieb:
Und wer hier denkt, JZ seien in der Nazi-Zeit so standhaft gewesen, dem empfehle ich - ich trage es ihm/ihr DRINGEND an, die 4seitige "Wilmersdorfer Erklärung" zu lesen, ein Pamphlet, in dem man sich den Schutz Hitlers vor den Juden und dem amerikanischen Kapital erbat! Jehovas Zeugen konnten gut damit leben, dass die Juden verfolgt wurden von den Nazis!
Hier stellst Du grundsätzlich die Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit der Zeugen in Frage, und “JZ“ heißt nun mal de facto: die vielen einzelnen Zeugen, die im Dritten Reich wegen ihrer christlichen Standpunkte verfolgt wurden und der Kirchenapparat der Zeugen.
Doch die Standpunkte der Zeugen betrafen in der alltäglichen Praxis sicher nicht das jüdische Kapital.
Wenn Du Dich, wie angegeben, zu bestens informierten Kreis zählst, irritiert Deine Unterstellung im besonderen Maße – denn in einer Vielzahl an internationalen anerkannten Werken und Gedenkstätten zur Aufarbeitung der Gräueltaten im Dritten Reich, wird gegenüber den Zeugen ein völlig anders Gesamtbild gewürdigt und gewertet ( Gedenkstätten Neuengamme, Bergen Belsen, Holocaust Memorial New York /Bücher: Arbeit und Vernichtung o. Zwischen Widerstand und Martyrium...) Hier wird u. a. den Bibelforschern, d.h. sowohl den Tausenden Einzelschicksalen, als auch dem Wesen des Apparates der Gruppe, eine außergewöhnliche christliche Standhaftigkeit ausgewiesen,
die trotz gegebener Schwächen, seines Gleichen in der damaligen christlichen Welt bei weitem sucht.
Auch von jüdischer Seite existiert nicht solch ein zentraler Vorwurf, wie Du es hier skizzierst - aus dem einfachen Grund, weil die Praxis und auch Handlungen der tausenden Bibelforscher und auch der Funktionäre, sich zu über 90% NICHT aus einem Herrn Frost oder zweifelhaften Höhepunkten aus der Wilmersdorfer Erklärung repräsentiert und gestaltet haben – Du reduzierst das nur darauf - doch das wesentliche Gesamtbild der christlichen Praxis der Zeugen im Dritten Reich, hast du damit gestrichen und offenbar vergessen, das der allgemeine christliche Standart
alltäglich so aussah:
Das soll hier jetzt zwar nicht bewertet werden, bildet aber die Rahmenbedingung, wo Du Dich offenbar an EINER Situation unendlich hochziehst...
Und deswegen ist die Verhältnismäßigkeit Deiner Kritik, schlicht ungeheuerlich fehlinterpretiert.
Es wirkt vielmehr wie der krampfhafte Versuch, aus dem prinzipiellen Vorsatz der Kritik an dieser Gruppe, aus tausenden Briefen, Erklärungen, Büchern und Flugblättern und Handlungen dieser Gruppe, eine unglückliche Bemerkung oder einen Fehler zu suchen, um damit alles zu entwerten.
Die "Wilmersdorfer Erklärung" ist eine kritikwürdige Entgleisung, die eben nicht im Geiste der restlichen Praxis der Gruppe steht, und schon seiner Zeit in den eigenen Reihen umstritten war. Natürlich lag bei dem Wechselspiel von Anpassung und Protestnote in dem Text dieser Erklärung, bereits die Angst um die eigene Verfolgung vor, das ist doch wohl klar.
Doch zwischen dem Wirtschaftsnationalismus (“amerikanische Handelsjuden“) und der gleichgültigen Billigung von der Ermordung von Juden ist noch ein himmelweiter Unterschied. Und 2. waren die Ausmaße der Vernichtungsmaschinerie zu dem Zeitpunkt weder international noch national klar zu erkennen, als das man hier ein klares Bewusstsein, wie unser heutiger Blick um diese Umstände, unterstellen könnte.
Dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, gelingt es daher in seiner Studienarbeit, hier bei diesem unpassenden Akt der Zeugen, zwischen dem religiösen Ausgrenzen der Juden und dem Hass gegenüber einer Rasse klar zu Differenzieren - und genau den Unterschied kann man auch erkennen. Zudem standen Bibelforscher nicht im Alltag in einer solchen Ablehnung jüdischer Menschen - im Gegenteil.
(Dein Gebahren, erinnert mich an die Leute, die schon da "Nazis" erkennen, wo "Autobahn" gesagt wird.)
Es war damit nicht, wie von Dir beschrieben, ein klares Indiz dafür, das den Zeugen das Schicksal der Juden egal war, SONDERN im besonderen Maße dem geschuldet, das die Zeugen damals in einer langwierigen und andauernden Anschuldigung standen, vom jüdischen amerikanischen Kapital finanziert worden zu sein, um die deutschen Kirchen zu zersetzen.
Genau das war auch Grund, sowie konkrete Bitte und Beifall von den Großkirchen, für das drohende Verbot der Bibelforscher – in einem letzten Versuch einer Rechtfertigung wurde der “übliche“ Wortlaut der vorherrschenden Vorwürfe gegenüber den Bibelforschern, in der “Wilmersdorfer Erklärung“ verwendet, was sicherlich für den Anspruch der Zeugen absolut inakzeptabel war.
Aber wenn Du das jetzt als Gesamtbild heranziehen möchtest – wird das einfach nicht dem gerecht, was tatsächlich insgesamt passiert ist - und wäre genau so schräg, wie jemand, der behauptet: "Paulus konnte doch gut damit leben, das Jesus verhaftet wurde, weil er ihn in seiner schweren Stunde 3x verleugnete?!"
Tut mir leid – Deine Schlussfolgerungen sind einfach nur besonders unfair.
tonia5 schrieb:
Das Problem ist allerdings wie so oft, dass die Masse der "gewöhnlichen" Zeugen sich wirklich bemüht hatten, die gepredigte Neutralität zu wahren und tatsächlich lieber gestorben sind. Aber viele hätten nicht zu sterben brauchen, es wurde ihnen z. B. auch der zivildienstliche Sanitätsdienst angeboten, aber die Organisationsführung ordnete an, auch diesen zu verweigern! (Da wurden Zeugen Jehovas also von ihren Anführern umgebracht!)
Das ist absoluter Unsinn – Bitte einen solchen Allgemeinzustand belegen!
Du willst doch nicht allen Ernstes behaupten, das Hitler und sein Regime, angesichts der totalen Mobilmachung, einer übermotivierten christlichen Gruppe, in dieser Größenordnung, ein allgemeines Zugeständnis im Sanitätsdienst gemacht hätte?!
Was für ein Unsinn – wie viele andere Christen und Menschen hätten das in Folge für sich beanspruchen wollen – und Hitler wäre dann mit einem Heer von Sanitätern über die Welt hergefallen oder was?!
Die Bibelforscher wurden auch nicht nur primär deswegen verfolgt, sondern wegen einer ganzen Reihe anderer Punkte, so das Deine "Sanitäter-Hypothese" niemals wirkliche Entlastung gebracht hätte, und damit ein unhaltbarer Vorwurf ist!!
( und da man als Sanitäter auch dem Militär rechtlich untersteht, und an kriegerischen Konflikten bedingt teilnimmt – bzw. die Ansprüche des “Arbeitgebers“ an der Front schnell wechseln können – kann eine solche alternative "Neutralität", damals durchaus auch fraglich bewertet werden.)
Die Praxis sah doch wie folgt aus:
Die Bibelforscher konnten im KZ grundsätzlich “Freikommen“, indem sie ein Formblatt unterschrieben hätten, wo sie ihren Glauben und ihre christliche Neutralität abwählen konnten, und sich verpflichtet haben, ihre Brüder zu verraten – hier gab es wohl kaum eine Anweisung der Zeugen-Anführer - und dennoch haben es die wenigsten unterschrieben - die, die es taten, hatte die SS mit einem Schild tagelang im KZ-Hof aufgestellt, auf dem stand “Ich habe meine Brüder verraten“ und danach ging es an die Front, und sicher nicht als Sanitäter:
DENN die Erklärung/Formblatt enthielt auch den Passus :
"Ich will künftig die Gesetze des Staates achten, insbesondere im Falle eines Krieges mein Vaterland mit der Waffe in der Hand verteidigen“ DAS hat man den Zeugen allgemein angeboten - Nix Sani!
Im Dritten Reich gab es für einen Christen, der das Ausleben wollte, was in der Bibel steht, keinen wirklichen Ausweg. Allein mit dem verweigerten Hitlergruß verhielt es sich schon, wie mit dem verweigerten Kaiseropfer, das die ersten Christen auch um ihr Leben brachte, ohne das man auf die absurde Idee kommt, das das geflegte Verständnis um eine solche Ablehung in der ersten Christenversammlung, sich quasi als "in den Tod treiben" versteht.
Auch andere Personen, anderer christlicher Richtungen konnten das so für sich erkennen, und sind in den Tod gegangen – doch statt Rückhalt von ihrer Gemeinde, gab es eher die Tendenz des Auslieferns und in den Rücken fallen. Das die Führung der Bibelforscher, von dennen auch deutsche Funktionäre im KZ saßen, weitgehend geschlossen dafür auftraten, wird in der formellen geschichtlichen Aufarbeitung, nicht im Geringsten in eine Wechselbeziehung von
“in den Tod treiben gebracht.
Genau diese absurde Behauptung, ist Deinen Kommentaren leider inhaltlich zu entnehmen.
Doch der Nachdruck, Orientierung und Ermunterung für eine konkrete christliche Neutralität, ist sicher kein fahrlässiges "in den Tod treiben“, sondern ein Anspruch, der offenbar in der christlichen Breite damals gefehlt hat.
Hier ein alltäglicher Berührungspunkt, den jeder bibeltreue Christ heute sicher nachvollziehen kann:
( aus dem Buch von Detlef Garbe “Zwischen Widerstand und Martyrium“ )
Die alltäglichen Entscheidungen der einzelnen Bibelforscher, standen bezüglich der christlichen Neutralität in einer nachvollziehbaren Begründung, statt in einem blinden Diktat der Gemeindeführung
Die ausgesprochen zweifelhafte Praxis und Ideologie der HJ steht heute sicher außer Frage. Besonders da die Hitlerjugend zunehmen für Pöbelaktionen gegenüber Juden instrumentalisiert wurde, ist der Gemeinde-Nachdruck der IBV ( Zeugen), genau an solchen Punkten, trotz dem persönlichen Risiko “anzuecken“, doch eher ein christlicher Segen, nicht in diese Mitschuld zu geraten, und wird daher auch allgemein als besondere Zivilcourage gewertet.
@tonia5
Andererseits kamen gerade im Frauenlager Ravensbrück einige Häftlinge mit Hitler persönlich zusammen und er wurde dort auch rasiert - nachzulesen im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974. Die Organisation lobt sich, so sehr das Leben zu achten, dass man nicht mal einen Hitler getötet habe.
Da darf ich mich dann schon fragen, weshalb man den größten (oder einen der größten) Massenmörder aller Zeiten gegen jede Vernunft am Leben hält, aber eigene Glaubensangehörige in den Tod treibt!
Es ist also, nach Deiner Vorstellung, gegen alle christliche Vernunft, wenn Christen einen “üblen Verbrecher“ Nicht umbringen?
Sehr bizarre christliche Vorstellung ;(
Du wirfst den Zeugen hier eine persönliche Erwartung, der vollen Verkehrung von biblischen Werten vor:
Deine Logik ist einfach nur furchtbar einseitig: Christen sollen Verbrecher ERMORDEN - aber wenn das Leben in Gefahr ist, ist der Nachdruck für christliche Neutralität gleichbedeutend mit “in den Tod treiben“ – ABER die falsche Wortwahl in der "Wilmersdorfer Erklärung", aus Furcht vor Verbot und Verfolgung ist dann wieder unverständlicher, als eine Person direkt umzubringen??!! - kann es sein, das Du in dieser Sache an zwanghafter Negativbelichtung leidest – so das es Dir unmöglich ist, die Geschichte so zu werten, wie sie vorliegt?!
Christliche Werte bis in den Tod zu vertreten, ist ein biblischer Anspruch, den Jesus selbst mehrfach verdeutlichte – Unrecht aus Eigenschutz mitzutragen ist das Prinzip dieser Welt, und einer der Gründe warum viele Ausmaße im Dritten Reich überhaupt breite Unterstützung gefunden haben.
Der deutsche Historiker und Lehrbeauftragter für Zeitgeschichte an der Universität Hamburg und Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Dr Detlef Garbe, schreibt im Vorwort seiner Dissertation:
Bis heute gehören die Zeugen Jehovas zu den weitgehend vergessenen Opfern des NS-Regimes. Sie wurden bereits Mitte 1933 und von da an mit unerbittlicher Härte bekämpft. Keine andere Religionsgemeinschaft hat mit einer vergleichbaren Geschlossenheit und Unbeugsamkeit dem nationalsozialistischen Druck widerstanden. Der Bekennermut der "Bibelforscher" beschäftigte zeitweilig höchste Stellen in Justiz, Polizei und SS. Sie waren die einzige Gruppe, die ungeachtet drohender Todesstrafe geschlossen den Kriegsdienst verweigerte.
Man muss die Zeugen nun deshalb nicht heilig sprechen, aber die Bibelforscher waren nun mal eine seltene christliche Erscheinungsform, die die christliche Neutralität oft kompromisslos ausgelebt haben - und dies gerade, weil es durch ihre Kirche entsprechend vertreten wurde.
Motivation und Nachdruck in der Sache hat etwas damit zu tun, diese christliche Haltung zu bewahren und nicht “Leute in den Tod zu treiben“- sondern vor Gott und der Welt ein reines Gewissen zu bewahren.
UND jeder Christ der unter Einsatz seiner Seele, prinzipielle Distanz zu diesen Unrechtsregime gelebt hat, kann reinen Gewissens auf diese Zeit zurückblicken - UND das sicher unabhängig von Deinem Quasi-“Antrag auf Höllengericht“, eine "Wilmersdorfer Erklärung" abgenickt zu haben – mit Verlaub, Dein Urteil über diese Menschen ist ausgesprochen kleinlich und armselig!
Ich möchte hier noch die Gruppe der Christadelphians, oder die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung, für christlichen Wiederstand im Dritten Reich erwähnen – und eine ganze Reihe Einzelpersonen aus den Großkirchen, die es ungleich schwerer als die Bibelforscher hatten, da sie oft allein auftraten und kaum Rückhalt hatten.
Für mich verdienen gerade diese Einzelpersonen besondere Achtung - in der Unpässlichkeit des Verständnisses der christlichen Neutralität in ihrer Kirche, wären sie heute wohl in den vielen freichristlichen Gemeinden zu finden - *Und genau deshalb ist dieser Anspruch und das Zeugnis der Vergangenheit, für heutige Christen eine entscheidende Identitätsfrage – keiner weiß, ob sich solche Verhältnisse nicht wiederholen könnten ( bzw. an anderen Orten dieser Welt leider stets aktuell sind).
Liebe @tonia5 betrachte meinen intensiven Ausdruck vielmehr der ersthaften Bedeutung geschuldet , als Dir persönlich – ( bei den anderen benannten Aspekten bin ich sicher flexibler und entspannter getaktet).
Was man in der Situation des Dritten Reiches, moralisch auch immer als optimal empfindet, Ich wüsste, wie Jesus sich im Dritten Reich verhalten hätte....und das hat erschreckende Ähnlichkeit, mit dem, was Du gerade verurteilst.
Oder willst Du auch behaupten, das Jesus mit seinen Anordnungen für seine Nachfolger, die sicher kein Kompromiss waren, sondern damals auch ein klarer Konflikt mit potenzieller Todesfolge, mit vorherrschenden Mächten bedeutete, er deshalb seine Jünger unnötig “in den Tod getrieben hat“ ??!